Verbot der Kükentötung – Gesetzesantrag mit Hintergedanken?

Kükentötung gesetzlich verbieten – NRW-Minister Johannes Remmel im Bundesrat. (Foto: ©screenshot Bundesratsrede)Kükentötung gesetzlich verbieten – NRW-Minister Johannes Remmel im Bundesrat. (Foto: ©screenshot Bundesratsrede)

„Toller Tag für den Tierschutz“ – findet NRW-Minister Remmel, denn der Bundesrat will einen kleinen Halbsatz ins Tierschutzgesetz schreiben und damit vordergründig männliche Eintagsküken schützen. Klingt nobel, ist aber unnötig, denn schon der Gesetzesantrag enthält wieder Ausnahmeregeln. Geht es hinter den Kulissen womöglich um mehr als die Küken?

Ein Kommentar von Jörg Held

Und wieder ist ein Gesetzesantrag auf dem Weg, der nicht das Ergebnis einer fundierten sachlichen Fakten-Debatte ist, sondern parteipolitische Politikziele zementieren soll – mit eingebautem Verfallsdatum, intransparenten Absichten und  vor allem medialem Selbstzweck. Das Beispiel diesmal: Das Verbot der Tötung männlicher Eintagsküken – aktuell im Bundesrat beschlossen mit der Mehrheit der Grün-mitregierten Bundesländer beschlossen.

Und ewig grüßt das männliche EintagskükenRemmel_tweet1

Parteien und Politiker aus Land und Bund haben zu diesem Thema definitiv schon alles gesagt, was es zu sagen gibt: in Bundestagsdebatten, auf Tagungen und bei der Forschungsförderung, in wortreichen Ländererlassen, bei Gerichtsverfahren und auch jetzt wieder im Bundesrat – alles nachzulesen auch in der Begründung des Gesetzesantrages zum Verbot der Eintagskükentötung.

Fakt ist, es gibt inzwischen einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens, den auch die Grünen mehrheitlich mittragen: Keiner will, dass männliche Eintagsküken von Legehennenrassen unnötig getötet werden, weil sie weder Eier legen können, noch genug Fleisch für die Mast ansetzen. Sobald die Alternative der frühzeitigen Geschlechtserkennung im Ei funktioniert, wird und ist die Praxis der Kükentötung verboten, denn dann greift das bestehende Tierschutzgesetz. Vorher ist ein gesetzliches Verbot kontraproduktiv.

Vergiftetes Politikritual

Das steht sogar so auch im Bundesratsbeschluss – das sagt nur keiner laut, denn erst mal produziert der Antrag „Verbotsschlagzeilen“. Die Details interessieren dann wenig. Dabei lohnt ein genauer Blick auf die Feinheiten der Formulierungen im Gesetzesentwurf:

(1) Es ist verboten, ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund, insbesondere zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile, zu töten.“ (Änderung Artikel 1 / § 3)

Dieser Passus allein würde, wäre er jetzt rechtskräftig, die deutsche Legehennenzucht sofort beenden: wirtschaftlicher K.O..
Das wissen natürlich auch die Grünen und ergänzen deshalb ihre „reine Lehre“ um einen abschwächenden zweiten Teil – und tun dabei so, als gehe es „nur“ um die Küken.

„(1) Bis zum Ablauf des 30.05.2017 dürfen abweichend von § 3 Absatz 1 in Brütereien Eintagsküken wie im bisherigen Umfang getötet werden. Die Bundesregierung erstattet dem Deutschen Bundestag spätestens bis zum 30.06.2016 einen Bericht über den Stand der Entwicklung technischer Verfahren und Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei und ihre Eignung für einen flächendeckenden Einsatz in der Praxis.“ (Ergänzung Artikel 3 / § 21)

Braucht man dafür ein Gesetz? Eher nicht, denn genau das ist bereits die erklärte und bekannte Position der Bundesregierung: Verbot in konsequenter Umsetzung des bestehenden Tierschgutzgesetzes, sobald ein technisches Verfahren zur Früherkennung des Geschlechts praxistauglich ist.
Bis Mai 2017 wird das noch nicht funktionieren, denn dann soll erst ein Prototyp fertig sein, der noch nicht flächendeckend einsetzbar ist.
Auch das wissen die Grünen Antragssteller, deshalb bauen sie schon mal ein Zwischenberichtsdatum (Juni 2016) zum Stand der Technik in ein Gesetz(!) ein. Das Prinzip ist klar erkennbar:
Beschließen – abwarten –  ändern. Für mich ist das ein Politikritual, dass parteipolitisch motivierten öffentlichen Druck aufrecht erhalten will. Dafür sind Gesetze nicht gedacht.

Küken sind niedlich, eignen sich also gut für emotionale Kampagnen. (Foto: @ ZDG)

Die Küken als Vehikel?

Das Hinterhältige dabei ist: Über das Konsens-Thema der „Kükentötung“ wäre dann ein Halbsatz (siehe Unterstreichung) ins Tierschutzgesetz hineinredigiert, der viel weitreichendere Konsequenzen für alle Tierarten und Situationen haben kann. Über diese Auswirkung aber wurde weder öffentlich diskutiert, noch gibt es dazu einen politischen Konsens:

(1) Es ist verboten, ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund, insbesondere zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile, zu töten.“ (Änderungsvorschlag Artikel 1 / § 3)

Ich spekuliere einfach mal ein wenig vor mich hin:
Equine Infektiöse Anämie (EIA) beim Pferd – damit infizierte Tiere werden getötet, auch wenn sie mit der Infektion weiterleben könnten. Das Ansteckungsrisiko ist zu hoch. Dieser Tierschutzgrund ist „vernünftig“ (andere Pferde vor der Tierseuche schützen). Doch Achtung: Letztlich ist es ein wirtschaftlicher Grund. Man könnte den gesundheitlich unauffälligen Virusträgern auch auf sorgfältig abgeschirmten Quarantänehöfen ihr Gnadenbrot gönnen  – wäre halt nur für die Pferdebesitzer völlig unwirtschaftlich.
Gleiches gilt für BHV1 oder die Bovine-Virusdiarrhoe beim Rind (BVD – bei Rindern über zwei Jahren) oder andere, nicht tödliche Tierkrankheiten, deren Ausbreitung man in Deutschland mit einer Tötung der erkrankten Tiere verhindern will. Auch hier hat die Tötung oft einen wirtschaftlichen Aspekt – die Tiere selbst könnten infiziert weiterleben, wären nur eben begrenzt „wirtschftlich nutzbar“.
Oder: Was ist mit Wölfen oder anderen Raubtieren, die gezielt Weidetiere reißen? Die Schweizer streiten darüber gerade auf allen politischen Ebenen äußerst heftig. Flächendeckender Herdenschutz ist theoretisch möglich, nur irgendwann „unwirtschaftlich“, der Tötungsgrund für die Räuber aber wäre dann nur der „wirtschaftliche Nachteil“.

All diese und noch andere momentan als „vernünftig“ geltenden Tötungsgründe müssen neu diskutiert werden, wenn dieser Halbsatz in Gesetzesform gegossen wird. Das kann absolut sinnvoll sein (Stichwort Impfen statt Keulen bei Tierseuchenausbrüchen!) – und wird auch von Tierärzten unterstützt. Aber dann müssen Parteien und Gesellschaft auch genau darüber eine offene und ehrliche Debatte führen – und nicht Gesetzesformulierungen beantragen, die nur vordergründig auf Kükenschutz zielen.

„Vernünftige Gründe“ ändern sich

Kükentötung gesetzlich verbieten – NRW-Minister Johannes Remmel im Bundesrat. (Foto: ©screenshot Bundesratsrede)

Kükentötung gesetzlich verbieten – NRW-Minister Johannes Remmel im Bundesrat. (Foto: ©screenshot Bundesratsrede)

Mein Fazit: Der Gesetzgeber früherer Zeiten war so dumm nicht. Er hat mit dem „vernünftigen Grund“ (§1 Satz 2 TSchG) bewusst einen unbestimmten Rechtsbegriff ins Gesetz geschrieben.
Was eine Gesellschaft als vernünftig empfindet, kann sich verändern – und das ist auch gut so (siehe die aktuelle Kükendebatte). Diese „Vernunftsdefinition“ muss und kann eine Gesellschaft dann jeweils im politischen Diskurs neu aushandeln und so Lösungen entwickeln, was zu tun und/oder womöglich zu verbieten ist. Genau das ist bereits (!) beim Thema Küken geschehen.

Jetzt das Tierschutzgesetz zu ändern – und eigens den Schutz des männlichen Nachwuchses bei Legehennen in Gesetzes-Paragraphen zu gießen, nur weil NRW vorgeprescht ist und einen Prozess verloren hat, ist unnötig. Zumal die Lösung  für dieses Problem ja bereits Konsens ist.
Wenn es nur um die Küken ginge, müsste der Gesetzestext schlicht lauten: „Sobald ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei flächendeckend verfügbar ist, ist die Tötung von Eintagsküken verboten“. Das aber war wohl selbst den Grünen zu profan für einen Gesetzesantrag, denn das steht ja jetzt schon drin.

Wer aber mehr will, soll das auch sagen und öffentlich zur Debatte stellen. In der Antragsbegründung findet sich dazu kein Wort. 

Die Reden zu diesem Gesetzesantrag im Bundesrat finden Sie als Video hier.
Über den Stand und die Probleme der Bruderhahn-Debatte in der Schweiz berichtet dieser Artikel.

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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