„Museumslandwirtschaft“ vs „Schreckenswelt Massentierhaltung“

"Heile Welt" contra "Schreckenswelt" – moderne Nutzttierhaltung wird durch Bilder geprägt.Das der Museumslandwirtschaft auch durch Urlaubserlebnisse. (Foto: © pixabay)

Im „Social Lab“ wollen Wissenschaftler herausfinden, was der Bürger so denkt –  über Massentierhaltung und Smartfarming, wie er mit Zielkonflikten umgeht, etwa zwischen Tier- und Umweltschutz und was Politik tun kann (oder muss), um für mehr Akzeptanz der modernen Nutztierhaltung zu sorgen. Jetzt liegen 92 Seiten Ergebnisse vor: Nichts, was so noch nicht diskutiert worden wäre – aber in Summe eine wissenschaftliche Spiegelung der Meinung der Gesellschaft.

(jh) – Die Politik versucht in das Tierwohl zu verbessern, um die gesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung zu erhöhen. Dazu aber muss sie verstehen, wie die Gesellschaft und gesellschaftliche Gruppen die Nutztierhaltung wahrnehmen, was sie akzeptieren und welche Anforderungen an die Tierhaltungsverfahren sich aus der gesellschaftlichen Diskussion ableiten lassen. “SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft” ist ein dazu 2012 begonnenes interdisziplinäres Forschungsprojekt (vom Bundestag beschlossen und gefördert vom Bundeslandwirtschaftsministerium), dass wissenschaftliche fundiert und evidenzbasiert Antworten geben will.
In einem SocialLab kombinieren die beteiligten Wissenschaftler für jede Forschungsfrage adäquate Methoden aus einem „Baukasten“: qualitative und quantitative, aber auch experimentelle Verfahren. So könne man die Komplexität der Nutztierhaltung, so wie sie heute in der Gesellschaft gesehen wird, abbilden. Das Projekt gilt in seiner Breite auch weltweit als Innovation.

Einige Inhalte aus den jetzt veröffentlichten ersten Ergebnissen:

„Museumslandwirtschaft“ vs „Schreckenswelt Massentierhaltung“

„Typisierung“ der „Massentierhaltung“ nach Hörning (2013). (Foto: ©bigdutchman/Montage WiSiTiA/jh)

Die Wahrnehmung der Tierhaltung ist durch eine Bildkonfiguration charakterisiert: Das Bild einer „heilen Welt“ („Museumslandwirtschaft“) steht dem einer „Schreckenswelt“ („Massentierhaltung“) gegenüber, zeigt eine Grundlagenstudie von Simons et al.:

  • Die „Museumslandwirtschaft“ zeichnet sich durch einen als fair empfundenen Deal zwischen Mensch und Tier aus. Ihr Bild wird gespeist durch Medienberichte, Heimatfilme und Werbung. Aber auch durch eigene Sehnsüchte und Erfahrungen, durch Erlebnisse wie dem Urlaub und das Einkaufen auf dem Bauernhof oder durch die Teilnahme an traditionsreichen landwirtschaftlichen Festen.
  • Dagegen steht die „Massentierhaltung“ für einen unwürdigen Umgang mit den Tieren. Sie wird als als maßloses System (das bezieht verarbeitende Industrie und z.T. den Handel mit ein) eingeschätzt und unterstellt, dass es die Tiere als seelenlose Ware behandelt. Es geht nicht allein um Größenordnungen wie der Anzahl der gehaltenen Tiere. Bei der Beschreibung der Massentierhaltung verwischt die Grenze zwischen dem Umgang mit Tieren und dem Umgang mit Menschen.
    (Die Definition von Massentierhaltung hat wir-sind-tierarzt hier diskutiert)

Diese Polarisierung ist stark durch mediale Berichte und sowohl von Sehnsüchten als auch von Schreckensphantasien und Deutungsmustern beeinflusst. Dabei sind die Bilder oft Ausdruck des Wunsches, komplexe Zusammenhänge auf eine einfache und überschaubare Ordnung zu bringen.
In den Interviews und Gruppendiskussionen gelingt es den Teilnehmern nicht, konkrete Vorstellungen von einer Tierhaltung zu entwickeln, die sowohl ihren Ansprüchen an Tierwohl und Umweltverträglichkeit, wie auch ihren Ansprüchen an Versorgung und Bezahlbarkeit entspricht. 

(Direktlink: Akzeptanz der Nutztierhaltung in Deutschland – Ergebnisse der psychologischen und ethischen Untersuchung von Bestimmungsfaktoren)

Auslauf ist wichtig – und sichtbar

Weideauslauf muss sein – dass der  in Deutschland witterungsbedingt für Kühe nicht zu jeder Jahreszeit ideal ist, steht hintan. (Foto: WiSiTiA/aw)

Wenn es den Bürgern um Tierhaltungssysteme geht, dann zeigt sich für alle Tierarten eine klarer – und eben auch leicht sichtbarer Indikator: Die Präferenz für Haltungssysteme, die den Tieren zumindest Außenklima ermöglichen. Ob Milchkühe, Mastschweine und Masthähnchen – die Gesellschaft bewertet die reine Stallhaltung für Nutztiere sehr kritisch. Kühl et al. haben die Bürgermeinungen zu verschiedenen modernen Haltungssysteme systematisch erfasst – und ziehen Schlussfolgerungen für zukunftsweisende Haltungssysteme:
Auch Außenklimaställe können demnach die gesellschaftliche Akzeptanz letztlich nur bedingt erhöhen. Damit die Nutztierhaltung langfristig akzeptiert wird, ist Zugang ins Freie notwendig.
Hier besteht erheblicher Forschungsbedarf: Wie kann man die Anforderungen der Bürger aufgreifen und in innovative Haltungsformen umsetzen, die dennoch auch produktionstechnisch gut funktionieren?

(Direktlink: Bürgerbewertungen unterschiedlicher Haltungssysteme)

Technik im Stall – die Menschen sind skeptisch

Aktuell ist viel von Smart-Farming und Digitalisierung im Stall die Rede. Der Beitrag von Rovers et al. stellt gegenüber, wie Landwirte und Bürger die Nutztierhaltung wahrnehmen. Das ist naturgemäß sehr unterschiedlich – auch im Bereich der neuen Techniken:

  • Landwirte empfinden tierartenspezifische Technik im Stall als Arbeitserleichterung. Sie betonen positive Effekte für das Tierwohl, weil sich für sie eine bessere Tierüberwachung in eine bessere Tierversorgung umsetzen lässt. Mehr Technikeinsatz ist aber auch eine Anpassungsstrategie an wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
  • Die Bürger aber sind skeptisch. Für sie wird heutzutage zu viel Technik eingesetzt, um verschiedene Prozesse, wie z.B. die Fütterung, automatisiert durchzuführen. Sie gehen bei einem Mehr an Technik von einem verminderten Mensch-Tier-Kontakt aus.

Arbeit erleichtern, Zeit sparen vs weniger Tierkontakt – die Bürger sind beim Einsatz von mehr Technik im Stall (hier Melkroboter) skeptisch. (Foto: © blonder1984/GNU Free Documentation License)

Ähnlich ist die Wahrnehmung beim Medikamenteneinsatz:

  • Die Bürger fürchten – insbesondere bei Antibiotika – Rückstände in Fleisch oder Eiern und sehen einen prophylaktischen und leistungssteigernden Medikamenteneinsatz, auch von Hormonen.
  • Einschränkungen beim Medikamenteneinsatz lehnen Landwirte wiederum ab: Das gefährde die Tiergesundheit und sei mit Tierschutz und Tierwohl nicht zu vereinbaren.

Die Landwirte sehen ihre Nutztiere als Produktionsgrundlage und grenzen die Nutztierhaltung deutlich von der Heimtierhaltung ab. Bei den Bürgern kritisieren sie Vermenschlichungstendenzen gegenüber Tieren.
Ergebnisse einer weitere Arbeitsgruppe (Wildraut und Mergenthaler), zeigen unter anderem aber, dass insbesondere Verbraucher – aber in Grenzen auch Landwirte – bereit sind, ihre Einschätzungen zu ändern, wenn sie die Sichtweise der anderen Gruppe hören.

(Direktlink: Wahrnehmung der Nutztierhaltung durch unterschiedliche Gruppen)

Tierwohl mehr Wert als Umweltschutz?

Zielkonflikte sind für Branchenkenner dabei das zentrale Problem bei Anforderungen an die Nutztierhaltung. Sonntag et al. untersuchen, wie Bürger reagieren, wenn sie mit solchen Zielkonflikten zwischen verschiedenen Nachhaltigkeitszielen konfrontiert werden – etwa zwischen dem Tierwohl auf der einen und der Tiergesundheit oder dem Umweltschutz auf der anderen Seite.
In der Untersuchung dominiert aus Bürgersicht stets das Wohl der Tiere. Demnach sei ein hoher Tierwohlstatus von größerer Bedeutung als beispielsweise ein geringer Verbraucherpreis oder die Produktqualität. In gleichem Maße bewerten die Studienteilnehmer das Wohl der Tiere auch gegenüber anderen Nachhaltigkeitszielen, wie zum Beispiel dem Umweltschutz stets höher.
Gleichzeitig zeigt ein anderes Projekt, dass sich mit dem Zweinutzungshuhn befasst die Ambivalenz, je „näher“ der Zielkonflikt kommt: So wird das Kükentöten zwar abgelehnt. Die befragten Verbraucher aber waren nicht bereit, eigene Konsumgewohnheiten deutlich zu ändern.

(Direktlink: Bürgerreaktionen auf Zielkonflikte)

Der Projektbericht enthält auf 92 Seiten darüber hinaus noch die Ergebnisse einer Vielzahl weiterer Untersuchungen – etwa zu den Themen Verbraucherinformation, Kommunikationsmaßnahmen (Stichwort: Labeling) oder den Listungsentscheidungen des Handels sowie der staatlichen Regulierung bei der Durchsetzung und Integration höherer Tierschutzstandards.

Quelle:
Die ersten Ergebnisse aus dem Projekt „SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft“ sind im Juni im Journal of Consumer Protection and Food Safety frei zugänglich veröffentlicht – auch als  PDF-Download hier

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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