Sind Tierärzte korruptionsgefährdet? In den USA entflammt darüber gerade eine Debatte, denn der Staat will einen Teil der Nutztierantibiotika erstmals rezeptpflichtig machen. Damit würden die Tierärzte zum „Gatekeeper“ – eine Rolle, die sie in Deutschland schon lange haben, die US-Medien aber so nicht gefällt. Sie befürchten Interessenkonflikte, weil es keine Offenlegungspflicht für Geldflüsse aus der Pharmaindustrie gibt.
Um die US-Diskussion verstehen zu können, muss man das momentane amerikanische System und die geplanten Veränderungen kennen. Hintergrund sind auch dort die zunehmenden antimikrobiellen Resistenzen in Human- und Tiermedizin. Stärker noch als in Deutschland steht in den USA die landwirtschaftliche Nutztierhaltung im Fokus: 80 Prozent aller in den USA eingesetzten Antibiotika gingen überwiegend als orale Medikation in die Nutztierhaltung, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters. Landwirte können diese Medikamente – aber auch Impfstoffe – problemlos im Landhandel und Internet beziehen und eigenverantwortlich ohne eine tierärztliche Diagnose einsetzen. Antibiotische Wachstumsförderer sind ebenso erlaubt, wie der prophylaktische Antibiotikaeinsatz – beides ist in der Europäischen Union verboten.
Tierarzt entscheidet bisher nur über Umwidmung
Der Landwirt ist verantwortlich dafür, dass die Wartezeiten eingehalten werden und muss die Antibiotikaanwendung lückenlos dokumentieren. Aber erst wenn er ein Medikament umwidmen will, muss der Tierhalter einen Tierarzt hinzuziehen. Der stellt dann zumindest ein Rezept aus oder gibt das entsprechend beschriftete Präparat selbst ab. Allerdings sind die Zulassungen vieler Antibiotika in den USA auch deutlich enger gefasst, so gibt es beispielsweise nur ein Produkt gegen Rindergrippe. Das macht Umwidmungen deutlich häufiger nötig als in Deutschland. Für Umwidmungen gelten momentan in den USA also in etwa die gleichen Bestimmungen wie sie in Deutschland grundsätzlich bei der Abgabe aller Antibiotika greifen: Die Verordnungspflicht durch einen Tierarzt.
Teil-Rezeptpflicht erst ab 2016
Das reicht aber auch den Amerikaner als Regelwerk nicht mehr aus, denn von 2009 bis 2012 ist der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung um 16 Prozent gestiegen, meldete die amerikanische Gesundheitsbehörde (FDA) im Oktober 2014. Ab 2016 will sie deshalb zumindest für Antibiotika, die sowohl bei Menschen als auch bei Tieren eingesetzt werden, eine tierärztliche Rezeptpflicht einführen. (Details dazu in einem eigenen Bericht)
Tierärzte in der Rolle des „Gatekeepers“
Doch die Begeisterung über die neuen Regeln hält sich in den USA in Grenzen. So erklärt ein Spezialreport der Nachrichtenagentur Reuters, dass damit der Antibiotika-Verbrauch zwar besser überwacht und gesteuert werden kann. Zugleich stellen die Autoren aber die Frage, ob die 11.000 US-Nutztierärzte für diese Aufgabe die richtige Berufsgruppe sind? Sie kritisieren zwei Punkte: Finanzielle Verflechtungen mit der Pharmaindustrie und die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Auftraggeber (Tierbesitzer), der eben nicht der Patient (das Tier) ist. Das vertrage sich nicht mit der neuen Schlüsselrolle, die die Nutztierärzte mit der Verschreibungspflicht bekämen.
Keine Offenlegungspflicht für Geldflüsse aus der Pharmaindustrie
Die Veterinärmedizin sei eine kleine und wenig regulierte Nische des Medizinbetriebes. Während es in der Humanmedizin strikte Regeln gebe, was die Offenlegung der Finanzierung von Abendessen, Reisen, Stipendien, Fortbildungsveranstaltungen, Consultingaufträgen, Vortragshonoraren oder Forschungsprojekten betrifft, gebe es für Veterinäre keine entsprechenden Verpflichtungen.
So kritisiert Reuters ein überproportional hohes finanzielles Engagement der Pharmafirmen im Zusammenhang mit der Aus- und Weiterbildung von Tierärzten. Explizit genannt wird Zoetis (ehem. Pfizer). Die Firma habe in den letzten fünf Jahren 3,6 Millionen Dollar an Stipendien an 1.100 Tiermedizinstudenten vergeben. Auch gebe es eine enge Verflechtung zwischen der Industrie und der American Association of Bovine Practitioners (AABP). Diese habe allein in 2014 etwa 300.000 Dollar an Spenden und Stipendien von Merck, Zoetis, Cargill und anderen erhalten. Die Journalisten stellen die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des Verbandes und seiner Mitglieder in Frage, weil mehrere Präsidenten der Vereinigung auf der Gehaltsliste von Zoetis standen und der Vizepräsident Dr. Gatz Riddell ein größeres Aktienpaket der Firma hält.
Industrie-Spenden an die US-„Tierärztekammer“
Auch die American Veterinary Medical Association (AVMA), der Dachverband, in dem sämtliche US-amerikanischen Tierärzte organisiert sind, erhält regelmäßig Geld von Pharmafirmen. Laut Reuters-Recherche waren es in den letzten vier Jahren 3,3 Millionen US-Dollar. Die AVMA selbst nannte die Namen und Beträge der Firmen auch auf Nachfrage nicht.
Nicht alle „Honorare“ der FDA-Berater bekannt
Auch elf der 22 Veterinäre, die die FDA in den letzten Jahren dabei beraten haben, wie der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu bewerten sei, haben laut Reuters-Recherchen Honorare aus der Industrie bezogen, die der Behörde nicht bekannt gewesen seien. Dazu hatten die Journalisten, Fachzeitungen, Industriepublikationen, Vortragsdokumentationen, Kongressprogramme und Zusammenfassungen ausgewertet. Dort waren die Beziehungen zur Industrie einzeln genannt, aber nirgendwo in der Summe den jeweiligen Tierärzten, insbesondere Hochschulprofessoren, zugeordnet worden. So verdiente Willie Reed, Dekan der Tiermedizinischen Fakultät der Purdue University und Mitglied einer FDA-Berater-Task-Force, an der Universität 276.000 Dollar jährlich. Seit März 2014 erhält er als Zoetis-Aufsichstrat nochmal 240.000 Dollar. Diese Honorierung taucht aber in der Offenlegung des FDA-Beratergremiums nach Reuters-Angaben nicht auf.
Unterstützung für Studenten
In den USA kostet schon das vierjährige Tiermedzinstudium rund 200.000 Dollar Studiengebühren, so dass viele Tierärzte bereits verschuldet ins Berufsleben starten. Fünf US-Pharmafirmen hätten hundertausende Dollar an „Rückzahlungsbeihilfen“ vergeben, schreibt Reuters. Unter anderem mit der Bedingung, dafür mindestens vier Jahre in der Nutztierpraxis zu arbeiten. Einige Studenten würden auch als „Unternehmensrepräsentanten“ auf dem Campus honoriert.
Tierarzt wirtschaftlich abhängig vom Landwirt?
Die Reuters-Autoren bewerten die Tätigkeit eines Tierarztes in der Nutztierpraxis in einigen Punkten auch als komplexer, als die eines Humanmediziners: Der Patient ist zwar das Tier, der Auftraggeber aber dessen Besitzer. Und speziell die Nutztierhalter wollten den größtmöglichen Profit aus ihren Tieren ziehen. „Es ist Aufgabe des Tierarztes, dies zu ermöglichen,“ behauptet Reuters. Der Tierarzt stehe daher häufig zwischen den Interessen des Tieres und denen des Besitzers (der die Rechnung zahlt). „Was ein Tierarzt verordnen wird, hängt ab von den Wünschen dessen, der ihn bezahlt,“ zitiert Reuters einen großen Rinderzüchter.
Tierärztliche Ethik reicht aus
Fred Gingrich, der kommende Präsident der Amerikanischen Rindertierarztvereinigung (AABP), wirft Reuters dagegen eine zynische Sicht auf die „Ethik der Tierärzte“ vor. „Wir sind stolz auf das, was wir tun und wir begrüßen die Verantwortung, die wir bekommen und stellen uns auch der Diskussion darüber.“ Auch Dekan Reed ließ erklären, dass er den in den USA verpflichtenden Eid als Veterinärmediziner geleistet habe, die Gesundheit von Tieren und Menschen zu schützen. Seine Arbeit als Zoetis-Aufsichtsrat erfolge in Übereinstimmung mit diesem Eid.
wir-sind-tierarzt.de kommentiert
von Annegret Wagner
In den USA entflammt gerade genau die Diskussion, die sich auch hierzulande hinter dem Streit um das Dispensierrecht verbirgt: Wie eng sollen Tierärzte und Tierarzneimittelmarkt aneinander gebunden sein? Wie unabhängig und unvoreingenommen ist ein Tierarzt in seinem Verschreibungs- und Abgabeverhalten? Entscheidet er im Zweifelsfall für das Tier – oder beim Antibiotikaeinsatz für das Gemeinwohl – und gegen den Auftraggeber? Für die Amerikaner ist ein wichtiger Faktor dabei die Transparenz von Geldflüssen.
Ich finde: Was diese verschiedensten Wege des Geldes angeht, sollten wir in Deutschland keineswegs die US-Verhältnisse nachahmen – auch wenn einige US-Pharmafirmen durch ihr Auftreten anscheinend gerne vergleichbare Strukturen „importieren“ möchten. Noch sind – aus meiner Sicht zum Glück – weder Studien- noch Verbandstrukturen noch die rechtlichen Grundlagen des Dispensierrechts zwischen Deutschland und den USA eins zu eins vergleichbar.
Doch auch hierzulande wird Kritik laut, dass veterinärmedizinische Fachgruppen von „Großveterinären“ dominiert werden. Und es werden Praktiker von Pharmafirmen für „Untersuchungen“ ihrer Medikamente bezahlt, die sie dann auf Kongressen oder in eigenen Fortbildungsveranstaltungen (auch für Landwirte) vortragen. Dabei wird zwar durchaus deutlich, dass es sich um eine fremdfinanzierte Arbeit handelt, doch empfinde ich diese Praktik mit Blick auf die tierärztliche Unabhängigkeit – zumindest deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit – als schwierige Gratwanderung.
Dabei verlief in den USA die Entwicklung jahrzehntelang fast genau umgekehrt zu der in Deutschland: Die bestandsbetreuenden Tierärzte haben eben nicht am Verkauf der Medikamente verdient. Sie erziel(t)en ihr Honorar vor allem dadurch, dass sie den Landwirten ihre Beratungstätigkeit in Rechnung gestellt haben. Selbst Beratungspraxen mit einem großen Einzugsgebiet haben nur einen geringen Teil ihrer Betriebe selbst mit Medikamenten versorgt. Genau diese honorarbasierte und vom Medikamentenumsatz unabhängige Bestandsbetreuung wollen Standesvertreter hierzulande gerade etablieren.
Umgekehrt kam es womöglich genau deshalb zu den anderen Formen der „Zusammenarbeit“ zwischen Tierärzten und Pharmafirmen? Und weil es bisher keinen direkten Zusammenhang mit dem Medikamentenverkauf gab, wurden diese finanziellen Verflechtungen auch nicht so kritisch gesehen? Jetzt aber stellen sich die Amerikaner die Frage, wie zeitgemäß die Finanzflüsse zwischen Pharmaindustrie und Tierärzten sind. Wohl weil einige befürchten, der Tierarzt würde direkt oder indirekt vom Verkauf der Medikamente bzw. der Wahl des Präparates (Rezept) profitieren.
Wir sollten uns also unbedingt die Frage stellen, was wir aus diesen weltweiten Debatten lernen können? Etwa: Sind die Amerikaner uns nun voraus oder weit hinter uns zurück? Beim Antibiotikaeinsatz generell sind sie sicherlich deutlich zurück. Stichworte sind hier die weiterhin erlaubte prophylaktische Verabreichung von Antibiotika oder der Einsatz von Wachstumsförderern.
Doch sind sie uns bei der Hinterfragung der tierärztlichen Unabhängigkeit voraus? Als ich studiert habe, war es bei Professoren verpöhnt, Echtnamen von Medikamenten zu nennen und Fortbildungen wurden kostensparend in Unihörsälen angeboten. Seither hat sich durch die großzügige Unterstützung aus der Pharmaindustrie vieles zum für uns Tierärzte Bequemeren gewandelt. Leider ist nirgends eine Linie auf den Boden gemalt, die anzeigt, ab wann man sich zu sehr von dem Geld der Konzerne abhängig und damit für Außenstehende unglaubwürdig macht.
Darüber sollten wir als Tierärzteschaft nachdenken, bevor es andere für uns tun.