Fast drei Viertel aller Deutschen machen Antibiotikaresistenzen in Lebensmitteln Sorgen (72%). Das sagt der aktuelle Verbrauchermonitor 6/2015 des Bundesinstitutes für Risiokobewertung (BfR). Für die Tiermedizin ist das doppelt brisant: Zum einen ist die Zahl gegenüber 2014 um immerhin acht Prozent angestiegen, zum anderen glauben 53 Prozent, dass diese gefürchteten Resistenzen in der Tierhaltung entstehen.
(jh) – Die Mehrheit der deutschen (70 %) hält Lebensmittel für sicher. Doch das Antibiotika-Thema beunruhigt eine ebenso große Zahl. Mit repräsentativen Umfragen überprüft das BfR halbjährlich, ob Risikobewusstsein und wissenschaftliche Risikoeinschätzung voneinander abweichen. Es hält die Bewertung der Menschen grundsätzlich für realistisch: Antibiotikaresistenzen sind ein ernstzunehmendes Problem.
Resistenzproblem „unterkomplex kommuniziert“
Die Resistenzverbreitung erfolgt aber nicht primär über Lebensmittel. Auf dem bpt-Kongress in München stellte BfR-Präsident Professor Dr. Andreas Hensel fest, dass Resistenzproblem werde „etwas unterkomplex kommuniziert“. Der Antibiotikaeinatz sei zum „Antichrist der Landwirtschaft geworden“. Das, was man in den Tierbeständen finde, müsse man nicht am Ende auf dem Lebensmittel finden. Dort fänden sich etwa auch Humankeime aus dem Verarbeitungsprozess.
Umgekehrt schaffen es Humanresistenzen bis in die Ställe (etwa Carbapenem-Resistenzen über den Umweg Kläranlage und Umwelt). Dennoch gelte: „Wir haben in der Tierhaltung ein Problem. Resistenzen können vom Tier kommen.“ Die Veterinärmedizin sei aber nicht der Hauptverantwortliche für die problematischen Resistenzen beim Mensch.
Für Prof. Hensel ist „der Resistenztreiber der horizontale Gentransfer innerhalb der Microbiota.“ Jeder Einsatz von Antibiotika – auch der sachgerechte – fördere die Selektion auf Resistenzen. „Deshalb ist der One-Health-Ansatz der einzige Weg das gemeinsame Resistenzproblem zu lösen.“
Dass die Tierhaltung keineswegs der Hauptschuldige der Antibiotika-Resistenzbildung beim Menschen ist, hat das BfR auch früher schon dargestellt (Bericht hier). Aber die Ängste der Menschen bestimmen wesentlich die Wahrnehmung und prägen auch die öffentliche Debatte über die Nutztierhaltung.
Deshalb muss die Reduzierung antimikrobieller Resistenzen durch einen nachweislich verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika in der Tiermedizin für Tierärzte oberste Priorität haben.
Die verunsicherten Experten
Kommentar von Henrik Hofmann
Neulich saß ich mit einem Kollegen beim Weißwürstchen und er stöhnte. Seine Frau, ebenfalls Kollegin, ist mit Leib und Seele Rinderpraktikerin. Doch: „Seit ’nem drei Viertel Jahr kocht sie bei uns nur noch vegetarisch. Die Kinder und ich essen schon am liebsten bei Freunden oder gehen irgend wo hin. Sie macht sich Sorgen um Antibiotika und resistente Keime. Keine Ahnung, was das soll. Ich mein, DU weißt doch, woher das Fleisch kommt, hab‘ ich zu ihr gesagt. DU hast die Tiere selbst behandelt. Sie hat genickt und gemeint, dass sie einfach so ein Gefühl habe.“
Niemand weiß besser als die Kollegin, dass der Medienrummel manchmal maßlos übertreibt. Sie kennt die Tiere, die nicht behandelt sind. Sie weiß, welche sie wie und warum und womit therapiert. Sie hat es in der Hand auch Komplementärmedizin einzusetzen. Sie kennte ihre Bauern und kann an „sauberes“ Fleisch heran kommen. „Hier gibt’s genug auf der Wiese gehaltene Rinder und Schafe“, sagt mein Kollege. „Die werden nicht behandelt und toll gehalten. Und trotzdem.“
Sehe ich in diesem Beitrag die Statistiken (es lohnt ein Blick in die Quellen), wird mir einiges klar. Die zahllosen Berichte und Kampagnen von Medien und Politik wirken – und zwar nicht nur aufklärend und Risikobewusstsein schaffend. Es geht einigen um Fakten, vielen aber auch um Weltbilder, um Meinungen und Meinungsmache und darum Leser, Zuschauer und Wähler einzufangen. Das wirkt und führt in der Summe zu Verunsicherung. All das hat den Pawlow’schen Reflex ausgelöst. Und das sogar bei Kollegen, die wissen, dass es so nicht stimmt. Das erschreckt mich und ist eigentlich sogar traurig!