EU: Nur Großbritannien schreibt per Gesetz Videoüberwachung in Schlachthöfen vor

Europaweit haben Tierschützer mit Videoaufnahmen aus Schlachthöfen Druck aufgebaut. Großbritannien macht jetzt eine Videoüberwachung zur Pflicht. (screenshot Video belgischer Schlachthof: © Roderique Bouw/Animal Rights)

Seit Anfang Mai ist das Gesetz in Kraft. Bis spätestens November 2018 muss in Großbritannien jeder Schlachthof eine Videoüberwachung installiert haben. Amtstierärzte haben darauf dann uneingeschränkten Zugriff. Andere EU-Staaten haben – trotz anderslautender Ankündigungen – bisher aber noch nicht nachgezogen. Die Bundesregierung sagt: Eine solche Vorschrift könne nur EU erlassen.

von Jörg Held

Die staatlich vorgeschriebene Videoüberwachung in Schlachthöfen verbuchen der Britische Tierärzteverband (BVA) und der dortige Verband der Tierärzte im öffentlichen Gesundheitswesen (Veterinary Public Health Association /VPHA) als großen Gewinn für Tiergesundheit und Tierschutz (Link zum gemeinsamen Positionspapier/PDF). Seit Jahren hätten die Verbände für die Installation von sogenannten CCTV-Kameras (= closed circuit television) gekämpft. Die „offiziellen Tierärzte“, die für die Food Standards Agency arbeiten, haben nun für 90 Tage uneingeschränkten Zugriff auf das Videomaterial.
Die Britische Regierung wertet das Inkrafttreten der Gesetzesvorschrift als weiteren Schritt, um die Position des Vereinigten Königreiches als „weltweit führend bei Tierschutzstandards“ zu festigen.

Über den Gesetzgebungsprozess auf der Insel und die Ergebnisse einer landesweiten Umfrage hat wir-sind-tierarzt hier berichtet

Abwarten in anderen (EU)-Ländern

Innerhalb der EU gibt es dagegen arbeits- und datenschutzrechtliche Bedenken, die einem generellen Einsatz einer kontinuierlichen Kameraüberwachung in Schlachthöfen entgegen stünden. Darauf hat die Bundesregierung in mehreren Antworten auf Anfragen von Parlamentariern hingewiesen (April 2017 / März 2018 / April 2018). Sie plane keine solche Vorschrift, da Filmaufnahmen am Arbeitsplatz einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten darstellten. Eine solche Pflicht könne auch nur europarechtlich in die entsprechende abgeschlossene EU-Verordnung 1099/2009 aufgenommen werden.
Womöglich auch deshalb haben andere EU-Staaten trotz anderslautender Ankündigungen bisher eine Videoüberwachung nicht gesetzlich verankert. Das zeigt eine Übersicht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Rechtslage in ausgewählten Staaten von Ende März diesen Jahres. In Großbritannien werde dagegen der Brexit als Chance gesehen, mit der Videoüberwachung höhere Tierschutzstandards als in der Europäischen Union zu schaffen, heißt es darin.

Frankreich: Gesetzesvorhaben stockt

In Frankreich hat zwar die Nationalversammlung im 12. Januar 2017 für die Einführung einer verpflichtenden Videoüberwachung gestimmt. Bis 1. Januar 2018 sollten alle Schlachthöfe mit Kameras ausgestattet sein und zwar an allen Orten des Transports, der Unterbringung, Immobilisierung, Betäubung und Schlachtung von Tieren.
Aber das Gesetzesvorhaben stockt. Es hat weder den Senat passiert, noch ist es wieder auf die Tagesordnung der Nationalversammlung gesetzt worden. Nach Medienberichten soll die entsprechende Passage sogar inzwischen wieder gestrichen worden sein (eine deutschsprachige Quelle). Nach Kenntnis der Bundesregierung besteht deshalb in Frankreich weder eine Regelung zu verpflichtenden Videoaufzeichnungen an Schlachthöfen noch sei diese beabsichtigt, schreibt das Bundeslandwirtschaftsministerium.
In Erwartung der ursprünglich geplanten Gesetzesvorgabe sollen aber viele Schlachthöfe bereits freiwillig Videoüberwachungssysteme installiert haben.

Niederlande: Freiwillige Überwachung mit staatlichem Zugriff

In den Niederlanden wird die Videoüberwachung in Schlachthöfen ebenfalls intensiv diskutiert. Eine gesetzliche Vorgabe existiert jedoch bislang (noch) nicht. Die niederländische Schlachthofbetreiber haben sich aber mit der Regierung darauf verständigt, freiwillig Kameras zu installieren. Die Videoüberwachung soll sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen mit lebenden Tieren gearbeitet wird.
Allerdings gibt es keine permanente externe Kontrolle. Die Schlachthofbetreiber räumten der Lebensmittelsicherheitsbehörde NVWA aber das Recht ein, jederzeit auf die Aufnahmen zugreifen zu dürfen. Die Videos werden dazu für mindestens vier Wochen gespeichert.

Belgien: Pläne mit Umsetzungsproblemen

Nachdem Tierschützer skandalöse Aufnahmen aus Schlachthöfen veröffentlichten (siehe Video unten) sollte es auch in Flandern eine Videoüberwachung in allen Schlachthöfen geben. Dies hatte zumindest der flämische Tierschutzminister erklärt. Aber auch er sah praktische Probleme bei der Umsetzung. Geregelt werden soll dies deshalb nicht durch eine staatliche Vorgabe, sondern durch Vereinbarungen mit den Betreibern, also eine Art Selbstverpflichtung. Auch der wallonische Landesteil plant eine ähnliche Vorgehensweise.

Argentinien: Überwachung soll Steuerhinterziehung bekämpfen

Auch in Argentinien gibt es eine Pflicht zur Überwachung in Schlachthöfen – allerdings nicht um den Tierschutz voranzubringen, sondern zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung.
Eine neue Verordnung regelt seit März 2018, dass alle Betreiber oder Inhaber von Schlacht- oder Kühlhäusern (Rind/Schwein) Überwachungssysteme installieren müssen (CEF Controlador Electrónico de Faena). Diese müssen online Daten für die Rückverfolgung von den ins Schlachthaus gebrachten Tieren liefern.

In Belgien haben von Tierschützern veröffentlichte, skandalöse Aufnahmen aus Schlachthöfen (siehe Video) die Debatte um eine Videoüberwachung angestoßen.

Quellen:
im Artikel verlinkt

weiterführende Links:
Stand der Videoüberwachung in Schlachthöfen in ausgewählten Staaten – Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags (März 2018 / PDF-Download)
Antworten der Bundesregierung zum Thema Videoüberwachung  an Schlachthöfen aus April 2017 / März 2018 / April 2018 – PDF-Downloads)

Ergebnisse der britischen Regierungsumfrage zur Videoüberwachung in Schlachthäusern (PDF-Download)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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