Ringelschwanzprämie: Ökobetriebe beteiligen sich deutlich stärker

„Tolles Engagement für mehr Tierwohl“ – die erste Presseverlautbarung zur umstrittenen niedersächsischen Ringelschwanzprämie klang sehr euphorisch. Doch bei genauer Betrachtung ist das Interesse eher „moderat“, wie Landwirtschaftsminister Christian Meyer jetzt selbst mitteilt.

von Jörg Held
(Artikel am 19.8.2015 aktualisiert mit Zahlen vom Landwirtschaftsministerium Niedersachsen)

Die erste Interpretation einer Twitter-Meldung von Niedersachsens Grünem Landwirtschaftsminister Christian Meyer ließ erwarten, dass nur knapp die Hälfte der 116 gemeldeten Prämien-Anträge von Schweinehaltern echte Neueinsteiger in die Haltung von Schweinen mit Ringelschwanz sind. Auf zweimalige Nachfrage von wir-sind-tierarzt.de teilte das Ministerium inzwischen aber Zahlen mit:  Demnach haben 54 Antragsteller bereits Erfahrungen mit dem Kupierverzicht bei etwa 40.000 Schweinen – sind also wohl dem „Öko-Bereich“ zuzuordnen, obwohl dies nicht explizit bestätigt wurde.
Neu hinzu kommen 62 konventionelle Betriebe. Sie halten etwa 75.000 Schweine, bei denen künftig der Ringelschwanz erstmals erhalten bleibt. Das ist die  Mehrheit der 115.000 angemeldeten Tiere. Insgesamt erreicht das Programm von den rund 19 Millionen in Niedersachsen überwiegend konventionell gehaltenen Schweinen knapp 0,4 Prozent.

Ringelschwanztweet_Meyer

(Twitter-Dialog mit @GruenMeyer am Ende des Beitrages)

Prämie ist zur Hälfte Forschungs- und zur Hälfte Ökohaltungs-Förderung

Offensichtlich glauben Ökobetriebe im Vergleich zu konventionellen Betriebe deutlich häufiger, dass die „Ringelschwanzprämie“ ausreicht, um Schweine mit unkupierten Schwänzen halten zu können (etwa ein Prozent der Mastschweine/Sauen in Nds. werden ökologisch  gehalten – aber etwa 46 Prozent der Antragsteller kommen aus dem „Öko-Bereich). Somit ist die Prämie von 16,80 € pro Tier mit intaktem Ringelschwanz eher eine Art Forschungsförderung für einen Feldversuch, als ein Kostenausgleich für den Mehraufwand in der Haltung. Das ist so auch grundsätzlich im Interesse der Wissenschaft (siehe nächster Absatz), denn noch fehlt es an Praxiserfahrungen, wie man das gefürchtete Schwanzbeißen im Alltagsbetrieb sicher verhindern kann (siehe auch Video am Ende dieses Beitrages).

Deshalb sucht auch das Bayerische Landwirtschaftsministerium zur Zeit schweinehaltende Betriebe, die die Haltung mit intaktem Ringelschwanz in praxi wissenschaftlich begleitet erproben wollen – und bietet dafür ebenfalls eine allerdings nicht näher bezifferte Aufwandsentschädigung an. Bundesweit laufen außerdem viele weitere wissenschaftliche Untersuchungen.
Kritiker bemängeln allerdings, dass die andere Hälfte der niedersächsischen Ringelschwanzprämie eine verdeckte zusätzliche Förderung ökologisch wirtschaftender Betriebe sei.

Umstrittene Ringelschwanzprämie

Tierhalter und vor allem Wissenschaftler hatten die niedersächsische Ringelschwanzprämie bereits zuvor heftig kritisiert (wir-sind-tierarzt.de berichtete hier ausführlich inkl. Quellenangaben).
Hauptkritik-Punkt: Es gebe keine sicheren Erkenntnisse darüber, mit welchen Rahmenbedingungen man das gefürchtete Schwanzbeißen zuverlässig verhindern könne, das Geschehen sei multifaktoriell, zum Teil sogar futterabhängig. Würden Betriebe ohne fachliche Begleitung und sorgfältige Kontrollen umstellen, nur um die Fördermittel zu erhalten (16,80 € pro Schwein mit intaktem Ringelschwanz) , könne dies für die Schweine womöglich sogar durch vermehrtes Schwanzbeißen weniger statt mehr Tierwohl bedeuten.
Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium und Tierhalterverbände hatten deshalb nach langem politischen Streit ein Eckpunkte-Papier beschlossen, dass die Rahmenbedingungen und die tierärztliche Begleitung für die Ringelschwanzprämie genau festlegt.

Quellen:
Pressemeldung Landwirtschaftsministerium Niedersachsen zur Ringelschwanzprämie (12.8.2015)
Tweet Landwirtschaftsminister Christian Meyer (18.8.2015)
Niedersächsisches Eckpunkte-Papier „Ringelschwanzprämie“
Pressemeldung Bayern zum Feldversuch intakter Ringelschwanz (17.8.2015)
FDP-Kritik an der Verteilung der Ringelschwanzprämie (13.8.2015)

 

Twitterdialog von @wirsindtierarzt mit @GruenMeyer (18.8.2015)

Twitterdialog-GruenMeyer

Link zu der im folgenden zitierten ISN-Meldung

GruenMeyer_ISN

Die Probleme mit Schwanzbeissern auch in einem Vorzeigebetrieb schildert dieses Video (ab Minute 2:00)

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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