EFSA-Empfehlungen: Wie man Resistenzbildung durch Sperrmilch vermeidet

Euterinjektion: Antibiotikaresistenzen können über die "Sperrmilch" weitergegeben werden. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Besteht die Gefahr der Bildung oder Weitergabe antimikrobieller Resistenzen (AMR) wenn man Kälbern Sperrmilch verfüttert? Die Europäische Lebensmittelsicherherheitsbehörde (EFSA) sagt: Ja. Und sie entwirft drei Szenarien was dagegen zu tun wäre. Ein Ausblick auf mögliche gesetzliche Vorschriften?

von Annegret Wagner

„Sperrmilch“ ist Milch von Kühen, die mit Medikamenten – hier insbesondere Antibiotika – behandelt worden sind. Diese Milch darf während einer entsprechenden Wartezeit nicht als Lebensmittel verkauft werden. Deshalb verfüttern die Landwirte diese Milch in der Regel an Kälber – was auf EU-Ebene durchaus rechtens ist, in einzelnen Mitgliedsstaaten aber unterschiedlich geregelt wird.

Problem: Antibiotika in der Sperrmilch

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat nun bewertet, ob über Milch von Kühen, die mit antibiotisch wirksamen Medikamenten behandelt wurden – sei es zum Trockenstellen oder während der Laktation – Resistenzen oder resistente Bakterien weitergegeben werden können. Ja, die Antibiotika werden teilweise mit der Milch ausgeschieden und so auch auf die Kälber übertragen. Die wiederum können sie in gewissen Umfang mit dem Kot ausscheiden. Gleichzeitig kommt die physiologische Magen- und Darmflora der Kälber mit den Wirkstoffen in Kontakt. Auch das kann zur Bildung von Resistenzen führen.

Resistenzen: Drei mögliche „Übertragungswege“

Die EFSA-Auswertungen (vorliegender Untersuchungen) zeigen, dass das Kolostrum von Kühen, die mit einem antibiotischen Trockensteller behandelt wurden, in der Regel keine antibiotisch wirksamen Substanzen mehr enthält – wenn die angegebene Trockenstehzeit eingehalten wird.
Bei Mastitisbehandlungen mit intramammärer Therapie dagegen werden höhere Konzentrationen der entsprechenden Antibiotika über die Milch an Kälber weitergegeben. Entsprechend konnten verschiedene Studien eine Erhöhung der Resistenzen bei den üblichen Darmkeimen nachweisen. Die werden dann mit dem Kot der Kälber ausgeschieden – allen voran E.coli.
Möglich wäre auch, dass die Milch aufgrund der Behandlung bereits resistente Keime enthält, die an die Kälber weitergegeben werden. Doch diese Variante scheint eher selten zu sein.

 

Die Experten der EFSA sehen drei mögliche Szenarien, wie in Zukunft mit der antibiotikahaltigen Milch umgegangen werden sollte:

1. Abgestufte Fütterungsverbote

  • Denkbar ist ein generelles Fütterungsverbot für Sperrmilch
  • Oder ein Fütterungsverbot für Sperrmilch, wenn zuvor für den Menschen besonders wichtige Antibiotika (in Deutschland auch „Reserveantibiotika“ genannt) zur Behandlung eingesetzt worden sind
  • Oder ein Fütterungsverbot für Sperrmilch, wenn davon auszugehen ist, dass sie hohe Antibiotika- Konzentrationen enthält, also etwa während der intramammären Behandlung.

2. „Zerstörung“ der Antibiotika in der Milch

  • Eine weitere mögliche Maßnahme, Antibiotikarückstände aus der Tränkemilch zu entfernen, ist die Zerstörung der enthaltenen Antibiotika durch Inkubation mit ß-Lactamasen.

Gerade die ß-Lactam-Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine) werden besonders häufig zur Euterbehandlung eingesetzt und könnten vergleichsweise leicht „entfernt“ werden. Das Problem bei dieser Methode ist allerdings ein Anstieg der Bakterienmenge in der behandelten Milch. Cefoquinome lassen sich außerdem gut durch die Anhebung des ph-Wertes auf 10 zerstören. Aber es ist noch nicht klar, ob Milch mit einem solchen ph-Wert noch bedenkenlos an Kälber verfüttert werden kann.
Weitere Verfahren – die sich aber auf landwirtschaftlichen Betrieben nicht gut realisieren lassen – sind die Ultrafiltration oder die elektrochemische Oxidation.

3. Bakterienmenge in der Rohmilch reduzieren

  • Eine weitere Möglichkeit, die Ausscheidung von resistenten Bakterien mit dem Kot zu reduzieren, ist die Verringerung von entsprechenden Bakterien in der Rohmilch.
Kalb Tränkeeimer

Bekommen Kälber antibiotikahaltige „Sperrmilch“ können sie resistente Bakterien ausscheiden. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Dazu eignet sich die Erwärmung der Milch besonders gut. Allerdings dürfen die im Kolostrum enthaltenen und für die Kälber wichtigen Immunglobuline nicht zerstört werden. Deshalb empfiehlt sich eine Erwärmung der Milch auf etwa 60°C für etwa 60 Minuten. Bei Temperaturen über 63°C werden Immunglobuline geschädigt. Wer höhere Temperaturen wählt, muss die Milch entsprechend kürzer erhitzen.
Auch hier kämen weitere Verfahren wie die Mikrofiltration oder die Zentrifugation der Milch in frage. Doch auch diese beiden Verfahren lassen sich nur schlecht in normalen Betrieben umsetzen.

wir-sind-tierarzt meint: Sperrmilch wird reguliert werden

(aw) – Antibiotikaresistenzen sind ein politisches Top-Thema. Und ihre Entstehung in der Landwirtschaft zu verhindern oder zu reduzieren, steht in vielen europäischen Ländern ganz oben auf der Rechtssetzungsagenda. Wenn in diesem Umfeld die EFSA eine wissenschaftliche Einschätzung vornimmt (scientific opinion) kann man daraus wohl schon auf künftige Vorgaben schließen.
In Deutschland darf Sperrmilch auch aktuell eigentlich nicht vertränkt werden, da sie pharmakologisch wirksame Substanzen enthält. Sie müsste unschädlich entsorgt (verbrannt) werden. Doch das können die Landwirten schlicht nicht und es gibt auch keine offiziellen Sammelstellen. Eine „Entsorgung“ der Milch mit der Gülle verhindert nicht wirksam die Verbreitung möglicher resistenter Bakterien und ist daher ebenfalls keine vernünftige Alternative.
Milchviehhalter sollten sich dennoch die EFSA-Vorschläge ansehen und wenn möglich umsetzen. Auch ohne „
Pflicht“, denn die gesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung hängt auch davon ab, wie sie branchenintern proaktiv auf Probleme reagiert.
Die beste Vorbeugung ist es, einen Antibiotikaeinsatz wo immer möglich zu vermeiden – Stichwort selektives Trockenstellen.

Auf die Sperrmilch-Problematik hat schon 2014 Professor Dr. Ewald Usleber (Giessen) hingewiesen (wir-sind-tierarzt-Bericht hier)

Quelle:
Volltext der EFSA-Einschätzung – EFSA-Journal

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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