Antibiotikaresistenzen: Konflikt der Ärzteverbände

Ärztekammerpräsident Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery will Tierkrankheiten beschreiben lassen, die noch mit Antibiotika behandelt werden dürfen und der Tiermedizin ganze antibiotische Wirkstoffklassen verbieten. Enttäuscht und mit Unverständnis reagieren die Präsidenten der tierärztlichen Standesvertretung auf diese Forderungen. Eine Gegenüberstellung der Verbände-Statements.

von Jörg Held

Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. (Foto: © Bundesärztekammer)

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. (Foto: © Bundesärztekammer)

Die Verbots-Beschlüsse des Deutschen Ärztetages (wir-sind-tierarzt.de berichtete hier ausführlich) hat der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Dr. Frank Ulrich Montgomeryin einer Pressemitteilung zum G7-Gipfel noch einmal bestärkt:

„… Es ist besonders bedenklich, dass in der Tiermast in Deutschland mehr als doppelt so viele Antibiotika eingesetzt werden wie in der Humanmedizin. Dabei kommen Antibiotika zum Einsatz, die in der humanmedizinischen Antibiotika-Therapie unverzichtbar sind. Der Einsatz dieser Antibiotika in der Veterinärmedizin muss gänzlich verboten oder zumindest gesetzlich auf klar umgrenzte Einzelfälle beschränkt werden.“

In einem von der Ärztekammer verbreiteten Video-Statement (siehe unten) nennt er die Einschränkungen für die Tiermedizin sogar als allerersten und wichtigsten Schritt gegen den „voreiligen Verbrauch von Antibiotika“. Montgomery fordert auch hier ein „Verbot in der Tiermast“ und will Krankheiten bei Tieren beschreiben lassen, „die noch mit Antibiotika behandelt werden dürfen“.

 

 

Kritik von BTK und bpt: Populistische Forderungen

Prof. Dr. Theo Mantel, Präsident der Bundestierärztekammer (BTK)

Prof. Dr. Theo Mantel, Präsident der Bundestierärztekammer (BTK)

Der Präsident der Bundestierärztekammer, Professor Dr. Theo Mantel, erwidert:

„Die Humanmedizin ist auf Verbandsebene leider nicht frei von populistischen Forderungen nach Verboten ganzer Antibiotikaklassen für die Tiermedizin und einem sinnlosen Mengenvergleich beim Antibiotikaverbrauch von Human- und Tiermedizin. Auf wissenschaftlicher Ebene ist man hier seit Jahren weiter.“

Dr. Hans-Joachim Götz, Präsident des bpt. (Foto: © bpt)

Dr. Hans-Joachim Götz, Präsident des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt). (Foto: © bpt)

Dr. Hans Joachim Götz, Präsident des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) sieht in den Äußerungen

„…ein Zeichen dafür, dass sich die Ärzteschaft dem Gedanken von One Health und einer gemeinsamen Verantwortung für die Resistenzminimierung entzieht und nicht konstruktiv mitarbeitet. Sie fällt zurück in die Schuldzuweisungen an die Veterinärmedizin“.

Beide Verbände sind enttäuscht, dass die obersten humanmedizinischen Standesvertreter offenbar wenig von einer gemeinsamen Resistenzbekämpfungsstrategie halten, in der jede Berufsgruppe die Verantwortung für ihre eigenen Problembereiche übernimmt – so wie es die Deutsche Antibiotika Resistenzstrategie (DART 2020) und auch der Beschluss des G7-Gifpel weltweit vorsehen.

Streit um „Reserveantibiotika“

Das zeigt sich insbesondere bei den Positionen zu den sogenannten „Reserveantibiotika“. Die Tiermedizin plädiert für einen kontrollierten und auch reglementierten Einsatz der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „Highest Priority Critically Important“ eingestuften Medikamente, um die eingesetzten Mengen zu reduzieren und Resistenzen zu minimieren – in Tier und Humanmedizin.
Humanärztekammer-Präsident Montgomery dagegen meidet auf diesem Feld konkrete Festlegungen für den eigenen Bereich und umschreibt diese Wirkstoffe in der Humandmedizin mit „Breitspektrum-Antibiotika“: Man habe im ambulanten Bereich einen niedrigen bis mittleren Antibiotika-Verbrauch. Die Humanmediziner würden „jedoch häufig Breitspektrum-Antibiotika verordnen. Hier müssen wir bei der Aus-, Weiter-, und Fortbildung der Ärztinnen und Ärzte den Blick auf eine rationale Antibiotika-Therapie weiter schärfen.“

Wenig Problembewußtsein der Humanmedizin

Während er der Tiermedizin Auflagen bis hin zum Totalverbot erteilen lassen möchte, ist für den 118. Deutschen Ärztetag die Verantwortung der Humanmedizin für  Antibiotikaresistenzen kein Thema: In den 400 Protokollseiten der Ärztetagsbeschlüsse finden sich ganze vier Tagesordungspunkte mit dem Stichwort „Antibiotika“: Einmal wird der Zehn-Punkte-Plan des Bundesgesundheitsministers kritisiert, weil er von der Humanmedizin mehr Fortbildung zur Resistenzminimierung erwartet  – allein drei(!) Beschlüsse thematisieren den zu hohen Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin – einmal geht es um Lieferschwierigkeiten einer antibiotischen Augensalbe.

 

Wortlaut der Stellungnahme von BTK-Präsident Prof. Theo Mantel:

„Die Humanmedizin ist auf Verbandsebene leider nicht frei von populistischen Forderungen nach Verboten ganzer Antibiotikaklassen für die Tiermedizin und einem sinnlosen Mengenvergleich beim Antibiotikaverbrauch von Human- und Tiermedizin. Auf wissenschaftlicher Ebene ist man hier seit Jahren weiter.
Es ist unzweifelhaft richtig, dass der Antibiotikaverbrauch in der Tiermedizin und in der Humanmedizin reduziert werden muss. Gegenseitige Schuldzuweisungen betrachten wir als nicht zielführend. Verstärkte Fortbildung, sorgfältigen Umgang mit Antibiotika und einen Einsatz nur aufgrund einer tierärztlichen Untersuchung und Diagnose unterstützt die deutsche Tierärzteschaft seit Jahrzehnten.
Verbote bestimmter Antibiotika oder gar ganzer Substanzklassen hingegen führen nur dazu, dass Tiere nicht mehr wirksam behandelt werden können. Das fördert eher die Resistenzbildung als dass es sie bekämpft und widerspricht dem Tierschutzgedanken. Eine Verringerung des Arzneimittelbedarfs in der Tiermedizin ist nur dann erreichbar, wenn es gelingt, die Tiergesundheit entscheidend zu verbessern.“

Stellungnahme* des bpt-Präsidenten Dr. Hans-Joachim Götz:

„Die Entschließungen des Ärztetages und auch die Äußerungen des Ärztekammerpräsidenten Dr. Frank Ulrich Montgomery sind ein Zeichen dafür, dass sich die Ärzteschaft dem Gedanken von One Health und einer gemeinsamen Verantwortung für die Resistenzminimierung entzieht und nicht konstruktiv mitarbeitet. Sie fällt zurück in Schuldzuweisungen an die Veterinärmedizin. Die Humanmedizin erkennt in keinster Weise an, dass die Veterinärmedizin bereits viel zur Resistenzminimierung und der Reduzierung des Antibiotikaverbrauches getan hat.
Persönlich ärgert mich besonders, dass die Spitze der verfassten Ärzteschaft nicht wahrnimmt, dass ihre eigene Experten von großen Mängel in der Krankenhaushygiene und beim ärztlichen Verschreibungsverhaltens sprechen. Das wird negiert. In den Kammern und den großen Gremien der Humanmedizin hat das Thema Resistenzminimierung noch keine Priorität. Die angesprochenen kritischen Medikamente, verwenden die Humanärzte selbst als Mittel der ersten Wahl und setzen sie keineswegs restriktiv ein.
Ich habe den Ärztekammerpräsidenten Montgomery persönlich zu einem gemeinsamen tier- und humanmedizinischen Resistenzsymposium auf den bpt-Kongress im November nach München eingeladen. Er hat abgesagt, mit der Begründung, er sei in dem Thema nicht drin. Dann soll er sich auch in der Öffentlichkeit mit Vorwürfen an die Tiermedizin zurückhalten.“
* das Statement ist die Zusammenfassung eines Telefoninterviews
am 24. Juni hat der bpt hier auch eine offizielle Stellungnahme zu diesem Thema veröffentlicht.

Wortlaut der Stellungnahme von BÄK-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery (Auszug):

„Mit der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie wurden wichtige Schritte zur Eindämmung von behandlungsassoziierten Infektionen und Antibiotika-Resistenzen im human- und veterinärmedizinischen Bereich eingeleitet. Nun müssen weitere Maßnahmen folgen. So sind in den letzten Jahren nur wenige neue Antibiotika auf den Markt gekommen. Gerade vor diesem Hintergrund ist besonders bedenklich, dass in der Tiermast in Deutschland mehr als doppelt so viele Antibiotika eingesetzt werden wie in der Humanmedizin. Dabei kommen Antibiotika zum Einsatz, die in der humanmedizinischen Antibiotika-Therapie unverzichtbar sind. Der Einsatz dieser Antibiotika in der Veterinärmedizin muss gänzlich verboten oder zumindest gesetzlich auf klar umgrenzte Einzelfälle beschränkt werden.“ (vollständige Pressemitteilungen hier und hier /Video)

Bericht auf wir-sind-tierarzt.de zu den Beschlüssen des 118. Deutschen Ärztetages

Quellen und weiterführende Links

Pressemitteilung des Präsidenten der Bundesärztekammer zum Thema Antibiotika/G7-Gipfel
Pressemitteilung der Bundesärztekammer mit Video-Statement – („Antibiotika-Thema“ ab ca. Minute 1.53)
Entschließung I-17 des 118. Dt. Ärztetages 2015 (PDF-Download): Tonnenvergleich Antibiotikaeinsatz Human/Tiermedizin
Entschließung  I-43 des 118. Dt. Ärztetages 2015 (PDF-Download): Cephalosporine 3./4. Generation und Fluorchinolone für Veterinärmedizin verbieten

Komplettes Beschlussprotokoll des 118. Deutschen Ärztetages 2015
Komplettes Beschlussprotokoll des 117. Deutschen Ärztetages 2014

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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