Milchpreissenkung – der böse Aldi hat nicht alleine Schuld

Dumpingpreise schaffen Tierleid – Kampagnenmotiv des Deutschen Tierschutzbundes.
Aldi senkt den Milchpreis und plötzlich protestieren Deutscher Bauernverband und Deutscher Tierschutzbund einträchtig Seit an Seit gegen die skrupellosen und marktmächtigen Lebensmittelketten. Diese ruinierten die Landwirte und trieben die Tiere ins Elend. Das ist nun deutlich zu kurz gebrüllt, sagen Kritiker.

aktualisiert: 10.11.2014
Das Zauberwort heißt Quotenüberlieferung. Schon Mitte September(!) meldete die Zentrale Milchmarkt Berichtserstattung GmbH (ZMB) für die ersten fünf Monate des Jahres 2014 eine Rekordmilchproduktion der deutschen Bauern. Mehr als eine Million Tonnen zuviel Milch würde das am Jahresende bedeuten, selbst wenn es im zweiten Halbjahr kein weiteres Wachstum mehr geben sollte – und daran glaubt selbst der ZMB nicht, denn es folgt dieser Satz: „Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die Milcherzeugerpreise auf dem derzeitigen Niveau nicht zu halten sind.“

Das Elend der Marktwirtschaft

Ergo handeln Aldi & Co jetzt im November zunächst mal marktkonform: Ist das Angebot zu groß, sinkt der Preis. So funktioniert Marktwirtschaft. Warum die Bauern scheinbar auf Teufel komm raus neue Ställe bauen und Milch produzieren, glaubt süddeutsche.de zu wissen: 2015 fällt die Milchquote, dann kann jeder Betrieb liefern soviel er will. Die Betriebe bringen sich in Stellung, was ihre Produktionskapazitäten angeht. Und das vor allem mit dem Export-Blick auf den Weltmarkt, denn die Deutschlandnachfrage sei seit Jahren relativ stabil. Gleichzeitig gibt es Absatzprobleme auf eben diesem Weltmarkt (Stichwort u.a. Ukraine-Krise).

„Schuld ist die Überproduktion“

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Zentrale Ursache für den Preisverfall sei die weltweite Überproduktion, sagte gegenüber dpa auch Kirsten Wosnitza, schleswig-holsteinische Landesvorsitzende des bauernverbandskritischen Bundes Deutscher Milchviehalter (BDM). Die Produktion sei in Deutschland um vier Prozent, in der Europäischen Union um fünf Prozent, in den USA um zwei Prozent sowie speziell in Neuseeland um zehn Prozent gestiegen. Auch die ZMB meldet im Oktober erneut Rekordlieferquoten für die europäische Union.
Das Ganze zeigt wieder einmal: Einfache schwarz-weiß-Schuldzuweisungen funktionieren nur begrenzt.

Billigpreise killen Tierwohl

Dumpingpreise schaffen Tierleid – Kampagnenmotiv des Deutschen Tierschutzbundes.

Dumpingpreise schaffen Tierleid – Kampagnenmotiv des Deutschen Tierschutzbundes.

Dennoch hat auch die Wut auf die Preisdumping-Strategie speziell der Discounter durchaus ihre Berechtigung. Ein Preis für das vergleichsweise aufwändig produzierte tierische Lebensmittel Milch, der auf einem Niveau mit dem für in Plastikflaschen abgefüllte Trendwässerchen liegt, kann nicht den wahren Wert dieses Lebensmittels abbilden – seien die Wasser auch durch noch so tiefen Stein gepresst. Den allerletzten Cent müssten die Handelskonzerne deshalb auch nicht aus den Preisverhandlungen rauspressen. Zumindest dann nicht, wenn sie es ernst meinen mit ihrer Brancheninitiative Tierwohl – die im übrigen auch Aldi mitträgt,  klagt Tierschutzbundpräsident Schröder. „Sie dürfen die Verbraucher nicht derart auf Billigpreise trainieren. Das nenne ich zynisch. Das passt nicht zusammen, denn mehr Tierschutz im Stall kostet Geld, das muss auch der Verbraucher lernen.“
Dessen Einkaufsverhalten aber zeigt, dass der wenig lernwillig ist, wenn es an sein Portemonnaie geht. Der Preis für den Liter Milch gehört zu den leicht zu merkenden „Vergleichspreisen“ anhand derer wir Verbraucher definieren, wie preiswert ein Händler ist. Auch deshalb ist es ein umkämpfter Preis.

Kartellrechtlich bedenkliche Marktmacht

Zu dieser „negativen Preisspirale“ findet der Deutsche Bauernverband deutliche Worte. Er wirft dem Handel vor, „in die alten Verhaltensmuster der Billigpreispolitik zurückzufallen.“  Der Lebensmittelhandel trage angesichts (s)einer kartellrechtlich bedenklichen Konzentration von Einkaufsmacht eine besondere Verantwortung gegenüber den Milchbauern und der Milchproduktion in Deutschland.

Im Schraubstock zwischen Preis- und Kostendruck

Die Landwirtschaft sieht das Verbandspräsidium dabei im „Schraubstock zwischen Preis- und Kostendruck“. Deshalb sei es „notwendig … die missbräuchliche Ausnutzung der Einkaufsmacht zu unterbinden“. Verbraucher und Lebensmittelhändler seien dem Grundsatz „Lebensmittel sind mehr wert“ verpflichtet. Der Bauernverband verurteilt deshalb insbesondere „Werbepraktiken, die auf Dumpingpreise von Lebensmitteln setzen“.

Ein paar mahnende Worte an die Milchbauern, ebenfalls Verantwortung zu übernehmen und nicht unendlich Milch zu produzieren, finden sich aber in keiner Pressmeldung.

Wie zwei Milchbauern die Preiserhöhung sehen, hat topagrar-online hier zusammengefasst

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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