Wie die Bergader-Werbung die Glaubwürdigkeit einer Branche untergräbt

Nutztierhaltung als Ponyhof – die Idylle aus der Werbung. (packshot WiSiTiA/aw)

„Lasst euch nicht vera…“, schon gar nicht von der Werbung, möchte man schon fast mit den sieben Märchenzwergen aus dem Kino¹ singen, wenn man TV-Spots und Verpackungsdesign für so manches Lebensmittel ansieht – heute ganz speziell und exemplarisch die Kampagne der Bergader-Privatkäserei.
(Bergader hat mit einer Stellungnahme auf unseren Kommentar vom 6.2.2015 reagiert – deshalb die Aktualisierung zum 16.4.2015.)

Ein Kommentar von Annegret Wagner

Warum uns da zum heulen ist? Weil nach unserem Kenntnisstand Bergwiesen über 800 Meter üblicherweise nur von Juni bis September genutzt werden und dann auch nur überwiegend für Jungvieh. Kühe sind selten so weit oben anzutreffen, denn man muss sie täglich melken und die Milch zur Molkerei bekommen. Dafür sind die meisten Almen zu schlecht zugänglich und haben auch gar nicht genug Bewuchs für milchgebende Kühe.
Inzwischen halten die kleinen, die Bergader-Käserei beliefernden Familienbetriebe auch in der Werbung im „Durchschnitt 25 Kühe“. Zu den Anlieferern der Molkerei gehören nämlich auch Betriebe mit über 100 Kühen. Die Liefergebiete in dieser Region sind nämlich neuerdings so aufgeteilt, dass die Milchabholung möglichst effektiv erfolgen kann und nicht danach, wie „klein“ die Betriebe sind oder wie viele verschiedene Kräuter (warum ausgrechnet 100?) die Kühe möglicherweise fressen.

Latzhose statt Krachlederne

Nutztierhaltung als Ponyhof – die Idylle aus der Werbung. (packshot WiSiTiA/aw)

Nutztierhaltung als Ponyhof – die Idylle aus der Werbung. (packshot WiSiTiA/aw)

Der Landwirt – der Redaktion persönlich bekannt – trägt übrigens im richtigen Arbeitsalltag nur blaue Latzhosen, aber durchaus Bart. Und würde er das Futter für seine Kühe mit der Sense mähen, wäre er dem Stand der Technik etwa 70 Jahre hinterher und nicht mehr konkurrenzfähig – nicht mal mehr in Bayern …

Das Recht auf Verbraucherschelte verwirkt

Solange also Wirtschaftsbeteiligte mit diesen oder vergleichbaren Werbspots und Packungsdesigns die Verbraucher – formulieren wir höflich –, „betuppen“, dürfen sie sich weder wundern noch ärgern und schon gar nicht beklagen. Klagen darüber, dass eben diese Verbraucher am Ende des Tages genau diese beworbene idyllische Tierhaltung von der Politik fordern – und zwar flächendeckend, nicht nur auf der Alm.
Es ist extrem kurzsichtig für einen vermeintlichen Marketingvorteil langfristig die Glaubwürdigkeit einer ganzen Branche zu untergraben – denn auch Arla, Kerrygold oder Rügenwalder & Co, sie alle treten „grün“ und landliebend und idyllisierend auf.
Wer so wirbt, muss sich nicht wundern, dass mit hunderten von Millionen Euro finanzierte Stallklimachecks und Zusatzstroh als Errungenschaften der „Branchen-Inititative Tierwohl“ eher belächelt, denn als Verbesserung der Nutztierhaltung ernst genommen werden.

Mehr zum Thema:
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Bergader-Stellungnahme zum Kommentar

Bergader unterscheidet in einer hier nachzulesenden Stellungnahme zum Kommentar weiter zwischen „wertvollem“ Bergbauern-Rohstoff und „konventioneller Milch“. Die Gräser- und Kräutervielfalt habe eine Biologin der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege ermittelt, auch wenn die Kühe „natürlich nur in den Sommermonaten“ Weidegang haben. Das Bergader-Fazit: „Unser Bestreben ist, die wertvolle und knappe Milch und damit auch die Arbeit der Bergbauern für unseren Bergbauern Käse als etwas Besonderes herauszustellen. Es handelt sich keineswegs um das „Vorgaukeln“ falscher Tatsachen.“

Antwort von wir-sind-tierarzt

Ich habe der Molkerei (u.a.) geantwortet, dass viele der von mir tierärztlich betreuten Landwirte an Bergader liefern – bei denen die genannten Kriterien eben nicht (alle) zutreffen. Da die Milch im gleichen Tanklastzug geholt wird wie die der „kleinen“ Bergbauern, gehe ich durchaus von einer Vermischung von „Bergmilch“ und „konventioneller“ Milch aus.
Schon allein die Idee, einen Bergbauern mit Sense zu fotografieren, bildet nicht die „Realität“ der Futtergewinnung für Milchkühe ab. Auf den Wiesen des abgebildeten Bauern auf 700 Meter Höhe am Samerberg wachsen auf den Futterflächen für die Kühe kaum 100 verschiedene Kräuter. Dort wo die vielen Kräuter wachsen, werden keine Milchkühe gehalten, sondern nur Rinder, die nicht zwei Mal täglich gemolken werden müssen. 
Um es noch einmal zu betonen: Ich finde die Vorspiegelung solcher „falschen Idyllen“ deswegen nicht gut, weil ich täglich das Ergebnis sehe: Die meisten – auch „konventionellen“ – Landwirte hier am Samerberg haben Ferienwohnungen. Dort reisen dann die Großstädter an und sind enttäuscht, weil alles ganz anders ist als in der Werbung. Und die Bauern sind entweder entnervt weil sie erklären müssen, warum sie nicht mehr mit der Sense mähen (oder mit Pferden pflügen). Oder sie echauffieren sich darüber, dass die „Städter“ einfach keine Ahnung von der Landwirtschaft haben. Kampagnen wie die von Bergader tragen schlicht dazu bei, dass diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Lebensmittelerzeugung immer größer wird.
Annegret Wagner

¹nach „Die sieben Zwerge – der Wald ist nicht genug“ (Kinofilm)

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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