Verbot von „Reserve­antibiotika“ wäre für Heimtiere katastrophal

„Reserveantibiotika für die Veterinärmedizin verbieten“ – das gehört aktuell zum politischen Mantra der Grünen wie einst „Atomkraft, nein Danke“. wir-sind-tierarzt hat in einer kurzen Animation aufgezeigt, was dann noch für die Heimtiermedizin übrig bliebe: praktisch nichts!

von Henrik Hofmann

Immerhin: Vier der sechs Grün mitregierten Bundesländer (Hessen/NRW/Niedersachsen/Rheinland-Pfalz) fordern auf der aktuell laufenden Agrarministerkonferenz in Bad Homburg (18.-20. März 2015) den Bund auf, überhaupt erst mal zu definieren, welche Antibiotika für die Humanmedizin als Reserveantibiotika anzusehen sind. Doch die Konsequenz von NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel lautet bereits vorab: „Reserveantibiotika müssen der Humanmedizin vorbehalten bleiben und gehören in der Veterinärmedizin verboten.“ Dem folgten die anderen Minister aber so nicht.

Tierschutzrelevante Katastrophe für Heimtiere

Speziell für  die Heimtiermedizin wäre solch ein pauschales Verbot eine tierschutzrelvante Katastrophe gewesen. Warum, das zeigt dieses Video:

(Eine PDF-Variante der Video-Grafik können Sie hier herunterladen)

Das Problem: Während es bereits jetzt zehn Antibiotika-Klassen gibt, die allein in der Humanmedizin eingesetzt werden dürfen, gibt es bislang keine einzige Stoffgruppe, die allein der Tiermedizin vorbehalten wäre. Alle zwölf für die Tiermedizin wichtigen Antibiotikagruppen werden für die Infektionsbehandlung bei Tier und Mensch genutzt:

  • Von diesen zwölf Stoffgruppen sind fünf für Heimtiere unverträglich, darunter auch zwei der momentan diskutierten, sogenannten Reserveantibiotika: die Makrolide und die Cephalosporine 3./4. Generation.
  • Vier weitere Stoffgruppen sind für Heimtiere nicht verfügbar/anwendbar (Zulassungsbeschränkungen).
  • Drei als „Reserveantibiotika“ diskutierte Stoffgruppen sollen verboten werden: Fluorchinolone (und die für Heimtiere unverträglichen Makrolide/Cephalosporine)
  • Es blieben zwei Stoffklassen übrig: Tetrazykline und Sulfonamide – für die es nur wenige Indikationen aber deutliche Einschränkungen/Kontraindikationen gibt.
  • Konsequenz: Würde das Reserveantibiotikum Fluorchinolone „für die Veterinärmedizin verboten“, bliebe für Heimtiere nichts mehr übrig.

Für Heimtiere keine Alternative

„Für Heimtiere gibt es keine Alternative zu Fluorchinolonen“, betont Dr.  Stefan Gabriel, Heimtierspezialist und Leiter der Fachgruppe Kleintierpraxis des bpt. Penicilline etwa können für Heimtiere tödlich sein. Durch pauschale Verbote ganzer „Stoffklassen für die Veterinärmedizin“ entstehen also zwangsläufig Tierschutzprobleme – speziell für Minor-Spezies. Für Tierarten wie Kaninchen, Meerschweinchen, Reptilien oder auch Ziegen gibt es nur wenige Antibiotika, die rechtssicher eingesetzt werden können, beziehungsweise zugelassen sind. Andere Tierarten vertragen nur wenige Substanzklassen.

„PLACE“-Regel

So dürfen folgende Antibiotika mit gram-positivem Spektrum beim Meerschweinchen niemals und beim Kaninchen niemals per oral verabreicht werden (Kontraindikationen bei Herbivoren nach Thein, 2008):

  • Penicillin – Lincomycin – Ampicillin, Amoxicillin – Clindamycin, Cephalosporine –
  • Erythromycin-Gabe generell niemals beim Meerschweinchen, bei Kaninchen nie p. o.

Bei beiden Tierarten führen diese Präparate zu unstillbaren Durchfällen und zum Tode.

Die Suche nach Alternativen ist ebenfalls kompliziert. In den Fremdlaboren werden für Resistenztests fast immer Reserveantibiotika getestet – harmlosere Präparate dagegen oftmals nicht. Präparate wie Chloramphenicol werden kaum (nie) getestet, da sie für Tiere, die der Lebensmittelgewinnung dienen, nicht zugelassen sind. Es wäre theoretisch für Heimtiere ideal. Andererseits gibt es dieses Präparat mittlerweile für keine Tierart mehr als Injektionspräparat. Antibiotika also, die den Tieren vorbehalten sein könnten, verschwinden vom Markt.

Wir brauchen Reserveantibiotika – was tun?

Vor allem müssen vor einem Verbot von Stoffgruppen andere wirksame Antibiotika für Tiere gefunden und zugelassen werden. Außerdem müssen grundsätzlich Konzepte für den Umgang mit von multiresistenten Keimen besiedelten Patienten entwickelt und eingehalten werden.

  • Hygienemaßnahmen optimieren
  • lokale / topische Maßnahmen verstärken
  • Antibiotika-Therapie generell kritisch überdenken: „Brauchen wir jetzt wirklich dieses Antibiotikum?“
  • vermehrt Resistenztests anlegen
  • Zulassungsbedingungen für Antibiotika, die für den Menschen nicht relevant sind, vereinfachen.
  • Antibiotika, die bei Tieren eingesetzt werden, müssen in der Hand von Tierärzten bleiben.

wir-sind-tierarzt meint:

(hh) – Vor wenigen Jahren noch setzten sich die Grünen für das Staatsziel „Tierschutz im Grundgesetz“ ein. Doch nun, da dies erreicht ist, scheint Tierschutz plötzlich kein Thema mehr. Tieren pauschal lebensrettende Medikamente vorzuenthalten ist nur eines: Tierverachtend!

Wie die WHO, die US-Arzneimittelbehörde FDA und die EU zum Teil abweichend die „Reserveantibiotika“ definieren lesen Sie hier
Hier lesen sie, wie Deutschland künftig den Umgang mit „Reserveantibiotika“ in der Veterinärmedizin regeln will

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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