„Schweigepflicht“ oder „gutes Gewissen“?

Katastrophale Tierhaltungsbedingungen – hier für Kaninchen. (Foto: WiSiTiA/hh)

Wie müssen Tierärzte handeln? Unbelehrbare Besitzer anzeigen, wenn sie ihre Tiere weiterhin schlecht halten oder gar quälen? Oder sind einem Praktiker durch die berühmte „Schweigepflicht“ die Hände gebunden?

Von Henrik Hofmann

Logo_Bay_TierärztetageTatsächlich macht sich ein Tierarzt nach §203 Abs.1 Nr.1 StGB strafbar, wenn er „unbefugt“ ein ihm anvertrautes oder sonst im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit bekannt gewordenes fremdes Geheimnis offenbart. Ein solches Geheimnis ist eine Tatsache, die nur ihm oder einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung derjenige, den sie betrifft, ein von seinem Standpunkt aus sachlich begründetes Interesse hat. Das berichtete Dr. Johanna Moritz aus Oberschleißheim beim Bayerischen Tierärztetag.

Den feinen Unterschied mache aber eben dieses Wörtchen „unbefugt“ aus. Denn machen höherwertige öffentliche Belange es erforderlich, dass die Feststellung bekannt gemacht – also angezeigt – wird, dann werde der Tierarzt von seiner „Schweigepflicht“ entbunden, er ist „befugt“. Spätestens seit Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz aufgenommen, gehört der Schutz der Tiere zu den öffentlichen Belangen und Rechtsgütern. Das stelle auch der europäische Verhaltenskodex der Tierärzte aus dem Jahr 2008 klar.
Zu beachten ist allerdings, dass der Tierarzt den Tierhalter zuvor belehren muss. Aber auch das nicht immer, sagt Moritz. Es gebe auch Fälle, in denen das aussichtslos erscheine und von vornherein davon ausgegangen werden könne, dass der Misshandelnde unbelehrbar ist.

Anzeige ist keine Pflicht

Generell aber sei der Tierarzt nicht zur Anzeige verpflichtet, erläutert Moritz weiter. Im Gegenteil: Dient es im Einzelfall dem Wohl des Tieres, die Anzeige zu unterlassen, könne er auch schweigen. Als Beispiel nennt sie, wenn „so eine kontinuierliche Behandlung mit der Möglichkeit weiterer Einwirkung auf den Patientenbesitzer zu erwarten ist“.

Zeigen Tierärzte einen Tierhalter an, bringen sie sich schnell in eine gefährliche Lage. Rufmord und Cybermobbing seien hier nur als Stichworte genannt. Es besteht allerdings die Möglichkeit, eine Anzeige anonym vorzubringen. Die Ämter haben die Möglichkeit, „vage auf einen Hinweis aus der Bevölkerung“ hinzuweisen.

Detaillierte Informationen zum Thema Schweigepflicht – auch für juristisch interessierte – gibt es hier von Dr. Christoph Maisack, Deutsche juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V. (PDF-Download).

Kommentar von wir-sindtierarzt.de:

(hh) – Ich selbst habe vor Jahren einen Tierhalter „anonym“ angezeigt. Nach anderthalb Jahren erhielt der Anwalt des Halters schließlich Akteneinsicht. Und da stand, dass der Tierarzt die Anzeige erstattet hatte. Der Tierhalter erzählte das JEDEM! Selbst von Politikern auf Landesebene wurde ich angesprochen, wie ich das dem „armen Mann“ habe antun können. Wahrscheinlich hat es mich Kunden gekostet. Aber es war richtig. Nichts zu tun und sich hinter der Schweigepflicht zu verstecken, schadet nicht nur dem allgemeinen Ansehen der Tierärzteschaft, sondern ist moralisch verantwortungslos.

Bild: ©2015 WiSiTiA/hh

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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