Jetzt ist die Verwirrung um die „Reserveantibiotika“ bald perfekt. Selbst der Bundestagsinformationsdienst (hib) – der offiziell über Debatten, Ausschusssitzungen und Anträge informiert – bringt den Begriff und seine Bedeutung in falsche Zusammenhänge und meldet sehr pointiert formuliert: „Reserveantibiotika nicht für Tiere“. (aktualisiert: 1.4.2015)
Nachtrag (1.4.2015): Inzwischen hat der Informationsdienst „hib“ die Überschrift korrigiert (siehe Abbildung). Aber die Meldung enthält weiter die falsche Aussage, die Bundesregierung habe „festgestellt“, dass „Reserveantibiotika nicht für die Anwendung bei Tieren zugelassen sind“.
Als sogenannte „Reserveantibiotika“ in der Diskussion sind Fluorchinolone, Cephalosporine der 3. und 4. Generation sowie Makrolide. All diese Wirkstoffe sind für die Tiermedizin uneingeschränkt zugelassen.
ein Kommentar von Jörg Held
Die Bundesregierung habe festgestellt, dass „Reserveantibiotika nicht für die Anwendung bei Tieren zugelassen sind“, schreibt der Bundestagsinformationsdienst (hib). Damit wird plötzlich offiziell „Realität“, was die Grünen zwar immer und immer wieder fordern, was aber selbst die Agrarministerkonferenz gerade erst in einem Beschluss eben nicht verlangt hat. Da fehlt den Autoren des hib wohl eine gehörige Portion Sachkenntnis, denn:
- Erstens ist noch nicht einmal definiert, welcher Wirkstoff überhaupt ein sogenanntes „Reserveantibiotikum“ ist. Dies soll gemäß obigem Agrarministerbeschluss jetzt erst geschehen.
- Zweitens wird danach erst über eine Anwendung dieser Antibiotika in der Veterinärmedizin unter Auflagen oder ein begrenztes Anwendungsverbot für Tierarten oder Haltungsformen (etwa Tiermast) entschieden.
- Drittens hatten die Grünen die Anfrage (auf die sich die Meldung bezieht) zu einem antibiotischen Wirkstoff aus der Humanmedizin gestellt, der überhaupt nicht für die Tierhaltung zugelassen ist und auch nicht zugelassen werden soll: „Carbapeneme“ gelten in der Humanmedizin als ein sogenanntes „Reserveantibiotikum“ – unter mehreren. Eine „Zulassung“ für die Tiermedizin ist nicht mal im entferntesten ein Thema.
- Viertens ging es bei der Anfrage der Grünen gar nicht um die „Zulassung“, sondern um die Herkunft von Carbapenem-Resistenzen, die beim Resistenzmonitoring in Nutztierhaltungen entdeckt wurden.
In der Sache lautet die Antwort der Bundesregierung dazu – nachzulesen in diesem Dokument:
Woher die in vereinzelten Nutztierhaltungen gefundenen Carbapenemresistenzen stammen, sei bislang unklar. Ursache sei aber wohl nicht die – verbotene(!) – Anwendung des antibiotischen Wirkstoffes bei (Nutz)Tieren, sondern wahrscheinlich ein Eintrag von Resistenzgenen, die in der Humanmedizin entstanden sind, aus der Umwelt in die Tierhaltungen.
Warum aber der Bundestagsinformationsdienst (hib) daraus einen dermaßen falschen Artikeleinstieg bastelt, verstehe wer will. Man kann nur vermuten, dass inzwischen das Wort „Reserveantibiotika“ politisch so einseitig „besetzt“ ist, dass in Berlin fast jeder damit reflexartig ein „Verbot für Tiere“ assoziiert. In dem Fall kann man den Grünen eigentlich nur noch gratulieren, diesen Begriff in ihrem Sinne derartig „aufgeladen“ zu haben. Ob das dem übergeordneten Ziel der Resistenzbekämpfung dient, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Von der Parlamentsberichterstattung erwarte ich aber eigentlich, dass sie nicht in diese Fallen tappt.
Anmerkung:
Woher Resistenzen beim „Reserveantibiotikum Carbapenem“ stammen können, zeigt diese Grafik (aus Lancet) über die Entwicklung des weltweiten Carbapenemverkaufes: