(jh) – Wann wird aus Unmut Wut? Nicht einmal die Hälfte der über 4.500 interessierten Landwirte können bei der Initiative Tierwohl mitmachen, weil das Geld nicht reicht. Jetzt gibt es auch erste Zweifel an dem Losverfahren: Wurden große Betriebe bevorzugt?
Die ersten Rückmeldungen aus der Bauernschaft legten nahe, dass offenbar besonders viele kleine und mittlere Betriebe mit hohen Tierwohlstandards rausflogen seien, schreibt PROVIEH auf der Facebookseite des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbandes. Die einzige am Ende noch an der wirtschaftsgetragenen Initiative Tierwohl (ITW) beteiligte Tierschutzorganisation ist skeptisch, „weil die durchschnittlichen Betriebsgrößen, die sich rein rechnerisch aus den von der Trägergesellschaft veröffentlichten Zahlen ergeben, sehr hoch sind“.
Eine Ungleichbehandlung lässt sich – zumindest aus den veröffentlichten Zahlen – aber nicht generell ableiten: Stellt man die Betriebe und Tierzahlen derer, die mitmachen dürfen und derer, die abgewiesen wurden, gegenüber so gibt es nur bei den Sauenhaltern eine deutlichen Unterschied bei den Durchschnittszahlen (Tabelle).
Allerdings ist die so errechnete „DurchschnittsTIERzahl“ nicht die Zahl der jeweils aktuell im Stall gehaltenen Tiere, sondern es ist die Zahl der voraussichtlich pro Jahr von diesem Landwirt verkauften/aufgezogenen Tiere. Wenn man diese Zahlen – mit aller gebotenen Vorsicht – auf „Stallplätze“ umrechnen möchte, dann mit folgenden Faktoren:
- Bei den Mastschweinen erreicht ein guter Betrieb drei Durchgänge pro Jahr – 3.340/3 = 1.113 Mastplätze pro Betrieb
- In der Ferkelaufzucht rechnet man mit etwa acht Durchgängen pro Jahr – 8.711/8 = 1.088 Ferkelplätze pro Betrieb
- Bei den Sauen geht es um die Zahl der aufgezogenen/abgegebenen (nicht geborenen) Ferkel. Hier geht man etwa von 28 Ferkeln/Jahr/Sau aus – 9.970/28 = 356 Sauen pro Betrieb.
Regional haben sich in NRW und Niedersachsen die meisten Tierhalter angemeldet und es wurden auch dort die meisten Betriebe zur Teilnahme zugelassen (Tabelle als PDF-Download hier).
Intransparentes Losverfahren?
Nichtsdestotrotz können von 4.653 Betrieben, die sich mit 25.5 Millionen Tieren für die Teilnahme beworben haben, nur 2.142 Betriebe mit gut 12 Millionen Tieren mitmachen, beklagt PROVIEH-Referentin Sabine Ohm: „Es fehlt jegliche Transparenz über den Ablauf dieses Losverfahrens“, mit dem diese Landwirte aus ausgewählt worden seien.
Das automatisierte Verfahren hätte Betriebe mit demselben Anmeldedatum und Umsetzungszeitpunkt per Zufallsgenerator Zufallszahlen zugewiesen und in der Reihenfolge der Zahlen seien sie dann berücksichtigt worden, erklärt die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) das Verfahren. Die Platzvergabe auf der Warteliste sei anhand der Sortierung nach der Größe der Zufallszahlen erfolgt, berichtet die Webseite stallbesuch.de unter Berufung auf ITW-Geschäftsführer, Dr. Alexander Hinrichs. Es habe keine Quotierung oder sonstige Auswahlkriterien (z.B. Betriebsgröße, Regionalität) gegeben.
Zufrieden sind aber weder Schweinhalter-, noch Bauernverbände, noch Politiker mit dem Ergebnis (Stellungnahmen lesen sie hier). Unisono fordern sie den Handel auf mehr Geld in die Initiative einzuzahlen.
Metro und Norma drücken sich
Das eine Vier-Cent-Umlage pro verkauftem Kilo-Schweinefleisch in den beteiligten Lebensmittelläden (darunter die großen Aldi, Lidl, Edeka) nicht reichen würde, war letztlich klar. Außerdem machen noch ein paar große Anbieter am Markt überhaupt nicht mit, zum Beispiel: Metro, Globus, Norma, CITTI und Familia. Etwa 55 Millionen Euro sollte die Vier-Cent-Umlage für den Schweinesektor im erste Jahr bringen.
Jetzt müsse der Handel die Teilnehmerzahlen erweitern und „sofort den Beitrag von 4 auf 8 Cent pro Kilo aufstocken, damit alle interessierten Betriebe mitmachen können“, fordert PROVIEH. Als einer der konzeptionellen Mitbegründer des Tierwohl-Bonitierungssystems, werde man nicht tatenlos zusehen, wie die ITW zur Alibinummer verkommt. „Nun wird sich also zeigen, wie ernst es der Branche mit dem Tierwohl wirklich ist.“
Alibi-Tierschutzverein
Dahinter steht wohl auch, dass PROVIEH selbst fürchtet, als Alibi-Tierschutzverein der Initiative dazustehen, denn der Deutsche Tierschutzbund war bereits frühzeitig ausgestiegen, weil er seine Positionen nicht glaubte durchsetzen zu können – und sich auch mit seinem eigenen Tierschutzlabel in einer gewissen Konkurrenz sah. Dass die Tierschützer wenig Einfluss hatten, schreibt auch PROVIEH: „Schlimm genug, dass Boni und Fonds überhaupt (gegen unseren erklärten Willen) gedeckelt wurden.“