Die Lösung: Luftdichte Ställe statt Weidehaltung?

Jungrinder auf der WeideKlima-Killer: Jungrinder auf der Weide rülpsen Methan. (Foto:©WiSiTiA/aw)

Wer Klimaschutz will, muss luftdichte Ställe bauen und die Freilandhaltung abschaffen: Mit der für die Nutztierhaltung schon fast üblichen Polarisierung zeigt die Debatte über die geplante EU-NEC-Richtlinie zu Luftschadstoffen wie Ammoniak und Methan vor allen eines: Es gibt in der Nutztierhaltung noch nicht ausdiskutierte Zielkonflikte zwischen Tierwohl, Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Verbraucherschutz und Umweltschutz. Das lässt sich gut am Beispiel der Rinder zeigen.

von Annegret Wagner

Die EU-NEC-Richtlinie steht für „national emission ceiling“ also einer Deckelung der nationalen Emissionen. Bis 2030 will die EU unter anderem die Emissionen an Methan in Deutschland um 39 Prozent und Ammoniak um 46 Prozent bezogen auf das Basisjahr 2005 gesenkt sehen. Kühe und Schafe produzieren bei der Verdauung Methan – und das wirkt 23 mal stärker als „Klimakiller“ beziehungsweise Treibhausgas als Kohlendioxyd. So rülpsen Kühe je nach Futter 300 bis 500 Liter Methangas pro Tag ab.

Kühe rülpsen 14 Millionen Tonnen Methan pro Jahr

An der NEC entzündet sich jetzt eine der Zielkonflikt-Debatten: Tierwohl oder Klimaschutz? Denn der Klimagas-Ausstoß der Nutztiere summiert sich. Im Jahr produzieren deutsche Wiederkäuer etwa 14 Millionen Tonnen Methan und haben damit einen Anteil von rund 1,5 Prozent an der gesamten deutschen Methanemission von rund 950 Millionen Tonnen pro Jahr. Zusätzlich setzen alle (Nutz)Tiere mit Kot und Urin auch noch Ammoniak frei – in der Schweine- und  Geflügelhaltung sind es 183.000 Tonnen.

Doch die Rinder stehen im Fokus, weil gerade die für sie geforderte Weidehaltung und auch die Offen-Laufställe, klimatechnisch besonderes schlecht abschneiden. Besser für das Klima wäre es, die Rinder – wie die große Mehrheit der Schweine und des Geflügels – in geschlossenen Ställen mit Abluftfiltern zu halten, Kot und Urin in Güllelagern zu sammeln und zunächst in Biogasanlagen zu verwerten. Die Bauern befürchten nun, dass sie einen Teil ihrer Kühe abschaffen müssen, damit die deutschen Klimaziele umgesetzt werden können.

Ideologie oder Zahlen

Am Rind lässt sich aber sehr gut zeigen, wie verschiedene – auch ideologisch gefärbte – Positionen zu einem munteren Fakten-Durcheinander führen. So propagiert der Deutsche Tierschutzbund als Lösung für das Klimaproblem gerade die kritisierte extensive Weidehaltung. Dagegen zeigt eine vielzitierte Studie von Judith Capper aus den USA eindeutig, dass in den letzten vierzig Jahren die Umweltbelastungen durch intensivere Rinderhaltung deutlich gesenkt werden konnte – weil deren Leistungen gestiegen sind. In einem aktuellen Vortrag fasst Dr. Larry Chase unter anderem Cappers Erkenntnisse zusammen und kombiniert sie mit neuen Ideen:

  • In der Milchindustrie werden nicht mal mehr ein Viertel (21 %) der Tiere gehalten, die noch 1944 benötigt wurden, um die Bevölkerung zu versorgen.
  • Durch die gezieltere Fütterung ist nur noch ein Zehntel (9,7 %) der Fläche nötig, die in 1944 für die Milchrinderhaltung beansprucht wurde.
  • Die jetzt noch vorhandenen Tiere (Studie aus 2007) produzieren weniger als die Hälfte (44 %) der Methanmenge, die in 1944 ausgestoßen wurde.
  • Sie  verbrauchen nur noch 35 Prozent des Wassers und produzieren ein Viertel der Kotmenge (26 %) der Tiere aus dem Jahr 1944.

Mehr Kraftfutter gut für’s Klima

Das gerade in einem ARD-Beitrag so heftig kritisierte Kraftfutter ist laut Chase sogar gut für das Klima: Ein höherer Kraftfutter-Anteil, beziehungsweise mehr Maissilage senke im Vergleich zur reinen Grasfütterung den Methan-Ausstoß. Auf die Spitze treiben ließe sich die Verringerung des Methan-Anteils durch eine Reihe aus anderen Gründen aber eben nicht gewollter Maßnahmen in der Milchrinderhaltung:

  • eine weitere Milchleistungssteigerung durch Zucht,
  • eine Verbesserung der Futterverwertung (Ionophore als Leistungsföderer),
  • den Einsatz von Hormonen zur Fertilitätssteigerung
  • kürzere Trockenstehzeiten und früheres Erstkalbealter.

In der Summe wären für die gleiche Menge Milch dann noch einmal deutlich weniger Kühe nötig, was weniger Methanausstoß, weniger Flächen- und Wasserverbrauch, etc bedeutet.
Natürlich geben auch Capper und Chase zu Bedenken, dass der Methan-Ausstoß nicht das alleinige Maß der Dinge sein darf. Zielt man nur auf  weniger Methanbildung schafft das neue Probleme an anderer Stelle – sowohl für die Tiergesundheit als auch die Umweltbelastung.
Bei der Fleischproduktion sieht es ähnlich aus: Fleischrinder, die extensiv gehalten werden (Weidemast) brauchen rund 226 Tage länger bis zur Schlachtreife, sie verbrauchen also deutlich länger Wasser und Futter und produzieren in dieser Zeit Kot, Urin und Methan. Dafür benötigen sie weniger Spezialfutter dessen Anbau und Transport unter Umständen Wasser- und CO2-intensiv ist.

Was also fehlt ist eine übergreifende Zieldefinition mit einer transparenten Gewichtung der Ziel/Folgen für Tierwohl, Tiergesundheit, Klima, etc.

wir-sind-tierarzt meint:

(aw) – Auslauf und Freilandhaltung für Nutztiere, dass ist im Moment eine zentrale Forderung der „Gesellschaft“. Gleichzeitig soll aber das Klima geschont oder die Grundwasserqualität erhalten werden. Diese und andere Zielkonflikte zwischen Tierwohl, Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Verbraucherschutz und Umweltschutz fair auszutarieren wird eine ganz große Herausforderung. Die aktuelle mediale Tierwohldebatte bildet das allerdings bei weitem noch nicht ab. Sie fokussiert sehr einseitig nur auf den Tierwohl-Aspekt.
Ein kleines Beispiel aus meiner oberbayerischen Berg-Gemeinde mag das zeigen: Seit Jahren gibt es ein Problem mit der Trinkwasserqualität, vor allem mit der Coli-Belastung. Das liegt vermutlich daran, dass der Brunnen undicht ist und Oberflächenwasser eindringen kann. Es gibt weit und breit aber keine einzige „Tierfabrik“, weder Mastschweine, Geflügel noch Bullenmäster. Die Landwirtschaft ist ausschließlich geprägt von kleinen Milchviehbetrieben (maximal 70 Kühe) mit viel Weidehaltung.
Die Konsequenz der Gemeinde: Nicht der Brunnen wird saniert, sondern es dürfen keine Rinder mehr im Einzugsgebiet des Brunnens weiden; für Hunde und Pferde besteht ein Betretungsverbot des Geländes. Zwei der betroffenen Landwirte sind Demeter-Bauern; sie müssen also unbedingt – so schreiben es die Bio-Verbandsrichtlinien vor – ihre Kühe auf die Weiden lassen und sind auf die Flächen angewiesen. Wer diesen Kampf gewinnt, Gemeinde oder Landwirte, Wasserschutz oder Bio-Tierwohl, ist offen. Es zeigt aber, dass selbst Weideaustrieb von Rindern nicht überall als das Non-Plus-Ultra gesehen wird.

Wissenschaftliche Quellen:
Umwelteinflüsse der weltweiten Fleischproduktion – Vortrag Judith Capper/Washington State University (PDF-Download)
Kohlenstoff-Fussabdruck der Rinderhaltung – Vortrag Larry Chase/Cornell University (PDF-Download)

Quellen Verbände/NGOS:
Rinder als Klimasünder – Deutscher Tierschutzbund (8 Seiten PDF-Dossier)

Offene Ställe wieder abdichten – Stellungnahme des Landvolks Niedersachsen zur EU-NEC-Richtlinie

Quellen EU:
Übersicht zu den NEC-Reduzierungszielen in Prozent – Briefing EU-Schattenebrichterstatter Martin Häusling / Die Grünen / 6/2015
Überblick über das komplexe Regelwerk der NEC – Centrum für europäische Politik / 2013

Beitragsbild: Klima-Killer? Jungrinder auf der Weide rülpsen Methan. (Foto: ©WiSiTiA/aw)

 

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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