Wildfleisch-Hygiene noch zeitgemäß? Update

Aufgebrochenes Wildschwein

Wildfleisch hat beim Verbraucher zu recht ein positives Image. Doch aktuelle Untersuchungen und Erkrankungen klar: Roh sollte man es nicht essen! 

Ist Wildfleisch-Hygiene noch zeitgemäß? – Teil I: Keime

In den allseits beliebten Kochsendungen und Journalen werden Rezepte veröffentlicht vom rosa Steak über rohe Wurst bis hin zu rohem Carpaccio. Doch aktuelle Zoonose-Fälle zeigen, dass hier – wenn auch als Einzelfälle – sehr wohl Risiken lauern. Eine Reihe solcher „Einzelfälle“ fielen in den vergangenen Jahren allein in Hessen auf. Trauriger Höhepunkt war der Tod eines Jägers.

Zoonosepotential unterschätzt

Im hessischen Wetteraukreis infizierte sich 2012 ein Jäger mit Streptococcus suis. Er hatte mit einer offenen Wunde am Zeigefinger Wildschweine aufgebrochen und das Fleisch küchenfertig zubereitet. Innerhalb von zwei Tagen erkrankte er, hatte Gelenkschmerzen und Erbrechen. Trotz Einlieferung ins Krankenhaus verstarb er am folgenden Morgen an einer Blutvergiftung. Die Veterinärbehörden des Wetteraukreises vermuteten allerdings eine Verkettung unglücklicher Umstände. So war das Immunsystem des 35-Jährigen durch Vorerkrankungen so stark geschwächt, dass es mit der Streptokokken-Infektion trotz rascher ärztlicher Hilfe nicht mehr fertig wurde. Zudem hatte er eine offene Wunde an der Hand, durch die die Bakterien in die Blutbahn gelangten.

Streptococcus suis ist ein Zoonoseerreger, der vor allem Hirnhautentzündung und Sepsis beim Menschen hervorrufen kann. Die Übertragung erfolgt meist über den direkten Kontakt zu infizierten Schweinen oder über den Kontakt mit kontaminiertem Schweinefleisch. Im Rahmen einer Doktorarbeit wies Dr. Gerd-Josef Verkühlen auf den Tonsillen von 92,8 Prozent der untersuchten Wildschweine das Bakterium nach. Für den Menschen pathogen sind davon etwa zehn Prozent. Streptococcus suis ist in Asien mittlerweile die am häufigsten nachweisbare Meningitis- Ursache beim Erwachsenen. In Deutschland gab es in 2011 dagegen nur 10 Fälle. Neben Kopfschmerzen, Fieber und Erbrechen können Blutungen auftreten. Weiterhin sind Sepsis, Lungenentzündung, Gelenksentzündung und das Toxische Schock Syndrom möglich. Es sind fast ausschließlich Menschen mit direktem Kontakt zu Schweinen gefährdet. Eine Untersuchung aus den Niederlanden sagt aus, dass sechs Prozent der Tierärzte Antikörper gegen Streptococcus suis aufweisen.

Süß sind sie ja schon: Wildschweine

Süß sind sie ja schon: Wildschweine

Vom Auftreten einer weiteren Zoonose berichtet Dr. Klaus Volmer vom Arbeitskreis Wildhygiene an der Uni Gießen. Beim Aufbrechen eines Wildschweins fand er an den Zwerchfellpfeilern 15 derbe „bislang nie gesehene“ Knoten. Das Untersuchungsamt fand Corynebakterium ulcerans – einen Keim, der beim Menschen Diphterie verursachen kann. 2011 konnte das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart das Bakterium erstmals in Deutschland nachweisen. Die Lymphknoten zweier Wildschweine zeigten im Rahmen der pathologisch-anatomischen Untersuchung Abszessbildung mit den für die Pseudotuberkulose typischen, käsig-weißen Nekrosen mit “zwiebelschalen-artigem” Aufbau. Der Erreger kann unterschiedliche Symptome hervorrufen. Typisch sind Atemwegserkrankungen, hohes Fieber, Lymphknotenschwellungen vor allem im Kehlkopfbereich und hängen in erster Linie von der Immunlage des Patienten ab.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das FLI gehen davon aus, dass Hepatitis-E-Erreger in Wildschweinen in Deutschland seit mindestens zwanzig Jahren existieren. Die Durchseuchung liege vermutlich bei etwa 15 Prozent, andere Autoren sprechen gar von 20 Prozent, wobei es erhebliche regionale Unterschiede gibt. Die Zahl von Hepatitis E-Fällen beim Menschen hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich erhöht. 2010 wurden dem Robert Koch-Institut insgesamt 221 Fälle gemeldet, im Jahr zuvor waren es 108. Der Verdacht, dass Hepatitis E auch in Rohwurst vorkommt, besteht ebenfalls. Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren immer mehr Wildschweine als Wurst vermarktet werden. Im Frühjahr 2012 war ein Jäger aus dem östlichen Wetteraukreis akut an Hepatitis E erkrankt. Die Befragung des Erkrankten ergab den starken Verdacht, dass er sich über Wildschweinrohwurst infiziert hat. Weitere einzelne Proben von erlegten Wildschweinen aus dem betroffenen Revier ergaben teilweise positive Befunde bei den dort erlegten Wildschweinen.

Das BfR konnte 2013 davon überzeugt werden, eine Forschungsstudie mit Wildschweinproben und Jägerblutproben aus dem Wetteraukreis zu finanzieren. Die Ergebnisse werden voraussichtlich Ende 2014 veröffentlicht.

Ein vor allem in Überschwemmungsgebieten wie Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg vorkommender Parasit ist der Duncker’sche Muskelegel ein sich ausbreitender Zoonose-Erreger. Er ist mit Trichinen vergleichbar, das Ausmaß seiner Pathogenität ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Auch hier wurde der Wetteraukreis 2012 gleich zwei mal fündig….

Auch Listerien, Mycobacterien, Brucellen, Salmonellen und andere Zoonose-Erreger werden in Deutschland in Wildschweinproben nachgewiesen.

Aufgebrochenes Wildschwein

Aufgebrochenes Wildschwein

Dr. Andrea Bartels zeigte 2014, dass Rehwild ein natürliches Reservoir für Verotoxin-bildende Escherichia coli (VTEC) sein können. Von 353 untersuchten Tieren waren knapp 20 Prozent Ausscheider von VTEC-Stämmen. Sie gehören zu einer Gruppe von Bakterien, die blutige Durchfälle hervorrufen können; insbesondere bei Säuglingen, Kleinkindern und älteren Menschen kann es bei einer Verkomplizierung eines zunächst blutigen Durchfalls zu einer lebensbedrohlichen Situationen mit akutem Nierenversagen kommen. Die Gießener Veterinärmedizinerin wurde übrigens Im Oktober diesen Jahres für ihre Arbeit im Bereich der Lebensmittelsicherheit mit dem mit 5000 Euro dotierten Stockmeyer Wissenschaftspreis 2014 ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch, liebe Kollegin!

Wildhasen können den bakteriellen Erreger Francisella beherbergen. Das hochansteckende Stäbchenbakterium ruft Tularämie – auch Hasenpest genannt – hervor. 2014 wurden erkrankte Tiere in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gefunden. Jäger sollten auch hier unbedingt Handschuhe beim zerlegen tragen. Nur vollständiges Garen tötet die Erreger sicher!

Doch nicht allein Zoonoseerreger können Wildfleisch belasten. Wildpretqualität wird maßgeblich durch die Jagdmethode bestimmt.

Ein Artikel zum Thema ist bereits 2013 von Dr. Henrik Hofmann in Der Praktische Tierarzt erschienen. Es handelt sich allerdings nicht um den gleichen Artikel – weder inhaltlich, noch vom Umfang her, noch hinsichtlich der Aktualität!

Lesen sie demnächst: Wildfleisch-Hygiene noch zeitgemäß? 

Teil I: Keime

Teil II: Wildbretqualität oder „Ein Bauchschuss, der hats in sich“

Teil III: Jäger-Hygiene: „Gummihandschuhe auf Rezept“

Teil IV: Küchen-Hygiene: „Roh oder Leben?“

 

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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