Ungeborene Kälber, Ferkel und Fohlen vor der Schlachtung schützen

hochträchtige FleckviehkuhHochträchtige Fleckviehkuh (Foto:©WiSiTiA/aw)

Hochtragende Tiere sollen nicht geschlachtet werden. Darüber gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Deutschland wird deshalb Vorschriften erlassen, die ungeborene Kälber, Ferkel oder Fohlen schützen und eine Gesetzeslücke schließen. Wie ein solches Verbot aussehen könnte und warum es kommen wird, erklärt Teil II der Artikelserie zur Schlachtung gravider Nutztiere auf wir-sind-tierarzt.de.

von Jörg Held
(siehe auch Teil 1: „Einzelfall oder Standard – die Schlachtung trächtiger Rinder“)

Ein solches Schlachtverbot hochtragender Tiere wird aber aufgrund von höherrangigem EU-Recht nicht direkt am Schlachthof möglich sein, sondern eher über „Umwege“ erfolgen. Im Gespräch sind ein Verbot der Anlieferung und/oder ein Transportverbot „hochtragender Tiere“. Gemeint sind damit immer Tiere im letzten Drittel einer Trächtigkeit – auf diese konzentrieren sich momentan Gesetzgeber und Politik. Auf Bundesebene ist eine Verbotsregelung  aber wohl frühestens für 2018 zu erwarten, denn erst Ende 2017 ist ein Forschungsprojekt abgeschlossen, das die entsprechenden Daten liefern soll. Bis dahin wollen einzelne Bundesländer mit freiwilligen Vereinbarungen die Zahl der Schlachtung tragender Nutztiere verringern – im Raum steht allein bei den Rindern die Zahl von 180.000 Tieren (Wie groß das Problem ist, erläutert der erste Teil 1 dieses Artikels).

Freiwilliger Landeskodex

Schleswig-Holstein hat als erstes Bundesland im Dezember 2014 einen solchen Landeskodex zum Verzicht auf die Schlachtung hochtragender Rinder formuliert, der unter anderem festlegt, dass „Schlachtungen trächtiger Rinder und gezielte Aborte im letzten Drittel der Trächtigkeit grundsätzlich nicht erfolgen dürfen.“ Außerdem ist bei anstehender Schlachtung eine Trächtigkeitsuntersuchung für Rinder obligatorisch, die künstlich besamt oder (zeitweise) mit einem Bullen gehalten wurden. Mit dieser Vereinbarung verpflichten sich das Land, Landwirtschaftsverbände, Verbände der Fleischwirtschaft und die Landestierärztekammer die Massnahmen bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung auch umzusetzen. Sanktionen bei Verstößen gibt es aber nicht. Deshalb fordern die Verbände eine bundesweite gesetzliche Regelung mit entsprechenden Strafen.
Diese Forderung hatte auch die Länder-Agrarministerkonferenz im September 2014 gestellt (Details hier).

Deutsches Recht contra EU-Recht

hochträchtige Fleckviehkuh

Hochträchtige Fleckviehkuh (Foto:©WiSiTiA/aw)

Wie eine solche bundesweite gesetzliche Regelung aussehen könnte und welche Probleme es dabei gibt, erläuterte Dr. Katharina Kluge, Referatsleiterin Tierschutz im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) auf dem BbT-Kongress 2015 in Bad Staffelstein:

  • Man könnte zum einen das Tierschutzgesetz ändern und den Tierhaltern die Abgabe hochträchtiger Tiere an einen Schlachthof verbieten.
  • Die zweite Möglichkeit wäre ein ausgeweitetes Transportverbot für Tiere im letzten Drittel der Trächtigkeit. Die aktuell gültige EU-Regelung verbietet nur den Transport in den letzten zehn Prozent einer Trächtigkeit und will damit vor allem das Muttertier vor einer Geburt während des Transportes schützen – und nicht den Fötus.
  • Beides wären nationale Verbote, die nicht für Tiere gelten, die aus dem Ausland an deutsche Schlachthöfe geliefert würden.
  • Die Verbote liessen sich mit dem Tierschutzrecht und auch der EU-Tierversuchsrichtlinie legitimieren, denn diese schützt als erster Rechtsakt auch ungeborenes Leben.

Ein Verbot der Schlachtung hochträchtiger Tiere am Schlachthof direkt sei aber nicht möglich, weil das EU-Tierschutz-Schlachtrecht weitgehend „abschließend“ sei. Das bedeutet: „Wir dürfen national keine über geltendes EU-Recht hinausgehende Vorgaben für den Umgang mit trächtigen Tieren am Schlachthof verbindlich vorschreiben,“ sagte Kluge. Die Bundesregierung habe mehrfach bei der EU das Problem angesprochen und die Kommission habe auch zugesagt, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit einer wissenschaftlichen Stellungnahme zu beauftragen, dies aber noch nicht getan. Deshalb werde Deutschland gemeinsam mit anderen Mitgliedsstaaten die EFSA nun direkt darum bitten. Stellungnahmen der EFSA sind üblicherweise die notwendige Basis für (geändertes) EU-Recht.

Niedersachsen: Vorstoß auf Länderebene

Bis zu einer (EU)Gesetzesänderung müssen also Vereinbarungen greifen, die vor dem Schlachthof ansetzen. Niedersachsen hat dazu ebenfalls ein Projekt gestartet, das federführend für den Nordwesten Deutschlands sein soll und folgende Ziele formuliert:

  • Es will den Transport gravider Nutztiere zum Schlachthof verhindern.
  • Ein Verbot der Abgabe hochträchtiger Tiere zur Schlachtung erreichen.
  • Regeln für die Anwendung von Betäubungs- und Tötungsverfahren für ungeborene Kälber, Lämmer, Ferkel und Fohlen festlegen – insbesondere einen Zeitpunkt, ab wann für sie eine tierschutzgerechte Tötung erfolgen muss.
  • Rückmeldung vom Schlachthof an den Tierhalter vorschreiben, wenn dieser trächtige Tiere anliefert – und dies auch wirtschaftlich sanktionieren.
  • Mehr Transportkontrollen und mehr Sanktionen festlegen.
  • Bedingungen für gravide Nutztiere schaffen, damit sie bis zur Niederkunft auf den Betrieben bleiben können.

Außerdem soll wissenschaftlich geklärt werden,

  • ob Transporte hochträchtiger Tiere (letztes Drittel statt letztes Zehntel) aus Tierschutzsicht überhaupt zulässig sind.
  • ob das Fleisch gravider Tiere grundsätzlich verzehrtauglich ist. Bei der Hormonbelastung bestehe noch Untersuchungsbedarf. Aber wenn ein Kalb im Muttertier euthansiert werden muss, ist klar, dass dann das Fleisch der Mutterkuh aufgrund der angewendeten Medikamente nicht mehr tauglich ist.

Das Ziel: Schlachthoftourismus verhindern

Bis zum Sommer soll zumindest eine entsprechende Vereinbarung mit Tierhaltern, Viehhändlern/Vermarktern sowie Schlachthöfen/der Fleischwirtschaft geschlossen werden. Vorbild ist der Landeskodex aus Schleswig-Holstein. Dabei möchte Niedersachsen solche Vereinbarungen möglichst länderübergreifend verbindlich machen, um einen „Schlachthoftourismus“ zu verhindern. Gute Chancen dürften hier in der Zusammenarbeit von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und NRW bestehen, weil dort alle zuständigen Landwirtschaftsministerien von grünen Politikern geführt werden.

Auch das grün-regierte Baden-Württemberg erfasst zur Zeit als Länderprojekt die Daten zur Schlachtung gravider Tiere an allen Schlachthöfen, um so eine Übersicht über die tatsächliche Dimension des Problems zu bekommen. Erste Informationen zeigen, dass hier die Zahlen aber wohl doch nicht in der bisher befürchteten Größenordnung liegen.

Forschung für eine Gesetzesänderung

Daten liefern, die die Schlachtung gravider Nutztiere vermeiden helfen, ist das Ziel des Forschungsprojektes "S!gn".

Daten liefern, die die Schlachtung gravider Nutztiere vermeiden helfen, ist das Ziel des Forschungsprojektes „S!gn“. (Foto: Vortrag K. Riehn; BbT-Kongress Bad Staffelstein)

Die wissenschaftliche Grundlage für eine Bundesgesetzgebung soll ein vom Bundeslandwirtschaftsministerium beauftragtes und bis Ende 2017 laufendes Forschungsprojekt liefern. Es wird das Problem auf Basis aller trächtigen Tiere am Schlachthof analysieren (Rinder, Schweine, kleine Wiederkäuer und auch Pferde – Ziele siehe Foto).
Die federführende Professorin Dr. Katharina Riehn, sieht – basierend auf ihrer ersten Studie – drei Gründe für die Anlieferung trächtiger Tiere, wobei vor allem der erste Punkt der Auslöser für die aktuelle gesellschaftliche Debatte ist:

  • Es kommen gravide Tiere zur Schlachtung, deren „weitere Nutzung unwirtschaftlich erscheint, etwa weil teure Behandlungen notwendig wären“.
  • Geschlachtet werden auch fehlgeleitete Tiere, deren Trächtigkeit nicht bekannt ist. Warum Landwirte Trächtigkeiten verhältnismäßig oft übersehen, soll erforscht werden.
  • Unstrittig ist der Fall von trächtigen Tiere, die aufgrund von Verletzungen geschlachtet werden müssen.

Weil die Punkte 1 und 2 weder von der Gesellschaft, noch von Politik, Tierärzten und auch Landwirten als Tötutngsgrund akzeptiert werden, hat Riehn die Prämissen für das neue Forschungsprojekt  entsprechend konkret und scharf formuliert:

  • Die Schlachtung hochträchtiger Tiere ist ohne vernünftigen Grund nicht zu akzeptieren.
  • Die Schlachtung darf nur in definierten Ausnahmefällen und nur mit tierärztlicher Indikation und Bescheinigung erfolgen.
  • Für den tierschutzgerechten Umgang mit den Feten muss bei der Schlachtung mindestens eine  Minimallösung angestrebt werden. Wie diese aussieht, ist zu definieren.

Ein Verbot wird kommen

Die klaren Formulierungen beim Forschungsprojekt und auch auf Bundes- und Länderebene machen deutlich, dass eine Regelung/ein Verbot kommen wird. Auch welche Punkte es umfassen dürfte, ist aus den – in den verschiedenen Projekten – weitestgehend identischen Formulierungen/Zielvorgaben erkennbar:

  • Verbot der Anlieferung hochträchtiger Tiere an den Schlachthof
  • Transportverbot im letzten Drittel
  • Rückmeldung an den Tierhalter.

Welche Sanktionen dieser dann zu erwarten hat, ist allerdings noch nicht absehbar.
Auch das privatwirtschaftliche Qualitätssicherungs-System der Lebensmittelwirtschaft (QS) hat die Schlachtung hochtragender Tiere zum Jahreswechsel in die Liste seiner K.O.-Kriterien aufgenommen, die an den Tierhalter zurückgemeldet werden und im Rahmen weiterer Audits dann abgestellt werden müssen.

Quellen

Landeskodex Schleswig-Holstein zur Schlachtung gravider Rinder (12/2014 / PDF-Download)

Eigene Recherchen/Vorträge BbT-Kongress Bad Staffelstein 2015

 

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)