Wieder einmal hat ein geheim gedrehtes Tierschutz-Video Missstände an einem Schlachthof aufgedeckt. Sind das nur „Einzelfälle“? Fehlt den kleinen Betrieben das Geld? Oder mangelt es an der „richtigen Einstellung“? Eine pauschale Verteufelung kleiner Schlachtbetriebe ist auf jeden Fall „betriebsblind“. (erstellt: 12.3.2014 / zuletzt aktualisiert: 18.3.2015)
von Henrik Hofmann
Es sind immer wieder Ausnahmen – doch sie bestätigen nicht nur für Tierschützer die Regel. Am Aschaffenburger Schlachthof, der eigentlich einen „sehr guten Ruf“ geniesst, wurden Bilder grober Misshandlungen bei Schlachtschweinen gedreht und nun vom ARD-Magazin Fakt (ARD-Mediathek) veröffentlicht. Die Bilder sind aber nach unseren Informationen mindestens ein Jahr alt. FAKT zeigt, wie die Tiere mit Drahtbürsten in die Genitalien gestochen werden, um sie anzutreiben; der Einsatz von Elektroschockern scheint Routine; Fußtritte allgegenwärtig.
Misshandlung auf Anweisung?
In einer Einstellung treiben Schlachthofmitarbeiter ein schwer verletztes Tier quer durch Stall und Schlachthof. Unübersehbar: Das Schwein zieht sich auf den Vorderbeinen voran, es kann auf zumindest einem Bein gar nicht mehr stehen. Vielleicht ist der Oberschenkelhals gebrochen, die Ursache ist nicht zu erkennen. Der Original-Ton ist sehr leise, doch der Arbeiter scheint Anweisungen zu befolgen.
Kollege Dr. Michael Marahrens, stellvertretender Leiter des Institutes für Tierschutz und Tierhaltung des Friedrich-Loeffler-Institutes (FLI) kommentiert die Szene: „Das geht nicht, das ist absolut nicht tragfähig!“ Es sei zu fragen, warum das Schwein nicht bereits im Wartesaal betäubt wurde, um Leiden zu ersparen. Friedrich Müll von der Tierrechtsorganisation „Soko Tierschutz“– die bekannt ist für Undercover-Aufnahmen –, kommentiert die von der „Soko“ gedrehten Szenen: Kleine Schlachthöfe hätten ein besonders gutes Image. Da werde nicht so genau hingeschaut. „Und drinnen ist es die Hölle für die Tiere!“ Der Betreiber spricht (natürlich) von Einzelfällen, verweigert allerdings der ARD eine offizielle Drehgenehmigung, lässt stattdessen einen Anwalt Stellung beziehen. Ein denkbar unkluges Verhalten in der heutigen Zeit, wo die Landwirte zunehmend ihre Ställe öffnen, um zu zeigen, dass sie nichts zu verstecken haben.
https://youtu.be/79iWI6523Dw
(Quelle: youtube)
Fehlverhalten durch Betriebsblindheit?
Dr. Marahrens spricht von „Gewöhnungsprozess“ und „Betriebsblindheit“ und sagt, den Mitarbeitern fiele das irgendwann schon nicht mehr auf, was sie da täten. Das Fazit der FAKT-Redaktion: „Der Fall zeigt ein grundlegendes Problem: Sie sind oft technisch mangelhaft ausgestattet und überholt. So können viele Regionalschlachthöfe mit großen Betrieben nicht mithalten.“ Auch Marahrens sagt, dass kleine Betriebe mit genau so kleinen Margen auskommen müssten, wie große, aber in der Summe weniger Geld hätten, das sie in Tierschutz investieren könnten.
„Die Menschen müssen geschult werden. Wer sich nicht daran hält, muss entlassen werden.“
Weniger einfach macht es sich die US-amerikanische Tierschutz-Ikone Prof. Temple Grandin, die vor wenigen Monaten deutsche Schlachtbetriebe besuchte. Sie sagte: Sehr kleine Betriebe seien entweder sehr gut oder sehr schlecht. Probleme ließen sich in großen Betrieben aber oft leichter lösen. Und: „Die Menschen müssen geschult werden. Wer sich nicht daran hält muss entlassen werden.“
Temple Grandin hat in den USA für Mc Donald’s und andere fastfood-Ketten Tierschutzaudits in Schlachthöfen eingeführt. In den betreffenden Betrieben seien sehr viele Geschäftsführer entlassen worden. „Weil sie nicht die richtige Einstellung hatten.“ Technisch könne man vieles verbessern, ohne dass es teuer sei: Management, Wartung, durch Boxen gehen … . „Man zeigt den Leuten wie es geht und 25 Prozent werden es sofort machen. Auch in älteren Betrieben lässt sich vieles beheben – aber es ist den Leuten oftmals einfach egal!“ Es sein nicht möglich, alle Tiere perfekt zu töten.“ Auch Grandin beklagt Betriebsblindheit. Empfiehlt aber nicht Resignation, sondern Schulungen und regelmäßige Audits.
Pauschale Verteufelung kleiner Schlachtbetriebe ist falsch
Dr. Veronika Ibrahim vom Veterinäramt des Wetteraukreises hält eine „pauschale Verteufelung kleiner Schlachtbetriebe für falsch“. Sie selbst führt regelmäßig Tierschutzaudits und Schulungen für Metzger durch. „Die meisten kleinen Schlachtbetriebe sind sehr tierschutzbewusst – aus handwerklicher Tradition heraus und aus ethischer Verantwortung. Die festgestellten Missstände haben absolut nichts mit teuren Investitionen in Tierschutzausstattung zu tun, die sich angeblich nur die großen Schlachtbetriebe leisten können.“
Auch die Tierschutzorganisation ProVieh betont in einer Stellungnahme zum ARD-Beitrag, dass kleine Schlachthöfe nicht schlechter seien: Die regionale Lage, eine kurze Tier-Transportdauer und niedrige Schlachtzahlen sprächen für erfolgreichen Tierschutz.
Fehlverhalten ist leicht abzustellen
Das Fehlverhalten dieser im Film gezeigten „Schweinetreiber“ abzustellen, koste fast nichts, sagt Ibrahim: Es müsse eine konsequente Kontrolle durch amtliche Tierärzte erfolgen, die dann auch Sanktionen verhängten. Die Mitarbeiter bräuchten regelmäßige Tierschutznachschulungen und wenn das nichts hilft, seien personalrechtliche Konsequenzen (Abmahnung/Kündigung) erforderlich.
Falls eine Kündigung nicht möglich ist, dann empfiehlt auch Temple Grandin, dass man solche Mitarbeiter betriebsintern versetzen sollte: Zum Beispiel zum Fleischkistenschleppen.
Das ARD-Magazin resümiert: „All zu oft bleiben die wahren Zustände in Schlachthöfen dem Kunden aber noch verborgen.“ Dass sich die heutige Fleischindustrie – egal ob groß oder klein – solche Vorhaltungen, geschlossene Türen und „Betriebsblindheit“ noch leistet, ist mehr als fragwürdig. All dies ist viel mehr Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner.
Ein Merkblatt der Tierärztlichen Vereinigung Tierschutz zum tierschutzgerechten Schlachten (und dem richtigen Ansetzen der Betäubungszange – das Beitragsbild zeigt einen fehlerhaften Ansatz) finden Sie hier.
Den Beitrag des ARD-Magazins FAKT finden Sie hier in der ARD-Mediathek
(Mediathek-Beiträge sind immer nur ein gewisse Zeit Online – dieser bis 9.3.2016)
Die Bilder des Films sind unseren Informationen zufolge ein bis zwei Jahre alt. Das relativiert die gezeigten Misshandlungen in keiner Weise. Es relativiert allerdings die journalistische Qualität des ARD-Magazins FAKT erheblich, da es im Beitrag nicht kommuniziert wird. Auch die Tatsache, dass die Hintergrundgeräusche ausgeblendet wurden und so die Abbildung der Wirklichkeit in Frage stellt. Schade!