Beweislastumkehr: Tierarzt muss seine Nicht-Schuld beweisen

(jh) – Aus einer Fissur wurde eine Fraktur – am Ende musste das Pferd eingeschläfert werden. Weil er die Ursprungsverletzung übersehen und deshalb einen schweren Behandlungsfehler begangen hatte, verurteilte das Oberlandesgericht Oldenburg einen Tierarzt zu Schadenersatz. Der Fall ist knifflig, weil das Gericht hier letztlich auch die Beweislast umkehrte.

Normalerweise hätte der Tierhalter beweisen müssen, dass die Fehldiagnose des Tierarztes ursächlich für den späteren Schaden, also den Tod des Pferdes war. In diesem Fall, musste der Veterinär allerdings beweisen, dass seine Behandlungsempfehlung auf Basis der Fehldiagnose, nicht für die späteren Folgen verantwortlich war. Das konnte er nicht. Diese „Beweislastumkehr“ gilt aber nicht immer, sondern zunächst nur in diesem speziellen Einzelfall, sagt das Oberlandesgericht Oldenburg.

Hinweis: Dieser Artikel stamm aus März 2015 – am 10. Mai 2016 hat der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren zu diesem Fall ein Grundsatzurteil zur „Beweislastumkehr“ gefällt. Die Konsequenzen für Tierärzte, erklären wir hier. (aktualisiert: 11.5.2016)

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Einen Kommentar zu den Urteilen aus Tierarztsicht lesen Sie hier (13.5.2016)

Der Fall: Wunde – Fissur – Fraktur

Eine Pferdehalterin rief den Tierarzt, weil ihr Pferd an der Innenseite des rechten hinteren Beines in der Höhe des Unterschenkelknochens eine Verletzung erlitten hatte – vermutlich durch den Tritt eines anderen Pferdes. Der Tierarzt verschloss die Wunde des inzwischen von der Weide geholten Pferdes und gab die Anweisung: Zwei Tag solle man das Tier schonen, dann könne es aber wieder geritten werden – wenn keine Schwellung im Wundbereich eintrete.
Drei Tage später bemerkte die Reiterin beim ersten Beritt leichte Taktunreinheiten im Bereich des verletzten Beines und stellte daraufhin das Reiten ein. Weitere drei Tage später diagnostizierte der Tierarzt eine Fraktur des verletzten Beines. Die Operation der Fraktur gelang nicht, das Pferd wurde noch am selben Tag euthanasiert.

Behandlungsfehler: Nicht gründlich genug untersucht

Laut Sachverständigengutachten hatte sich das Pferd durch den Tritt eines Artgenossen nicht nur eine äußerliche Wunde zugezogen, sondern auch eine Fissur des Knochens. Diese Fissur hatte sich dann zu einer vollständigen Fraktur entwickelt.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts – und auch der Vorinstanz – hat der Tierarzt einen schweren Behandlungsfehler begangen, weil er hätte erkennen müssen, dass die Möglichkeit einer Fissur bestand. Um dies abzuklären, hätte er weitere Untersuchungen vornehmen müssen. Diese hätten die Fissur bestätigt. Sodann hätte der empfehlen müssen, das Tier möglichst so zu halten, dass es sich wenig bewegen und sich insbesondere nicht hinlegen kann. Tatsächlich war die Fraktur des Beines beim Aufstehen des Pferdes entstanden, während es alleine im Paddock gehalten wurde.

Wer muss was beweisen?

Ob der schwere Behandlungsfehler – also das Nichterkennen der Fissur – ursächlich für die Fraktur geworden war, konnte der Sachverständige allerdings weder eindeutig bejahen noch verneinen.
Damit wird der Fall juristisch interessant, denn jetzt kam es darauf an, ob die Tierhalterin oder der Tierarzt die Beweislast trägt. Die Beweislast für eine „Folge“ liegt zunächst grundsätzlich beim Tierhalter. Doch die Vorinstanz – das Landgericht Oldenburg – hatte unter Bezug auf gesetzliche Vorschriften zum ärztlichen Behandlungsvertrag in der Humanmedizin eine Beweislastumkehr angenommen: Der Tierarzt sollte beweisen, dass seine Fehldiagnose nicht für die Fraktur und den Tod des Pferdes  verantwortlich war – was er nicht konnte.

Humanvorschrift nicht anwendbar

Dem stimmte das OLG Oldenburg so nicht zu: Generell könnten die zur Humanmedizin getroffenen Vorschriften nicht analog auf die Tiermedizin angewendet werden. Der Gesetzgeber habe entsprechende Vorschriften für Behandlungsverträge mit Tierärzten eben nicht  in das Gesetz aufgenommen.
Dennoch kehrte auch das OLG die Beweislast um, denn: Der Rat des Tierarztes, das Pferd könne bereits nach zwei Tagen wieder geritten werden, habe das Risiko einer Fraktur mit dem für das Tier tödlichen Ausgang noch wesentlich erhöht. Damit müsste der Tierarzt beweisen, dass die Fraktur nicht Folge seines Behandlungsfehlers – also des Nichterkennens der Fissur – war.
Allerdings betont das OLG auch: Die Frage der Beweislastumkehr sei nicht generalisierend, sondern in jedem Einzelfall zu prüfen.

Revision zugelassen

Über die Höhe des zu zahlenden Schadensersatz muss jetzt wieder das Landgericht entscheiden: Die Tierhalterin fordert mehr als 100.000 Euro. Eine Revision zur Frage der Beweislastumkehr wurde zugelassen und ist inzwischen entschieden.

Quellen/Aktenzeichen
OLG Oldenburg – 14 U 100/14 vom 26.3.2015 (PDF-Download – oder Link)
Pressemeldung Bundesgerichsthof zum Revisionsurteil (10.5.2016 – PDF-Download)
Vorinstanz LG Osnabrück – 3 O 1494/11

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