USA: Endlich Rezeptpflicht für Nutztierantibiotika

(aw/jh) Wie die meisten Industrienationen müssen sich auch die USA mit zunehmenden antimikrobiellen Resistenzen in Human- und Tiermedizin auseinandersetzen. Deshalb planen die Amerikaner ab 2016 erstmals eine Rezeptpflicht für den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung – aber nur für die Wirkstoffe, die Tier und Mensch gleichermaßen betreffen.

Die meisten Antibiotika – und auch Impfstoffe – kann ein Landwirt in den USA bislang problemlos im Landhandel und im Internet beziehen und eigenverantwortlich einsetzen. Allerdings ist allein von 2009 bis 2012 der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung um 16 Prozent angestiegen, meldete die amerikanische Gesundheitsbehörde (FDA) im Oktober 2014. Deshalb hat die US-Behörde drei verschiedene Antibiotikaklassen definiert, von denen sie eine neu regulieren will:

  1. Antibiotika, die nur bei Tieren eingesetzt werden (Einsatzmöglichkeiten unverändert).
  2. Antibiotika, die bei Mensch und Tier gleichermaßen Verwendung finden (Neu: ab 2016 rezeptpflichtig)
  3. Antibiotika, die nur beim Menschen eingesetzt werden und diesen vorbehalten bleiben (Verbot für die Tiermedizin unverändert).
    (Details siehe Tabelle)

Antibiotikaklassen in den USAUSA1_Antibiotikaklassen_Tiermedizin_2016

 Wachstumsförderer bleiben teilweise erlaubt

Bei der ersten Gruppe der reinen Tiermedikamente bleiben die USA weit hinter europäischen Standards zurück, indem sie für diese Medikamente keine Rezeptpflicht einführen. Damit können Landwirte diese weiter „over the counter“ (OTC) im Landhandel oder Internet erwerben und ohne tierärztliche Kontrolle eigenverantwortlich einsetzen – etwa als Wachstumsförderer. So ist etwa das in Europa umstrittene Monensin ein Ionophor aus dieser Gruppe. Auch Carbadox, das in der EU und Kanada verboten ist, weil das Medikament als karzinogen gilt, darf weiterhin ohne tierärztliche Indikationsstellung eingesetzt werden.

Rezeptpflicht für Cephalosporine und Fluorchinolone

Die entscheidende Neuerung und für die USA ein großer Schritt ist die Rezeptflicht für die „gemeinsamen Human/Tier-Antibiotika“ der Gruppe 2. Damit steht vor der therapeutischen Verwendung dieser großen Medikamentengruppe in der Nutztiermedizin erstmals verpflichtend eine tierärztliche Diagnose. Diese neue „Gatekeeper“-Rolle der Tierärzte ist aber in den USA nicht unumstritten. Diskutiert werden finanzielle Abhängigkeiten von der Pharmaindustrie (mehr hier).
Ein Einsatz von Antibiotika aus dieser Gruppe als Wachstumsförderer wäre dann ab 2016 ebenfalls nicht mehr zulässig – auch das ist ein Fortschritt.
Eine Metaphylaxe bleibt allerdings wie auch in der EU erlaubt. Ebenfalls erlaubt bleibt – und das ist kritisch zu bewerten – eine prophylaktische Anwendung, also ein vorbeugender Einsatz bei gesunden Tieren, bei denen ein Tierarzt den möglichen Kontakt mit Krankheitserregern für wahrscheinlich hält.

Definition der Reserveantibiotika

Erfreulich ist, dass die USA mit der Gruppe 3 – also den Medikamenten, die allein der Humanmedizin vorbehaltenen sind – anders als die EU eine genaue Definition ihrer „Reserveantibiotika“ vorlegen. Bei den genannten Wirkstoffklassen handelt es sich in drei Fällen um tatsächliche Neuentwicklungen, die noch nicht in der Tiermedizin zum Einsatz gekommen sind. Lediglich bei den Antiinfektiva gegen Mycobakterien trifft man alte Bekannte wie Streptomycin.
Dagegen zählen in den USA Fluorquinolone und Cephalosporine, die sowohl Human- als auch Tiermediziner schon seit mindestens zwanzig Jahren einsetzen, nicht zu den Reserveantibiotika, die ausschließlich den Humanmedizinern vorbehalten sein sollen.

EU-Parlament: Cephalosporine und Flurchinolone für Tiere verbieten?

Eine komplett konträre Position bezog dagegen am 27. Dezember der gesundheitspolitische Sprecher der konservativen EVP, der größten Fraktion im Europa-Parlament. Der Humanmediziner Dr. Peter Liese, zugleich Mitglied des CDU-Bundesvorstands, ließ sich mit den Worten zitieren: „Lieber ein Tier notschlachten als einen Menschen gefährden“. Er wolle deshalb – schreibt die WAZ – „den Einsatz von Medikamenten, die als Reserveantibiotika für Menschen die letzte Rettung sein können, in der Tierhaltung verbieten.“ Liese nennt dann als „relativ moderne Antibiotika … in erster Linie die Cephalosporine der dritten und vierten Generation und die Gyrasehemmer“. Die würden beim Menschen eingesetzt, „wenn die anderen nicht mehr helfen.“ Dabei verkennt der Europapolitiker vollkommen, dass diese beiden Antibiotikagruppen in Deutschland inzwischen je nach Studie und Alter der Patienten zwischen 22 und 40 Prozent der in der Humanmedizin eingesetzten Antibiotika ausmachen und dort vielfach unkritisch verordnet werden – von letzter Reserve also kaum die Rede sein kann.

„Entscheidung nicht Experten überlassen“

Zugleich sagte Liese, dass auf EU-Ebene ein Expertenausschuss das Thema noch einmal eingehend beraten wolle, er selbst das (Verbot / Anm. d.Red.) aber gerne sofort umsetzen würde: „Erstens weil ich glaube, dass es eilt. Zweitens aus politischer Überzeugung: Wenn man das verbietet, ist es ein starker Eingriff in die Landwirtschaft. Wenn man es nicht verbietet, kann es möglicherweise Menschenleben kosten. Die Sache möchte ich nicht gerne Experten überlassen.“

wir-sind-tieraerzt.de kommentiert …

… dass das Expertenwissen des Humanmediziners Peter Liese eigentlich keines weiteren Kommentars bedarf und selbst erklärt, warum er medizinischen Experten weniger zutraut als Politikern. Wobei wir mal voraussetzen, dass die WAZ Herrn Liese korrekt wiedergegeben hat – was ja nicht zwingend so sein muss und in diesem Fall auch nicht zu wünschen wäre.
Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass Liese im weiteren Verlauf des Interviews auch den Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin sehr kritisch beleuchtet. Was dennoch eine derart populistische Argumentation nicht rechtfertigt. (jh)

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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