Die Milchquote ist weg. Seit 1. April dürfen Milchviehhalter jetzt prinzipiell soviel Milch produzieren, wie sie möchten. Viele Landwirte haben bereits reagiert und ihre Bestände aufgestockt. Doch damit halten sie in den vorhandenen Laufställen jetzt oft deutlich mehr Kühe, als Liegeplätze vorhanden sind. Eine solche Überbelegung sorgt für teure Probleme, die am Ende das Mehr an Milch wieder „auffressen“.
Bei Ställen, die mit staatlichen Zuschüssen gebaut worden sind, ist eine Überbelegung keineswegs ein Kavaliersdelikt, sondern ein Cross-Compliance-relevantes Vergehen. Es sind Strafen möglich. Doch auch unabhängig von Cross-Compliance Regelungen bewährt sich die Überbelegung von Laufställen nicht, wie unter anderem John Moran von der World Food and Agriculture Organisation (FAO) gegenüber thedairysite erläutert. Für ihn ist Kuh-Komfort keine schöne Alternative, sondern notwendig für gesunde Kühe und eine gute Milchleistung.
Anforderungen an einen „komfortablen“ Stall
Moran schlüsselt seine Forderungen an die Haltungsbedingungen von Kühen sehr detailliert auf. Zu den physiologischen Voraussetzungen gehören für ihn die natürliche Ventilation der Ställe und zusätzlich ein Auslauf (frische Luft), sowie die Möglichkeit 12 bis 14 Stunden täglich ungestört auf einer weichen, sauberen und trockenen Liegefläche zu liegen – es braucht also Platz für jede Kuh. Die Laufgänge müssen außerdem sauber und trocken gehalten werden und ihre Oberfläche darf nicht rutschig sein oder in einer anderen Art Verletzungen begünstigen. Darüber hinaus sollten die Laufgänge so breit sein, dass die Kühe ungestört stehen und aneinander vorbei gehen können.
Bei warmem Wetter muss die Möglichkeit zur Abkühlung (Ventilatoren, Sprinkler) gegeben sein, denn der bevorzugte Temperaturbereich von Kühen liegt zwischen 6 und 18 °C.
„Psychologisch“ richtig bauen
Neben den physiologischen Voraussetzungen sind auch psychologische Aspekte zu berücksichtigen, die ebenfalls zum größten Teil durch die geforderten baulichen Voraussetzungen abgedeckt werden: Die Ställe sollten Liegeboxen oder ähnliche Strukturen besitzen, damit rangniedrige Kühe ranghöheren Tieren ausweichen können. Die Laufgänge müssen ausreichend viel Platz bieten, um allen Kühen einen angstfreien Zugang zu Futter und Wasser zu bieten und um brunsttypisches Verhalten zeigen zu können. Außerdem muss der Umgang mit den Tieren so sein, dass die Fluchtzone klein bleibt, die Kühe also keine Angst vor den Menschen haben.
Wasserversorgung: Durchflussrate wichtig
Die dritte wesentliche Säule im Bezug auf Kuh-Komfort ist für Moran die Fütterung und die Wasserversorgung. Bei der Wasserversorgung spielt neben der hygienischen Unbedenklichkeit die Durchflussrate eine wichtige Rolle: Kühe trinken am liebsten in langen Zügen. Tränkebecken sollten daher eine Durchflussrate von 20 Litern pro Minute haben, Wassertröge sogar 30 bis 40 Liter. Pro Gruppe muss es mindestens zwei Tränkemöglichkeiten geben, um Stress zu vermeiden. Vorteilhaft sind zusätzliche Tränken nahe am Ausgang des Melkstandes.
Das Futter muss wiederkäuergerecht sein und der jeweiligen Milchleistung angepasst sein. Sowohl Futter als auch Wasser sollten den Kühen mindestens 21 Stunden pro Tag zugänglich sein.
Wünschenswert wäre, dass die Kühe mindestens zwölf Mal täglich ihren Liegeplatz verlassen, um zum Futter oder Wasser zu laufen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn sich die Kühe gut fühlen, also keine Schmerzen haben und einen sicheren, bequemen Weg wählen können.
„Stundenplan“ einer Kuh
Warum ihm seine Forderungen nach optimalen Haltungsbedingungen so wichtig sind, erläutert Moran am Beispiel des Zeitplans einer typischen amerikanischen Milchkuh:
- Futteraufnahme: 5,5 Stunden pro Tag in etwa 9 bis 14 Portionen
- Liegen: 12-14 Stunden pro Tag, davon mindestens 6 Stunden Wiederkauen
- Stehen und Laufen in den Gängen: 2 bis 3 Stunden, inklusive Putzen, Wiederkauen, Brunstverhalten und andere Aktivitäten
- Trinken: 0,5 Stunden pro Tag
Alles zusammen gerechnet, ist die Kuh etwa 21 bis 22 Stunden mit sich selbst beschäftigt und hat kaum noch Zeit für’s Melken, beziehungsweise den Aufenthalt im Wartebereich. Auch diese Tatsache sollten sich Landwirte unbedingt vor Augen halten, wenn es um die Dimensionierung von Melkständen und die Überbelegung von Ställen geht. Mehr als eineinhalb Stunden sollte eine Kuh pro Melkzeit unter keinen Umständen benötigen.
wir-sind-tierarzt meint:
(aw) – Wer diese Kuhkomfort-Kriterien kennt, braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was bei Überbelegung von Laufställen alles schief läuft: zu lange Stehzeiten, kein ungestörtes Liegen, Fressen und Trinken.
Daraus resultieren dann Lahmheiten, Verdauungs- und Stoffwechselstörungen sowie Euterentzündungen und Fruchtbarkeitsprobleme. Es zahlt sich also für den Landwirt nicht aus, mehr Kühe in einem Stall zu halten als dafür vorgesehen sind. Größere Kuhzahlen bedeuten unter solchen Bedingungen automatisch eine Abnahme der Milchleistung der einzelnen Kuh und eine Verschlechterung ihrer Gesundheit und der Lebensleistung.
Es wäre im Sinne der Kühe, wenn die Landwirte endlich verstehen würden, dass absolute Tierzahlen kein Garant für ein höheres Einkommen sind.