Norwegens Schweinegesundheit als Indikator für deutsche Medikamentenpreise

antibiotika bei Nutztieren

Das tierärztliche Dispensierrecht „sollte geprüft werden“. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Die Grünen) platziert per Pressemeldung wieder ein Thema in den Medien, das eigentlich mit dem Fachgutachten der Bundesregierung als erledigt galt. Bayerns Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf hält dagegen: „Das Dispensierrecht abzuschaffen wäre der falsche Weg.“ Das bedeutet: Für Politiker bleibt das Dispensierrecht Verhandlungsmasse im Streit um den Antibiotikaeinsatz bei Nutztieren.

von Jörg Held

Der politische Poker um den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung geht weiter. Ein Hebel sind die Antibiotikapreise. „Rabatte abschaffen und Festpreise einführen“ zu wollen und damit „Fehlanreize vermeiden“, das ist politischer Konsens (Quellen siehe unten). Allerdings heißt das im Klartext, dass alle Parteien den Tierärzten unterstellen: Wer billig Antibiotika einkaufen könne, verkaufe und verschreibe auch mehr als nötig.
Doch eine solche Festpreis-Vorschrift einzuführen, scheint schwieriger als erwartet. Denn sie bedeutet einen Eingriff in die freie Marktwirtschaft. Darüber entscheiden müsste das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI).

Die Grünen: Dispensierrecht als Druckmittel?

Also erhöhen die Grünen den politischen Druck, indem sie das Rabatt-Thema erneut mit dem Dispensierrecht als Ganzem verknüpfen. Zuerst mit einer Diskussion auf der Agrarministerkonferenz – bei der das Rabattverbot nur als „erster Schritt“ bezeichnet wurde und als zweiter Schritt die Dispensierrechtsabschaffung sozusagen „leise“ mitgedacht wurde (von NRW und Rheinland-Pfalz).
Ganz aktuell fordert Niedersachsens Grüner Landwirtschaftsmister Christian Meyer nach einer Reise durch norwegische Schweinbetriebe: Das sogenannte Dispensierrecht „sollte geprüft werden“  – also jenes Recht, das Tierärzten in Deutschland erlaubt, auch Apotheker zu sein und Medikamente zu verkaufen. Meyer: „Unser Ziel muss es in jedem Fall sein, Fehlanreize wie Mengenrabatte oder Dumpingangebote abzuschaffen.“ Eines sei nun einmal unumstößlich: „Gesunde Tiere brauchen keine Antibiotika.“ In Norwegen seien die Schweine gesünder, der Antibiotikaeinsatz um ein vielfaches geringer als in Deutschland – und das alles eben auch eine Folge des dort nicht vorhandenen Dispensierrechtes, scheint Meyers Schlussfolgerung zu sein.

Ulrike Scharf, Verbraucherschutzministerin in Bayern (Foto © Bayr. Staatsregierung)

Ulrike Scharf, Verbraucherschutzministerin in Bayern (Foto © Bayr. Staatsregierung)

Andere Vertriebswege sind nicht besser

„Die Abschaffung des Dispensierrechtes wäre der falsche Weg,“ stellte dagegen Bayerns Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf auf dem bpt-Kongress in München fest. Man müsse nicht den Vertriebsweg ändern, sondern die Notwendigkeit des Medikamenteneinsatzes selbst reduzieren. Allerdings wäre auch für Scharf die „Einführung von Festpreisen und ein Verbot der Rabattierung ein gutes und richtiges Signal“.

Klares Ja zum Dispensierrecht – BMEL-Ministerialdirektor Bernhard Kühnle: "Andere Vertriebswege in Europa sind nicht besser". (Foto: © WiSiTiA/aw)

Klares Ja zum Dispensierrecht – BMEL-Ministerialdirektor Bernhard Kühnle: „Andere Vertriebswege in Europa sind nicht besser“. (Foto: © WiSiTiA/aw)

„Andere Antibiotika-Vertriebswege in Europa sind nicht besser,“ betonte auch Ministerialdirektor Bernhard Kühnle auf dem bpt-Kongress. Der Leiter der Abteilung Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit im Bundeslandwirtschaftsministerium sagte: „Das Dispensierrecht ist für die Bundesregierung nicht der Ansatzpunkt, mit dem man die antimikrobielle Resistenzsituation verbessern kann.“ Das habe auch das Fachgutachten und der Fachdiskurs gezeigt. Kühnle sieht hierzu einen Konsens zwischen Ländern und Bundesregierung. Die Äußerungen aus Niedersachsen und Rheinland-Pfalz stehen dem aber entgegen.
(Nachtrag: B. Kühnle legt Wert darauf, dass er die Aussage zu „anderen Antibiotika-Vertriebswegen in Europa“ auf die EU und nicht Norwegen bezogen habe. Die Situation dort sei ihm unbekannt und deshalb bewerte er diese nicht. In einer früheren Version des Artikels stellte die Bildzeile rechts einen Zusammenhang mit seinen Aussagen in München und den von C. Meyer gelobten norwegischen Verhältnissen her, der nicht bestand.)

bpt: Preisauswirkungen mit einem Gutachten prüfen

Das Thema Rabattverbot und die dafür notwendige Änderung der Arzneimittelpreisverordnung liege jetzt zunächst beim Bundswirtschaftsministerium, bestätigte auch Kühnle: „Das wird dort völlig ergebnisoffen geprüft.“ Notwendig sei eine Folgenabschätzung, welche Auswirkungen welche Entscheidung habe. Folgende Eingriffe sind zu prüfen: Mindestabgabepreise – Festpreise – Rabattverbot.
Der noch amtierende bpt-Präsident Dr. Hans-Joachim Götz plädierte für ein Gutachten, das zum einen die Folgen eines solchen Markteingriffs bewerte, aber auch die Frage beantworte: Haben Medikamentenpreise überhaupt einen Einfluss auf die Ausbreitung antimikrobieller Resistenzen? „Die zu reduzieren ist doch das eigentliche Ziel.“

In der Pharmaindustrie selbst geht man davon aus, dass in dieser Legislaturperiode über Rabattverbot oder Festpreise für Antibiotika nicht mehr entschieden wird.

Quelle:
Pressemitteilung Landwirtschaftsministerium Niedersachsen (12.10.2015)

Originaldokumente – Antibiotika-Positionen der Parteien / der Länder:
Protokollauszug Agrarministerkonferenz Fulda 2015

Protokoll der Amtschefkonferenz 15.1.2015 Berlin
Papier der CDU/CSU-Fraktion u.a. zur Antibiotikafrage
Positionspapier der SPD zur Antibiotikareduktion
Aktionsplan der Grünen „Lampf gegen Antibiotikamißbrauch
Fachgutachten zum Dispensierrecht – enthält auch Angaben zur Rabattdiskussion (PDF-Download)

NormVet 2014 – norwegisches Antibiotikamonitoring (PDF-Download)

Berichte auf wir-sind-tierarzt.de zum Thema:
Rabattbeschluss der Agrarministerkonfernz in Fulda (Oktober 2015)
Antibiotika-Pläne der CDU – Bericht auf wir-sind-tierarzt.de
Position der SPD zur Antibiotikareduktion – Bericht auf wir-sind-tierarzt.de
Fachdiskurs zum Dispensierrecht – Bericht auf wir-sind-tierarzt.de

Beitragsbild: © WiSiTiA/hh

Protokollauszug AMK-Konferenz Fulda 2015 – Rabattverbot Antibiotika
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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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