Warum vor Ostern über das Leben lassen von Eintagsküken debattiert wird

Zugegeben Hasen hätten noch etwas besser gepasst. Aber Küken sind auch o.k., wenn Politiker vor Ostern noch etwas (mediale) Aufmerksamkeit suchen. Also setzten die Grünen eine Bundestagsdebatte mit der österlich positiv formulierten Überschrift: „Männliche Eintagsküken leben lassen“ an. Und der Bundeslandwirtschaftsminister reist sechs Tage vor Ostern nach Leipzig, um dort seine angekündigte „Lösung“ für das Ende der Tötung von jährlich 45 Millionen Eintagsküken zu präsentieren. 

Ein Kommentar von Jörg Held

Als Journalist fragt man sich manchmal schon: Was soll das jetzt wieder? Und selbst die Grünen müssen sich das gefragt haben, als sie am 19.3.2015 zu abendlicher Stunde eine Bundestagsdebatte zum Thema Eintagsküken ansetzen liessen. So eröffnet der agrapolitische Sprecher Friedrich Ostendorff seinen Redebeitrag im kleinen Kreis der Agrarausschussmitglieder vor ansonsten leeren Rängen damit, dass er schon mal vorwegnahm, was die anderen Parteiredner nach ihm wohl so alles zu sagen haben würden – und genau so kam es auch.
Fazit der Debatte: Meilenweit nix neues in Sicht (Anzusehen hier im Parlamentsfernsehen: Dauer 30 Min).

Bund und Länder schon lange einig

Bei diesem Thema gibt es nämlich einen Konsens: Keine Partei will, dass auf Dauer weiter deutschlandweit jährlich rund 45 Millionen männliche Eintagsküken getötet werden. Das werden sie, weil sie weder Eier legen können, noch ordentlich Fleisch ansetzen, um als Brathähnchen oder Suppenhuhn zu taugen. Es lohnt also nicht sie aufzuziehen und dann quasi unverkäuflich zu töten.

Bei diesem Thema ist auch eine Lösung in Sicht: Die automatisierte Geschlechtserkennung im Ei vor dem zehnten Bebrütungstag (dann beginnt des Schmerzempfinden der Küken). Das Verfahren erkennt die Eier von ungeborenen männlichen Küken, so dass diese nicht mehr ausgebrütet werden. An der Universität Leipzig arbeiten die Forscher um Professorin Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns seit Jahren mit Hochdruck daran und wurden aktuell mit dem renommierten Felix-Wankel-Tierschutzpreis für die sich abzeichnenden Erfolge ausgezeichnet. In dem Moment, in dem dieses Verfahren praxisreif ist und fächendeckend eingesetzt werden kann, ist die Tötung von Eintagsküken Geschichte.

Die zweite Alternative ist nicht marktfähig: Stattdessen auf sogenannte Zweinutzungsrassen zu setzen, bei denen sowohl die Hühner weniger Eier legen, als auch die Hähnchen weniger Fleisch ansetzen, ist nicht wirtschaftlich. Würden diese Rassen vorgeschrieben, liesse sich mit ihnen weder der momentane deutsche Eierkonsum von rund 18,86 Milliarden Eiern pro Jahr (231 pro Einwohner) decken, ohne die Bestände erheblich aufzustocken – noch mehr Tierhaltung wollen die Grünen aber doch eigentlich nicht –, noch könnten sie im internationalen Wettbewerb bestehen. Die deutsche Zucht von Legehennenrassen würde sofort ins Ausland verlagert.

Beliebt: Juristisches und politisches Schaulaufen

Ein Musterprozess zur Klärung der Eintagskükenfrage – war dass das Ziel des Tötungsverbotes in NRW? Politische klang es anders, aber auch die Grünen wissen um die Realitäten.

Ein Musterprozess zur Klärung der Eintagskükenfrage – war das das Ziel des Tötungsverbotes in NRW? Politisch klang es anders, aber auch die Grünen wissen um die Realitäten. (Foto: WiSiTiA/jh/BTK-Delegiertenversammlung)

NRW hat im September 2013 mit einem „Erlass zum Verbot der Tötung männlicher Eintagsküken“ die Debatte ins öffentliche Bewusstsein gerückt hat – und zugleich  den juristischen Weg eingeschlagen, weil man bewusst eine Klage der betroffenen Brütereien in Kauf nahm. Das war durchaus klug, denn es zeigte „politischen Handlungswillen“ und verlagerte zugleich die Entscheidung darüber in die Gerichte. Deshalb hatten sich das NRW-Landwirtschaftsministerium (MKLUNV) und die betroffenen Brütereien in NRW auch drauf verständigt, jedes Urteil in einem Musterprozess von der nächsten Instanz überprüfen zu lassen, bis es vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für alle Brütereien in Europa verbindlich entschieden wird – egal wer in den Vorinstanzen siegt/unterliegt. Das hatte zumindest damals der Referatsleiter Tierschutz des MKULNV, Prof. Friedhelm Jaeger, auf der Delegiertenversammlung der Bundestierärztekammer berichtet.
Die erste juristische Instanz hat jetzt (2/2015) den NRW-Erlass für ungültig erklärt – und auf eine fehlende bundesgesetzliche Regelung verwiesen. NRW ruft konsequenterweise die nächste Instanz an.

Dieser Rechtsweg dürfte bis zum EuGH noch gute drei bis vier Jahre dauern. Solange greift der NRW-Verbots-Erlass nicht. Bis dahin sollte aber auch ein technisches Geschlechtsbestimmungsverfahren nahe an der Praxisreife sein. Dennoch fordern Grüne Politiker in Bund und Land munter weiter ein (sofortiges) Verbot. Wissend, dass es aktuell weder politisch noch juristisch durchzusetzen ist.

Das clevere „Verbot“ der Hessen

Allein Hessens Grüne Umweltministerin Priska Hinz hat cleverer agiert und ihre „Untersagung zur Tötung männlicher Eintagsküken“ für die in ihrem Bundesland beheimatete, größte deutsche Brüterei ganz geschickt aufgebaut: Am Anfang strotzt das Dokument von markigen Passagen: „untersagt – Geschlecht ist künftig kein Todesurteil mehr – Schluss – massenhafte Tötung hat keine Zukunft – usw.“ Am Ende aber steht der entscheidende Satz:

“Unsere Untersagung greift zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Dieser wird durch die weitere Entwicklung und Automatisierung eines geeigneten technischen Verfahrens bestimmt … wenn der Betreiber es erwerben und im täglichen Betrieb einsetzen kann.“

Überraschung: Verbot, erst wenn die Technik so weit ist! Und das von den Grünen? Gegen diese Untersagung hat die Brüterei meines Wissens bislang nicht geklagt, denn auch die Unternehmen haben kein Interesse, Eintagsküken zu töten. Sie hätten liebend gerne eine Alternative.

Eine kühne Vorhersage?

Wenn jetzt also am Montag (30.3.2015) Landwirtschaftsminister Schmidt nach Leipzig fährt, um sich – noch vor Ostern (sic!) – vor Ort bei Professorin Krautwald-Junghanns über den Stand der Geschlechtserkennung in Ovo zu informieren, dann wage ich mal die kühne Prognose, dass er danach sinngemäß als Osterbotschaft folgendes verkünden wird:

Sobald das Verfahren flächendeckend einsetzbar sei, werde es der Gesetzgeber für die Brütereien als verpflichtend erklären. Mit etwas Glück gibt es dafür dann auch noch ein Zeitfenster.

Damit wären wir dann beim Stand der angedachten Lösungen und Pläne aus den Jahren 2012/2013.
Aber gut, dass wir darüber im Bundestag noch mal debattiert – und ich hier darüber berichtet habe.

Nachtrag:
Niedersachsens Grüner Landwirtschschaftsminister  Minister Christina Meier, brachte vor Ostern schnell noch einen Verbotstermin für die Kükentötung ins Spiel: Spätestens 2020 soll es vorbei sein, fordert er. Der Bundeslandwirtschaftsminister solle das Tierschutzgesetz entsprechend ändern. Damit kam er dem Bundesminister einen Tag vor dessen Besuch beim Leipziger Forschungsprojekt zuvor: Dort wird der Prototyp für die technische Erkennung im Brutei für  2017 erwartet. Der Minister will auf Basis der neuen Technik seine gesetzlichen Regeln vorstellen – was dann im Serienbetrieb etwa auch auf einen verpflichtenden Einsatz um 2020 hinauslaufen dürfte. (aktualisiert 29.3,2015)

Und über den Termin von Bundesminister Schmidt in Leipzig gibt es HIER folgendes zu berichten (nämlich das was oben im Kommentar prognostiziert wurde plus mehr Details zur Technik-Lösung) – (aktualisiert 30.3,2015)

Quellen

Ankündigung Termin Minister Schmidt / Leipzig (26.3.2015)
Antrag Bündnis 90/Die Grünen: „Männliche Eintagsküken leben lassen“ (18.3.2015)
Eintagskükenurteil der Verwaltungsgerichts Minden (6.2.2015)
Hessische Untersagungsverfügung zur „Tötung von Eintagsküken“ (September 2014)
NRW verbietet Tötung von Eintagsküken per Erlass (September 2013)

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)