Rund eine Million Rinder stehen überwiegend in Süddeutschland noch angebunden in den Ställen. Tierschützer drohen Bauern mit Strafanzeige; Tierärzte fordern das Ende der Anbindehaltung; die Bundesländer aber können sich nicht mal auf eine zwölf Jahresfrist zur Abschaffung einigen.
Hinweis: Dieser Artikel wird von google zum Suchwort „Anbindehaltung“ oft zuerst angezeigt – stammt aber aus 4/2015(!).
Die aktuelle Beschlusslage des Deutschen Bundesrates aus April 2016 finden Sie hier …
– und eine Übersicht aller Artikel zum Thema Anbindehaltung hier.
(jh/aw) – Die Positionen in der Debatte um die Anbindehaltung sind komplex: Die Tirrechter von Animals Angels sehen die artgemäße Bewegungsfreiheit in der Anbindehaltung so stark eingeschränkt, dass den Rindern unnötige Leiden zugefügt werde. Sie wollen deshalb Strafanzeige stellen, wenn die Bauern diese nicht abschaffen. Die wiederum empfinden diese Drohung als Nötigung. Die Tierarztverbände wollen zwar auch die Anbindehaltung beendet sehen, verweisen aber auf die geltende Rechtslage. Die Bundesländer wiederum können sich nicht auf einen Ausstieg einigen.
Anbindehaltung ist erlaubt
So ist für den Bundesverband beamteter Tierärzt (BbT) nach derzeitiger Gesetzeslage die Anbindehaltung von Rindern ab einem Alter von sechs Monaten zulässig. Er wehrt sich in einer Stellungnahme deshalb gegen Tierschützer-Vorwürfe, die Veterinärämter wären untätig und formuliert etwas kompliziert: Der BbT unterstütze „einen schrittweisen Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern unter Vermeidung unbilliger Härte gemäß „Guter landwirtschaftlicher Fachpraxis“ und den derzeit gültigen Leitlinien.“ Der Verband fordert von der Politik eine bundeseinheitliche Regelung.
BTK fordert kompletten Ausstieg
Etwas schärfer formuliert es die Bundestierärztkammer in ihrer Stellungnahme: Sie „hält einen kompletten Ausstieg aus der Anbindehaltung für erforderlich.“ Der Gesetz- und Verordnungsgeber müsse durch klare Regelungen Rechtssicherheit schaffen und „die Anbindehaltung mit einer an den Erfordernissen des Tierschutzes orientierten angemessenen Übergangsphase grundsätzlich verbieten“.
Aktuell sei nach BTK-Auffassung die Rechtslage aber nicht eindeutig. Eine ganzjährige Anbindehaltung gelte als nicht rechtskonform. Ein explizites Verbot der zeitweisen Anbindehaltung von über sechs Monate alten Rindern gebe es in Deutschland jedoch nicht. Die Tierärzte in den Veterinärämtern seien also an geltendes Recht gebunden.
Gesetzgeber reagiert nicht
Auf der Länder-Agrarministerkonferenz im März 2105 in Bad Homburg hatte Hessen beantragt, binnen 12 Jahren aus der ganzjährigen Anbindehaltung komplett auszusteigen. Die anderen Länder signalisierten breite Zustimmung – auch das Grün-regierte Baden-Württemberg. Dort gibt es noch viele Anbindehaltungsbetriebe. Ein einstimmig zu fassender Beschluss kam aber nicht zustande, weil Bayern – als hauptsächlich betroffenes Bundesland – ein Auslaufen der Anbindehaltung strikt ablehnt.
Stattdessen fördert Bayern seit 2013 mit einem Sonderprogramm den Bau von Ausläufen/Laufhöfen um die Haltungsbedingungen etwas zu verbessern.
Wie viele Rinder stehen überhaupt im Anbindestall?
Die Zahlen schwanken etwas: Der Deutsche Bauernverband sieht 1,3 Millionen Rinder im Anbindestall (Basis 2010). Laut der Webseite des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) werde „jedes fünfte Rind“ in Deutschland angebunden gehalten. Das wären etwa 0,9 Millionen Tiere wenn als Basis die 4,5 Millionen gehaltenen Milchkühe dienen. Laut Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter standen 2014 noch rund ein Viertel aller deutschen Milchkühe in Anbindeställen, also etwa eine Million Tiere.
Vor allem viele kleine Betriebe in Süddeutschland praktizieren diese Haltungsform – insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg. Auch die Schweiz geht davon aus, dass dort noch etwa 60 Prozent der 700.000 Milchkühe in Anbindehaltung stehen.
Anbinden ist vor allem in den Bergregionen „üblich“. Die Erklärung dafür ist einfach: Im Sommer sind die Tiere dort meist auf der Weide, im Winter angebunden im Stall. Die Zahlen ändern sich nur durch Betriebsaufgabe, denn für die traditionell eher kleinen Betriebe lohnt sich der Neubau von Laufställen ökonomisch schlicht nicht mehr.
Alle bisherigen Berichte auf wir-sind-tierarzt.de zum Thema „Anbindehaltung“ hier
wir-sind-tierarzt meint
(aw) – Ein komplettes Verbot der Anbindehaltung – also die Pflicht, neue Laufställe zu bauen – würde viele kleine Milchkuhhalter im Alpenraum zur Aufgabe zwingen. In meiner Praxisklientel in Oberbayern habe ich etwa 80 Prozent Anbindeställe – das betrifft die Zahl der Betriebe, nicht die Zahl der Tiere. Es werden mehr Tiere in Laufställen gehalten.
Aber etwa 20 Prozent der Bauern binden ihre Rinder noch ganzjährig an. Das lehne ich ab. Hier muss Weidegang vorgeschrieben werden.
Das versuchen etwa 60 Prozent meiner Bauern. Sie halten die Rinder solange wie möglich auf der Weide und nur im Winter angebunden im Stall. Das ist definitiv nicht per se die schlechteste Form der Rinderhaltung, sie hat sogar einige Vorteile:
Jede Kuh hat im Anbindestall ihren eigenen festen Platz, kann dort ungestört von Rangkämpfen fressen und trinken, wobei der Liegebereich in der Regel auch größer ist als im Laufstall. Eine Überbelegung – wie in Laufställen momentan fast überall üblich – ist nicht möglich. Die Klauengesundheit ist bei den Anbindebetrieben in meiner Klientel deutlich besser, Mortellaro oder Panaritium kommen praktisch nicht vor.
Nicht vernachlässigen darf man auch die bessere Gewöhnung an Menschen, gerade weil die Kühe auf den Bergweiden dann auch Fußgängern begegnen. Generell ist der Umgang mit Kühen, die an den engen Kontakt mit Menschen gewöhnt sind, deutlich ungefährlicher, als der mit reinen Laufstalltieren, wenn der Besitzer sich nicht entsprechend mit seinen Tieren beschäftigt.
Auch Bioland erlaubt für kleine Betriebe unter 35 Kühen, die es hier noch häufig gibt, ausnahmsweise eine Anbindehaltung im Winter. Bedingung: Die Kühe müssen zwei mal pro Woche Ausgang im Laufhof haben. Doch das hat einige meiner Kunden veranlasst, den Verband zu verlassen. Es ist in unseren Höhenlagen im Winter draußen oft schlicht zu glatt und damit zu riskant für die Tiere.
Wie so oft in der Tierhaltung gilt es also abzuwägen, ob etwas pauschal „verboten“ werden muss oder ob nicht klar definierte Auflagen (Weidegangzeiten/Stallgestaltung) es den Tierhaltern ermöglichen, die für ihre Betriebsgröße und regionalen Bedingungen beste Haltungsform zu wählen.