Antibiotika Verbote: USA bleiben hinter deutschen Regeln zurück

Oxytetrazyklin im US-LandhandelOhne Verschreibung: Oxytetrazyklin-haltige Injektionsware im US-Landhandel (Foto:©WiSiTiA/aw)

Die USA als Vorbild für den Antibiotikaeinsatz in der Nutztiermedizin? Eher nicht, auch wenn durch Medien und Ärztefunktionärsköpfe die „Information“ geistert, die US-Behörden hätten den Einsatz von für die Humanmedizin wichtigen Antibiotika in der Nutztierhaltung verboten. Tatsächlich wurde nur nachgeholt, was in Deutschland seit 2006 gilt: Das Verbot dieser Wirkstoffe als antibiotische Leistungsförderer. 

von Annegret Wagner

Das Problem antimikrobieller Resistenzen lässt sich für den Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, unter anderem wie folgt lösen:

„Der erste Punkt muss sein, dass wir in der Tiermast die Zugabe von Antibiotika verbieten. Amerika hat das in diesen Tagen getan.“

Doch was genau hat „Amerika“ getan“? Nichts, was in Europa nicht schon seit 2006 gesetzlicher Standard ist. Tatsächlich beobachtet die US-Food and Drug Administration (FDA / die US-Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde) zwar seit längerem mit Sorge die Resistenzentwicklung. Deshalb ändert sie auch schrittweise die Regeln für die Antibiotikaanwendung. Um diese Schritte – und vor allem die US-Sprachregelungen – zu verstehen, muss man aber wissen, was bisher in der Nutztierhaltung galt und noch bis Oktober 2015 gilt.

Rezeptfreie OTC-Antibiotika für Nutztiere

Antibiotikahaltige Medikamente im Landhandel (USA)

Antibiotika im Regal: Cefapirin-haltiges Mastitis-Präparat (Today®) und Trockensteller (ToMorrow®), Tetrazyklin-haltiges wasserlösliches Pulver (Duramycin) – alles im US-Landhandel frei verkäuflich. (Foto: ©WiSiTiA/aw)

  1. Bisher gibt es in den USA zwei Arten antibiotischer Medikamente: die Freiverkäuflichen (OTC = over the counter) und die Verschreibungspflichtigen (RX = medical prescription). Viele Antibiotika sind also (noch) gar nicht rezeptpflichtig, manche nur in bestimmten Darreichungsformen oder wenn sie für bestimmte Zwecke eingesetzt werden. Die Regelungen sind recht unübersichtlich und tragen der Macht der Pharmaindustrie in den USA Rechnung.
  2. Es gibt außerdem bereits antibiotische Fütterungsarzneimittel, die nur ein Tierarzt rezeptieren kann. Das Regelwerk ist ähnlich kompliziert wie in Deutschland und wird nicht gerne angewendet. In vielen Fällen ist das aber auch gar nicht nötig, denn auch antibiotische OTC-Medikamente dürfen in Nutztier-Futter eingemischt werden – solange sie die vorgeschriebenen Konzentrationen einhalten. Das kann komplett ohne tierärztliche Verschreibung und durch Futtermischbetriebe ohne entsprechende Lizenz erfolgen. Lediglich für die Gruppe der verschreibungspflichtigen Fütterungsarzneimittel, muss auch der Mischbetrieb eine Lizenz besitzen und gesetzliche Auflagen erfüllen.
  3. Drittens werden Medikamente für die orale Anwendung in zwei Klassen eingeteilt. Klasse I umfasst die Medikamente, die keine Wartezeiten haben, wenn sie in der niedrigsten erlaubten Dosierungsmöglichkeit angewendet werden. Zu niedrige Antibiotikadosierungen bergen aber ein besonders hohes Risiko der Resistenzbildung. Antibiotika der Klasse II haben in jeder Dosierungsmenge eine Wartezeit.

Was haben die USA genau verboten?

Was Prof. Montgomery – Deutscher Ärztekammerpräsident und stellvertretender Vorsitzender des Weltärztebundes – jetzt als beispielhaft hinstellt, ist folgendes:

  • Ab dem 1. Oktober 2015 dürfen keine, für die Humanmedizin wichtigen (=medically important) Antibiotika mehr als Leistungsförderer (= for production purposes) eingesetzt werden.
  • Die therapeutische Anwendung dieser Antibiotika bleibt erlaubt, muss aber unter tierärztlicher Aufsicht erfolgen.
  • Wartezeitkategorien haben die US-Behörden zwar angepasst, doch die FDA muss selbst zugeben: Fünf, der für die Humanmedizin als „medically important“ eingestuften Medikamente werden weiterhin in Kategorie I bleiben – haben also keinerlei Wartezeitauflage.

All diese „Verschärfungen/Verbote“ sind in Deutschland bereits seit Jahren Gesetz.

Oxytetrazyklin-Tabletten im US-Landhandel

OTC ohne Rezept: Oxytetrazyklin-haltige Durchfalltabletten für Kälber im US-Landhandel. (Foto:WiSiTiA/aw)

Dazu hat die US-Regierung die VFD (= veterinary food directive) angepasst, das Formular- und Regelwerk zur Rezeptierung von Fütterungsarzneimitteln. Außerdem erwartet die FDA von der Pharmaindustrie eine „freiwillige Selbstbeschränkung“, in der Form, dass sie in Zukunft keine OTC-Antibiotika zur oralen Anwendung mehr anbieten wird. Diese OTC-Produkte sind aber zunächst weiterhin von der Verschreibungspflicht bei oraler Anwendung zu therapeutischen Zwecken ausgenommen. Erst ab 2017 (geplant) soll diese Anwendungsbeschränkung gesetzlich festgelegt werden.

Behandlungsvertrag mit Tierarzt wird Pflicht

Zusätzlich zur Änderung der Verschreibungspflicht bei oraler Anwendung von Antibiotika, muss ab dem 1.10.2015 jeder landwirtschaftliche Betrieb einen Betreuungsvertrag mit einem Tierarzt abschließen (VCPR = veterinarian-client-patient-relationship). In diesem Betreuungsvertrag wird eine Art „Hoftierarzt“ benannt, der für die Aufstellung von Behandlungsplänen, Kontrollen der richtigen Anwendung von Medikamenten und Ähnlichem zuständig ist. Dieser Hoftierarzt muss nicht der alleinige Tierarzt eines Betriebs sein und es können auch Medikamente aus anderen Quellen bezogen werden (OTC-Präparate gibt es auch im Land- oder Versandhandel). Der Hoftierarzt ist aber die oberste Autorität und andere hinzu gezogene Tierärzte müssen ihre Behandlungsvorschläge mit ihm absprechen. Außerdem ist er der Ansprechpartner für die Behörden und Berater.

USA – kein Vorbild für Deutschland

Was den Antibiotikaeinsatz betrifft, sind die USA also auch mit den neuen Regelungen noch keineswegs das Vorbild für Europa, denn:

Wie wichtig ist ein Antibiotikum für den Menschen? – Die Grafik zeigt, wo sich WHO und FDA bei der Einstufung einig sind und wo nicht.

Wie wichtig ist ein Antibiotikum für den Menschen? – Die Grafik zeigt, wo sich WHO und FDA bei der Einstufung einig sind und wo nicht. (Grafik: @Benchmark Sustainability Science)

  • In Deutschland gibt es keine freiverkäuflichen Antibiotika, schon gar nicht zur Anwendung bei lebensmittelliefernden Tieren. Jedes Antibiotikum muss durch einen Tierarzt verordnet werden. Diese Verordnung soll sich – insbesondere bei den sogenannten „Reserveantibiotika“ – an Leitlinien und Resistenztests orientieren. Dazu werden im Laufe des Jahres entsprechende Ergänzungen in die Tierärztliche Hausapothekenverordnung (TäHAV) eingearbeitet. In den USA wird es allerdings weiter frei verkäufliche Antibiotika auch für Nutztiere geben.
  • Antibiotikahaltige Leistungsförderer sind in der Europäischen Union in der Nutztierhaltung seit dem 1.1.2006 verboten. In den USA werden insbesondere Ionophore weiterhin als Leistungsförderer erlaubt sein. Neu und gut für die USA: Als „medically important“ geltende (für die Humanemedizin wichtige) Antibiotika dürfen auch dort endlich nicht mehr als Leistungsförderer eingesetzt werden. Die Behandlung kranker Tiere mit diesen Medikamenten bleibt aber erlaubt.
    Allerdings haben die USA, die Weltgesundheitsorganisation und Europa abweichende Definitionen dieser Medical-important-Kategorie (wir-sind-tierarzt berichtete – siehe auch Grafik).
  • Eine tierärztliche Verschreibungspflicht für Fütterungsarzneimittel (mit der entsprechenden Dokumentation) gibt es in Deutschland bereits seit mehr als 25 Jahren. Fütterungsarzneimittel spielen aber hierzulande fast keine Rolle mehr, weil die Kontaminationsmöglichkeiten der Fütterungstechnik so vielfältig sind.
  • Aktuell ist in Deutschland auch die orale Medikation – bei der die Antibiotika im Stall erst so dicht wie möglich an der Tiergruppe dem Futter oder Trinkwasser zugegeben werden sollen, um Verschleppungen zu vermeiden – Thema staatlicher Regelungen. So hat das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Beteiligung der Tierärzteschaft überarbeitete Leitlinien zur oralen Medikation und entsprechende Anwendungshinweise veröffentlicht – diese werden im Laufe des Jahres 2015 (teilweise) auch per Verordnung rechtlich verbindlich.
    In den USA gibt es von verschiedenen Verbänden (z.B. AABP oder AASV) ausgearbeitete Leitlinien, die allerdings eher Selbstverständliches betonen.
  • Strenger geregelt ist in den USA allerdings die Umwidmung (= extra label use) von Medikamenten bei Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen – bei Cephalosporinen und Fluorquinolonen etwa, die für nur eine Indikation zugelassenen sind, ist eine weitergehende Umwidmung   nicht erlaubt. Es dürfen generell nur solche Präparate verwendet werden, die für die entsprechende Tierart/Nutzungsart zugelassen sind. Die Bandbreite der Zulassungen von Medikamenten ist in den USA auch schmaler als in Europa.
  • Auch tierärztliche Betreuungsverträge sind in Deutschland noch nicht gesetzlich vorgeschrieben, obwohl die Tierärzteschaft das seit langem fordert. Hier ist die USA einen Schritt voraus. Allerdings schreiben viele Abnehmerfirmen und Qualitätssicherungsprogramme der Lebensmittelindustrie bereits solche Bestandsbetreuungsverträge vor (z.B. QS, offene Stalltür, Bioverbände, Molkereien, Integrationen). De facto dürfte es kaum noch landwirtschaftliche Betriebe mit nennenswerter Nutztierhaltung ohne einen tierärztlichen Betreuungsvertrag geben.

Rolle des Tierarztes gestärkt

Interessant an den neuen Regelungen in den USA ist die Stärkung der Rolle des Tierarztes. Die FDA hat erkannt, dass sich durch die gesetzliche Einbindung der Tierärzte in die Verordnung und Anwendung von Antibiotika, die Verkaufswege und der Einsatz auf den Betrieben effektiver kontrollieren lassen. Genau das war und ist eine der zentralen Begründungen, die tierärztliche Berufsverbände in Deutschland für den Erhalt des  Dispensierrechtes für Tierärzte ins Feld führen.

wir-sind-tierarzt meint:

(aw) – Genau hinsehen, Herr Ärztekammerpräsident. Die neuen Regelungen in den USA haben keineswegs Vorbildcharakter für Deutschland. Wir sind da schon längst weiter. Was dort hochkompliziert neu geregelt wird, sind Maßnahmen, die immer noch nicht an die seit 2006 EU-weit gültigen Standards heranreichen.
Zum Glück verbieten die USA eben nicht pauschal den Einsatz von Antibiotika in der Tiermast. Kranke Nutztiere haben ein Recht auf Behandlung. Der therapeutische Einsatz von Antibiotika in der Tiermast steht auch in den USA überhaupt nicht zur Debatte. In diesen Fällen dürfen alle Antibiotika verwendet werden – also auch solche, die wertvoll für die Humanmedizin sind – wenn es denn medizinisch begründet werden kann (Laboruntersuchungen, Resistenztests etc.). Auch das ist in Europa und Deutschland Standard.

In einem Fall aber sind die USA Vorbild: Interessanterweise nimmt die US-Bevölkerung das Thema Antibiotikaresistenzen ganz anders wahr, als die Menschen hierzulande: In den USA glauben/wissen die meisten Menschen nämlich, dass Resistenzen in der Humanmedizin eben auch dort entstehen – durch zu häufige Verschreibungen/Anwendungen von Antibiotika durch Ärzte. Das berichtet zum Beispiel Rick Berman, Executive Director des Center for Consumer Freedom. Allerdings verschaffen sich auch in den USA zunehmend Gruppen Gehör (z.B. PETA oder HSUS – eine weitere Tierschutzorganisation) die den Schwarzen Peter in der Landwirtschaft sehen.
In dem Fall wäre Europa dann wieder ein schlechtes Vorbild. Aber was die staatlichen Regeln für den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung angeht, dürfen die Vereinigten Staaten gerne mehr aus Deutschland übernehmen.

Beitragsbild: Ohne Verschreibung: Oxytetrazyklin-haltige Injektionsware im US-Landhandel (Foto:©WiSiTiA/aw)

Quellen und weiterführende Links

Endgültige Regelungen zum Umgang mit und Verschreibung von Fütterungsarzneimitteln vom 3.6.2015 (PDF-Download)
Übersicht über die  „Veterinary Feed Directive“ (VFD)
 (PDF-Download)
Liste der verschreibungspflichtigen Antibiotika (VFD-pflichtig)
US-Gesetzessammlung zu Lebensmitteln und Arzneimitteln (PDF-Download)

 

Teilen
Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)