Neues EU-Tierarzneimittelrecht: Was bedeutet es für Tierärzte

Das neue EU-Tierarzneimittelrecht steht: EU-Kommission, Europäischer Rat und EU-Parlament (Logos v.l.n.r) haben ihre Trilog-Verhandlungen abgeschlossen. (Logos: © EU-Institutionen)

Das Dispensierrecht bleibt erhalten; nur Tierärzte dürfen Tierarzneimittel verschreiben; es gibt keinen Internethandel für verschreibungspflichtige Tierarzneimittel; die Einstufung neuer Antibiotika als „Reserveantibiotika“ muss wissenschaftlich fundiert sein – das neue EU-Tierarzneimittelrecht ist im internationalen Vergleich zwar streng, für Deutschland aber ändert sich wenig.

von Jörg Held

Nach acht Jahren Verhandlung hat sich die EU auf ein neues, europaweit einheitliches  Tierarzneimittelrecht geeinigt. Der Gesundheitsausschuss im EU-Parlament hat den Ergebnissen der Trilog-Verhandlungen (zwischen EU-Parlament, EU-Ministerrat und EU-Kommission) zugestimmt. Wenn es jetzt heißt, die EU „verschärft“ die Tierarzneimittelregeln – insbesondere für den Antibiotikaeinsatz – dann gilt das vor allem mit Blick auf einheitliche Regeln in allen 28 EU-Staaten und im weltweiten Vergleich. Für Deutschland ändert sich vergleichsweise wenig (die wichtigsten Punkte für Tierärzte im übernächsten Absatz).

Antibiotikaregeln gelten auch für Fleischimporte aus Drittstaaten

Beim Antibiotikathema zielt das Regelwerk vor allem auf eine klare Abgrenzung von antibiotischer Prophylaxe und Metaphylaxe und damit zusammenhängende Regeln der Anwendung von Antibiotika (etwa als Wachstumsförderer). Der Grundsatz soll sein: Tierarzneimittel dürfen nicht zum Kaschieren schlechter Haltungsbedingungen genutzt werden.
Dies ist mit der wichtigste Punkt: Diese im internationalen Vergleich strengen Regeln des EU-Tierarzneimittelrechtes für den Antibiotikaeinsatz gelten nämlich künftig auch für Drittländer, die Fleisch nach Europa exportieren wollen (sogenanntes Reziprozitätsprinzip). Wurden etwa Antibiotika als Wachstumsförderer eingesetzt – was in der EU verboten, weltweit aber durchaus noch üblich ist (wir-sind-tierarzt-Bericht hier) – sollen diese Produkte nicht nach Europa gelangen. Das kann und soll Einfluß nehmen auf den Antibiotikaeinsatz in Dritt-Ländern außerhalb der EU.
Abzuwarten bleibt, ob dies – gerade mit Blick auf den aktuellen Handelstreit mit den USA – dann auch konsequent durchgesetzt werden kann oder ob die Welthandelsorganisation (WTO) dies als unzulässigen Eingriff in den Markt wertet.

Die wichtigsten Punkte für Tierärzte

Für deutsche Tierärzte unmittelbar relevant sind die folgende Punkte im neuen EU-Recht:

  • Tierärztliches Dispensierrecht bleibt erhalten – jeder Mitgliedsstaat kann auch zukünftig das Distributionssystem von Tierarzneimitteln so gestalten, wie er es für richtig hält. In Deutschland hatte man national heftig über eine Abschaffung des tierärztlichen Dispensierrechtes diskutiert und sich dann für den Erhalt entschieden (Artikel-Übersicht dazu hier). Die EU akzeptiert dies und schreibt keine Harmonisierung auf europäischer Ebene vor.
  • Einstufung als „Reserveantibiotika“ auf wissenschaftlicher Grundlage – für „kritische Antibiotika“ (mit besonderer Bedeutung für die Humanmedizin / umgangssprachlich „Reserveantibiotika“) muss eine wissenschaftliche Risikobewertung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) erfolgen. Auf dieser Grundlage ist dann über Neuzulassungen für die Tiermedizin zu entscheiden. Altzulassungen sind davon nicht betroffen.
    Tierärzte dürfen „kritische Antibiotika“ wie Fluorchinolone, Cephalosporine (3./4. Generation) und auch Colistin weiter einsetzen und abgeben. Sie sind nicht verboten.
    Auflagen für die Anwendung dieser kritischen Antibiotika können die EU-Behörden aber noch erlassen. Auch nationale Regeln – etwa die neuen Vorgaben der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung zum Antibiotikaeinsatz (Details hier) – gelten weiter.
  • Nur Tierärzte dürfen Tierarzneimittel verschreiben – dieser in Deutschland übliche Standard bleibt EU-weit erhalten. Allerdings soll es nationale Ausnahmen für Großbritannien (künftiges Nicht-EU-Land/ specialised persons) und Norwegen (Fischbiologen) geben.
  • Rabatte auf Tierarzneimittel – trotz einiger kritischer Änderungsanträge des Parlaments sollen Rabatte auch künftig möglich sein.
  • Umwidmungskaskade bleibt weitgehend erhalten – die EU-Kommission hatte ursprünglich deren Abschaffung vorgeschlagen.
  • Anreiz zur Entwicklung/Zulassung neuer Tier-Antibiotika – für neue Antibiotika in der Tiermedizin soll es eine längere Marktexklusivität geben, preiswerte Generika kommen dadurch erst später auf den Markt. So soll es sich für Pharmafirmen eher lohnen, in die Entwicklung/Zulassung neuer Tiermedikamente zu investieren.
  • Unbefristete Zulassung für Tierarzneimittel – im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung sollen Tierarzneimittel zukünftig unbefristet zugelassen werden. Um dies auszubalancieren, soll das System der Pharmakonvigilanz verstärkt werden. Für sogenannte „MUMS-Produkte“ (minor use / minor species) wird eine Verlängerung der Zulassungsdauer angestrebt.
  • Ausbau des EU-Antibiotika-Monitorings – Ziel ist eine Weiterentwicklung des bestehenden ESVAC-Systems der europäischen Antibiotikaüberwachung (aktuellster Bericht hier) zu einer detaillierten Erfassung von Verkaufs- und Anwendungsdaten aus allen Mitgliedsstaaten.

Das jetzt beschlossene EU-Tierarzneimittelrecht setzt den Rahmen. Die Umsetzung in nationales Recht (bis 2022) steht noch aus. „Dabei müssen wir weiter ganz genau darauf achten, dass nicht noch nachträglich von den Mitgliedsstaaten der eine oder andere Wunsch in das Gesetzeswerk hinein interpretiert wird“, beschreibt bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder eine Aufgabe der Tierarztverbände.

bpt: Historische Entscheidung

Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) wertet das Trilog-Ergebnis dennoch als historische Entscheidung: Das neue EU-Tierarzneimittelrecht dürfte für die nächsten 20 Jahre den Rahmen für den tierärztlichen Medikamenteneinsatz vorgeben:
„Auch wenn es in einigen Fällen möglicherweise noch detailliertere Dokumentationspflichten für Tierärzte bei der Anwendung von Antibiotika geben wird, über die wir nicht glücklich wären, ist der insgesamt ein vernünftiger Kompromiss gelungen, den wir begrüßen“, erklärt Moder.
Die europäischen Tierarztverbände hätten den EU-Parlamentariern aufzeigen können, dass insbesondere einige der angedachten Maßnahmen für einen sehr restriktiven Antibiotikaeinsatz für das eigentliche Ziel der eine Resistenzbekämpfung eben nicht zielführend waren. „Alles in allem also ein Schritt in die richtige Richtung, obgleich leider wieder die Chance vertan wurde, einen einheitlichen Binnenmarkt für Tierarzneimittel zu schaffen“, stellt Moder fest.
Ursprünglich sollte das neue Tierarzneimittelrecht vor allem die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln in Europa verbessern. Zuletzt ging es politisch aber vor allem um Vorschriften für  den Antibiotikaeinsatz, um so die Bildung antimikrobieller Resistenzen zu minimieren.

Zeitplan der nächsten Schritte

Bis Herbst 2018 müssen das Plenum des EU-Parlaments und der EU-Ministerrat (Vertretung der Länderregierungen) dem  Trilogergebnis zustimmen. Das gilt als sicher.   Die EU-Mitgliedstaaten haben anschließend zwei Jahre Zeit (2020), die neuen Regeln im nationalen Recht zu verankern. Wirksam wird das neue EU-Tierarzneimittelrecht dann voraussichtlich 2022.

wir-sind-tierarzt kommentiert: Gut gemacht!

(jh) – Schärfere Gesetze, wirklich? So viel hat sich beim neuen Tierarzneimittelrecht doch gar nicht getan, mag mancher denken. Aus deutscher Sicht stimmt das auch – und das ist einmal mehr ein Beleg dafür, dass hierzulande tiermedizinisch bei weitem nicht alles so schlecht ist, wie medial transportiert. Die Standards sind eben – international gesehen – sehr hoch.
Im weltweiten Vergleich aber ist das neue EU-Tierarzneimittelrecht durchaus streng.
Die echte Herausforderung ist nun, den restriktiven Umgang mit Antibiotika auch gegenüber Drittstaaten bei Fleischimporten durchzusetzen. Gelingt es, so auf den Antibiotikaeinsatz weltweit Einfluß zu nehmen, dann ist
 für die Reduzierung antimikrobieller Resistenzen ein tausendfach größerer Erfolg erzielt, als wenn in Deutschland um die letzten eingesetzten Kilo einzelner Wirkstoffe gerungen wird.

Löst man sich von nationalen Politikstreitereien, dann kann man auch verschmerzen, dass die Pressemeldungen von EU-Parlamentariern zum neuen EU-Tierarzneimittelrecht – hier Peter Liese (CDU) oder Martin Häusling (Grüne) – ein wenig martialisch klingen. Man muss halt genau lesen, was nicht drinsteht:

  • „Antibiotika für Tiere strenger geregelt“, schreibt der Grüne: „Mit der neuen Verordnung für Tierarzneimittel haben wir jetzt ein Rechtsmittel an der Hand, die Verwendung von Antibiotika zu beschränken. Es ist ein großer Erfolg, dass Reserveantibiotika künftig den Menschen vorbehalten sein sollen.“
  • Der Schwarze sekundiert: „Der Beschluss sieht unter anderem vor, dass bestimmte Antibiotika, die bei Menschen als letztes Mittel eingesetzt werden (Reserveantibiotika), in der Tiermedizin nicht mehr oder nur unter besonders strengen Bedingungen eingesetzt werden dürfen.“

Klingt auf den ersten Blick, als kämen da große Veränderungen auf Deutschland zu. Doch „Reserveantibiotika“ werden eben „künftig“ nicht von Politikern und NGOs via Medien pauschal (und als „letzte Mittel“ falsch) definiert, sondern dem muss eine wissenschaftliche Bewertung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugrundeliegen.
Die EU-Gesetzgebung ist in der Realität damit viel näher am Tierarztalltag als an politischen Aufgeregtheiten: Wissenschaftlich klar definieren, welches Antibiotikum warum (wie häufig) in der Humanmedizin bei (resistenten) Infektionen ohne Alternative eingesetzt wird und deshalb „kritisch“ ist.
In der Realität – und das haben Tierärzte immer auch so gesagt – bleiben als echte „humanmedizinische Reserveantibiotika“ dann die Wirkstoffe über, die für die Tiermedizin sowieso (noch) nicht zugelassen sind und auch nicht eingesetzt werden.
Einzig für Colistin und Cephalosporine der 4. Generation wird die EMA aktuell bewerten müssen, welche Auswirkungen auf die Resistenzbildung ihr Einsatz in der Tiermedizin hat und ob es über bestehende Regulierungen hinaus (TÄHAV / europäische Mengenziele pro PCU) weitere Einschränkungen geben muss.

Für die Arbeit der Tierarztverbände im Gesetzgebungsprozess gilt: Gut gemacht – das Ergebnis ist für die Tiermedizin tragbar.

wir-sind-tierarzt hat die „Reserveantibiotika-Debatte“ hier aufgearbeitet – inklusive aktuellem WHO-Definitionsstand der „Reserveantibiotika“

Quellen:
Kompromisstext des EU-Tierarzneimittelrechtes nach den Trilog-Verhandlungen (Wortlaut / PDF-Download)
bpt-Pressemitteilung zum Trilog-Ergebnis
Pressemeldung Peter Liese (CDU-Europaabgeordneter)
Pressemeldung Martin Häusling (Grüner Europaabgeordneter)

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)