Schnabelkürzen bei Legehennen – Verbot löst Probleme nicht

Das Ende des Schnabelkürzens bei Legehennen naht. Vorreiter in Deutschland ist Niedersachsen. Dort soll zum Jahreswechsel 2016/2017 ein Verbot greifen. In den Niederlanden ein Jahr später. Dänemark hat das kupieren der Schnäbel seit 2013 verboten – aber nur in ausgestalteten Käfigen. In Österreich verzichtet man bereits jetzt  freiwillig darauf. Wie sich das gefürchtete Federpicken aber verlässlich verhindern lässt, ist immer noch unklar.

Welche Probleme durch ein Verbot auftreten können und wie man gegensteuern kann, erprobt Niedersachsen seit 2011 in Testbetrieben. Die Untersuchungen werden noch bis 2015 weitergehen, denn es gibt noch keinen „sicheren“ Katalog von Maßnahmen, mit denen sich das Federpicken in Herden mit ungekürzten Schnäbeln vermeiden lässt. Selbst innerhalb eines Stalls und bei gleichen äußerlichen Rahmenbedingungen verläuft ein Durchgang problemlos, beim nächsten kann es zu „Kannibalismus-Ausbrüchen“ kommen.

Federpicken ist kein neues Problem moderner Tierhaltung

Deshalb ist es zur Zeit in Deutschland üblich, den Oberschnabel der Küken zu kürzen, damit die Tiere sich nicht so leicht verletzen können. Kommt das Kupierverbot, muss nach anderen Möglichkeiten gesucht werden, die Hühner davon abzuhalten sich gegenseitig Federn auszureißen oder Hautverletzungen zuzufügen. Federpicken und Kannibalismus sind dabei keine neuen Phänomene und haben auch nicht unmittelbar mit „Massentierhaltung“ zu tun; bereits Baldamus beschreibt in seinem Lehrbuch aus dem Jahre 1876 die Unart des Federpickens bei Geflügel.

Angst als Auslöser

Elske de Haas von der Universität Wageningen (Niederlande) berichtet auf thepoultrysite.com, dass alle Produktionsschritte in der Hühnerhaltung berücksichtigt werden müssen, um das unerwünschte Verhalten zu vermeiden.
Angst scheint dabei ein wesentlicher Faktor für Federpicken zu sein. Es müsse also möglichst alles vermieden werden, was den Tieren Angst macht oder unnötigen Stress bedeutet. Das beginnt mit der Züchtung auf weniger ängstliche Tiere. Dr. De Haas hat herausgefunden, dass gerade bei weißen Hybridlegehennen ängstliches Verhalten der Mütter auf die Küken vererbt wird. Ängstlichkeit der Mutter – gemessen an Kortikoid- und Serotonin-Konzentrationen sowie Gefiederschäden – steht im Zusammenhang mit Federpicken und Ängstlichkeit bei deren Küken im Alter von einer und fünf Wochen. Da die Küken mutterlos aufwachsen, können sie das Verhalten nicht von ihren Müttern abgeschaut oder erlernt haben.

Einstreumanagement wichtig

Einstreu und Haltung heben ebenfalls einen Einfluss auf Federpicken bei den Jungtieren. Unregelmäßiges Einstreuen oder gar kein Nachstreuen während der Aufzuchtphase begünstigt Federpicken, aber auch größere Ängstlichkeit. Braune Hybridhühner reagieren dabei auf schlechtes Einstreumanagenment empfindlicher als weiße. Es gibt also durchaus auch zwischen den Rassen unterschiedliche Reaktionsweisen. De Haas ist es daher wichtig, dass für unterschiedliche Hühnerrassen eventuell unterschiedliche Lösungsansätze beim Federpicken notwendig sind.

Sandbäder wirken positiv

Ähnliche Erfahrungen hat man in Niedersachsen gemacht. Daher empfiehlt das beim Pilotversuch federführende Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) den Landwirten, genug Einstreu zu verwenden und das Material zu variieren, damit es für die Jungtiere interessant bleibt und sie sich damit beschäftigen. Ab der 10. Lebenswoche können Getreidekörner in die Einstreu gegeben werden. Auch Sandbäder zur Gefiederpflege und Beschäftigung haben einen positiven Effekt auf das Verhalten. Allerdings müsse man darauf achten, dass die Einstreu nicht zu grob ist und nicht zu nass wird, denn sonst kommt es wiederum zu Fußballenproblemen. Weiterhin rät das LAVES Aufzüchtern und Legehennenhaltern sich abzustimmen und zwar bei Haltung, Beleuchtung, Fütterung und Gesundheitsprogrammen. Dadurch sollen sich die Bedingungen für die Tiere beim Umstallen nicht mehr als nötig verändern.

Lichtverhältnisse entscheidend

Besonders die Lichtverhältnisse müssen von Anfang an berücksichtigt werden. Hühner, die später in Freilandhaltung leben sollen, müssen Tageslicht gewohnt sein. Direktes Sonnenlicht in Ställen wiederum kann Federpicken und Kannibalismus fördern, denn Hühner reagieren unter sehr hellen Verhältnissen schreckhafter. Die gesetzlichen Vorgaben in Deutschland fordern eine Helligkeit von 20 Lux. Das Tageslicht muss durch eine „Fensterfläche“, die mindestens drei Prozent der Stallgrundfläche entspricht, in den Stall gelangen. Starke Helligkeitsschwankungen liessen sich mit Tönungsfolien an den Fenstern vermeiden, rät Dr. Jürgen Emele vom TGD Baden-Württemberg. In Kombination mit künstlicher Beleuchtung schaffen sie stabile Lichtverhältnisse und bewirken damit eine deutliche Verminderung von aggressivem Verhalten.

Mehrere Ebenen wichtig

Dr. De Hass betont, dass auch die Haltung in großen Gruppen ein Problem für heranwachsende Hühner beider Hybridrassen darstellt. Zudem ist die Aufstallung auf nur einer Ebene für die Hennen nicht optimal. Mit dem verbot dürften bauliche Veränderungen bei Hühnerställen nötig werden, um das Wohlbefinden der Tiere stärker zu berücksichtigen und ihnen Angst zu nehmen.

Akustische Beruhigung möglich

Das Einsetzen von Hähnen in die Gruppen hat nach Beobachtungen der Holländerin einen beruhigenden Effekt auf die Hennen, ebenso wie die Verwendung von Radiogeräten. Solche „akustische Maßnahmen“ könnten eventuell auch eine Möglichkeit sein, um Angst und Aggressionen abzubauen.

Forschungsbedarf weiterhin erheblich

Sowohl Dr. De Haas, als auch das LAVES und die am Testbetrieb beteiligten Fachtierärzte erleben einen Verzicht auf das Schnabelkürzen derzeit nicht als unproblematisch. Damit es durch ein Verbot nicht zu erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Legehennen kommt, sind deutliche Änderungen in Zucht, Management und Haltungssystemen notwendig. Die gewählten Maßnahmen müssen immer die gehaltene Hühnerrasse und deren Eigenheiten sowie die Lebensbedingungen berücksichtigen. Universallösungen scheint es noch nicht zu geben und Forschungsbedarf besteht weiterhin reichlich.

 

Weiterführende Links
Sachstand Legehennenhaltung –Vortrag Petermann (LAVS) bei der LWK-Niedersachsen (Stand 10:2013)
LAVES Niedersachsen: Erfahrungsaustausch mit Österreich
Empfehlungen des LAVES-Niedersachsen zum Schnabelkürzen (Stand 2013)

 

 

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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