Ferkelkastration: Das Ringen um die Lokalanästhesie durch den Landwirt

Ferkelkastration: Ein Beispiel für (unnötige?) Amputationen in der Nutztierhaltung. (Foto: © Initiative Massentierhaltung aufgedeckt)

Die Branche macht Druck bei der Ferkelkastration: Von Bauernverbänden über QS bis zum Schlachtkonzern Toennies fordern 19 Verbände von der Politik den „4. Weg“ zuzulassen – die Lokalanästhesie durch den Tierhalter bei der Ferkelkastration. Die Agrarministerkonferenz der Bundesländer aber hat das Thema von der Tagesordnung genommen: Politisch zu unsicher. Eine Übersicht zum Stand der Dinge – mit Kommentar.

von Jörg Held

Die Zeit läuft davon. Ab 1. Januar 2019 ist in Deutschland die Kastration von Eberferkeln ohne Schmerzausschaltung verboten. Doch aus Sicht der Landwirtschaft gibt es bisher keine praktikable Alternative. Deshalb fordern 19 Verbände, vom Bauernverband bis zu den Schlachtkonzernen, den „4. Weg“: die Ferkelkastration unter Lokalanästhesie durch den Landwirt – oder alternativ zumindest eine noch mal verlängerte Übergangsfrist für die Kastration ohne Betäubung. An der chirurgischen Kastration selbst will die Branche aber festhalten – Ebermast oder auch die Eberimpfung (Immunokastration) lehnt sie vehement ab (siehe auch Kommentar unten).

Diese Verbände fordern den 4. Weg, die Ferkelkastration unter Lokalanästhesie durch den Landwirt. (Ausschnitt aus dem Positionspapier der Verbände)

Agrarministerkonferenz verschiebt die Debatte

Auf der aktuellen Frühjahrskonferenz der Agrarminister der Bundesländer wurde das Thema offiziell nicht behandelt. NRW hat seinen geplanten Antrag von der Tagesordnung zurückgezogen. Dafür haben die Minister im „Kamingespräch“ über die „Wege“ der Ferkelkastration und die damit verbundenen politischen Probleme diskutiert.

  • Das Gesetz fordert eine „Schmerzausschaltung“. Dem „4. Weg“ wird aber bei den aktuellen Wirkstoffen/Applikationen für die Ferkelkastration nur eine „Schmerzlinderung“ zugetraut.
  • Soll der Weg dennoch greifen, müsste man wohl auch den im §21 des Tierschutzgesetzes verankerten Stichtag 1.1.2019 für das Ende der Ferkelkastration verschieben, bis Medikamente zugelassen sind.

Das Problem: Für beides müsste das Tierschutzgesetz selbst geöffnet werden. Das aber zählt – weil in der Gesellschaft hochemotional besetzt – zu den politisch „sensibelsten“ Gesetzen. Die Länderagrarminister haben erhebliche Zweifel, ob für eine Änderung die politischen Mehrheiten vorhanden sind. Unklar ist auch, welchen „politischen Preis“ für eine Einigung man dann womöglich an anderer Stelle in Form von Zugeständnissen „zahlen“ müsste.

Die „Tiermedizin“ fordert keinen „4.Weg“

Missverständliche Formulierung – Bundestierärztekammer und Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz haben sich klar gegen die Lokalanästhesie positioniert. (Foto: screenshot dpa-Meldung shz / wortgleich so in vielen Medien erschienen)

Ein Satz im Positionspapier der Branche – „Vertreter der tierärztlichen Standesvertretung und Verbände sehen die Möglichkeit, diese Maßnahme (gemeint ist: Indikationserweiterung für Procain / Anm.d.Red.) zukünftig mitzutragen“ – führte zu einer irreführenden dpa-Meldung: Die „Tiermedizin fordert die Anerkennung der Lokalanästhesie bei der Ferkelkastration“.
Eher das Gegenteil ist der Fall:

  • Die Bundestierärztekammer (BTK) hat sich klar dagegen positioniert, sowohl gegen die Anwendung der Lokalanästhesie durch Tierhalter als auch gegen das Verfahren selbst: Je nach Applikationsart werde der Schmerz nur teilweise ausgeschaltet (nachzulesen hier).
  • Ebenso lehnt die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) die Lokalanästhesie eindeutig ab (Pressemeldung hier / Positionspapier hier – PDF-Downloads). Sie fordert die Immunokastration, weil die Schweine dabei unversehrt bleiben.
  • Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) plädiert für eine Übergangsfrist, um nach Abschluss der noch laufenden wissenschaftlichen Studien die bestmögliche Methode wählen zu können, die sowohl den Tierschutz als auch die Umsetzungsmöglichkeiten in den Betrieben berücksichtigt.
  • Für den „4. Weg“ der Lokalanästhesie haben sich der Bayerische Tiergesundheitsdienst (TGD) und der Dekan der Tiermedizinischen Fakultät der LMU-München, Prof. Reinhard Straubinger, ausgesprochen. Sie haben als einzige Tierarztvertreter das Branchenpapier unterzeichnet.

Lokalanästhesie ist nicht rechtskonform

Den Stand der Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration erläuterte Dr. Katharina Kluge, Referatsleiterin Tierschutz im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), aktuell auf dem Kongress des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte (BbT) in Bad Staffelstein. Für das BMEL gelte weiter der Tenor des 2016 erstellten Berichtes an den Bundestag über den „Stand der Entwicklung alternativer Verfahren und Methoden zur betäubungslosen Ferkelkastration“ (PDF-Download).

Die Ferkelkastration unter Lokalanästhesie ist aktuell nicht rechtskonform. Es fehlen einige wichtige Voraussetzungen: 

  • Das Tierschutzgesetz verlangt, dass die eingesetzten Medikamente (aktuell im Gespräch: Procain und Lidocain) eine „wirksame Schmerzausschaltung“ erreichen müssen. Das tun sie nach den derzeit vorliegenden Untersuchungen nicht, sagte Kluge. Auch sei keines für bisher die Indikation „Ferkelkastration“ zugelassen.
  • Das BMEL habe noch eine große Studie zur Lokalanästhesie bei der Ferkelkastration beauftragt. Sie ist angelegt auf 2 bis 2 ½ Jahre und soll in Labor- und Felduntersuchungen ermitteln, welcher Wirkstoff in welcher Konzentration an welcher Stelle eine wirksame Schmerzausschaltung – nicht Linderung(!) – erreicht. Ergebnisse werden nicht vor 2021 erwartet, da die Studie so angelegt ist, dass auf Basis der Ergebnisse zugleich die Zulassung eines Medikamentes beantragt werden könnte.
    Bis zum Stichtag 1.1.2019 wird es hier aber keine neuen Erkenntnisse geben.

2019 ist die betäubungslose Ferkelkastration verboten. Der Gesetzgeber erwägt die Isofluran-Narkose nach Schweizer Vorbild für den Einsatz durch den geschulten Landwirt freizugeben. (Foto: Kastration unter Isofluran-Narkose / © WiSiTiA/jh)

Narkoseeinsatz durch den Landwirt möglich, wenn …

… der Gesetzgeber es erlaubt. Aktuell darf in der Ferkelkastration kein Anästhetikum durch den Landwirt eingesetzt werden, da es keine zugelassenen Medikamente gibt.
Die Bundesregierung ist im Tierschutzgesetz (§ 6.6) aber ermächtigt, entsprechende Verordnungen zu erlassen. Katharina Kluge deutete auf dem BbT-Kongress an, dass dies auch für die Isoflurannarkose denkbar wäre.
Die Zulassung von Isofluran als Narkosemittel für die Ferkelkastration sei beantragt und noch in diesem Jahr zu erwarten. Der Gesetzgeber könne dann die Anwendung durch den Landwirt – nach Schweizer Vorbild – per Verordnung erlauben und eventuell auch die Anschaffung der Narkosegeräte fördern.

Widerstand gegen Immunokastration

Kluge konstatierte in Staffelstein generell ein „spürbares Bedürfnis der Branche, die chirurgische Kastration zu erhalten.“ Es gebe Widerstand gegen alle Verfahren, die den „Aufwand“ vom Ferkelerzeuger (Kastration) in andere Teile der Produktionskette verlagern – insbesondere wenn die Schlachtbetriebe betroffen sind (Ebermast/Immunokastration).

Umstellung der Produktionskette: Die Vor- und Nachteile der Immunokastration aus Sicht des BMEL. (Folie: Vortrag Kluge / BbT-Kongress Bad-Staffelstein)

Kluges Fazit: Es gelte für das Ende der betäubungslosen Ferkelkastration einen „guten Mix der Wege zu finden – einschließlich der Immunkastration“.

Alle Berichte zum Thema „Ferkelkastration“ auf wir-sind-tierarzt.de finden Sie hier

Quellen:
im Artikel direkt verlinkt

wir-sind-tierarzt kommentiert:
Offenen Auges ins Unglück

(jh) – Die Branche fordert vehement einen „4. Weg“. Doch der führt geradewegs in die Sackgasse. Ökonomisch, arbeitstechnisch und für den Erhalt „bewährter“ Arbeitsteilung in der Produktionskette, mag er sinnvoll sein. Doch wer Tierschützer kennt, kann sich die mediale Aufregung mit passenden Bildern aus dem Stall vorstellen:
Eine Betäubungsspritze in die Hoden (sic!) – der sogenannte „schwedische Weg“ – ist gesellschaftlich schlicht niemandem zu vermitteln. Auch vier Spritzen rund um den Samenstrang mag sich kein Verbraucher vorstellen – zumal sie den Schmerz aktuell nicht ausreichend ausschalten.

Tierärzte müssen sich deutlicher positionieren

Der „Weg“ zu einer in Deutschland gesellschaftlich akzeptierten Schweinehaltung wird anders aussehen müssen. Alles andere führt aus meiner Sicht sehenden Auges ins (mediale) Unglück.
Auch die Tierärzteschaft muss Position beziehen. Der tiermedizinisch beste Weg ist nun mal der, bei dem das Ferkel unversehrt bleibt. Alles andere kann auch auf den Berufsstand  negativ abfärben – zumal, wenn es wissenschaftlich umstritten ist.

Was spricht eigentlich gegen die Eberimpfung?

Für mich ist völlig unverständlich, warum die Branche sich so vehement gegen die Eberimpfung positioniert. Was ist dran an dem Argument, der Verbraucher will das nicht? Weiß er überhaupt, worum es geht?
Weltweit sind immunokastrierte Tiere seit Jahren im Handel. Brasilien und Australien exportieren sie erfolgreich und problemlos – auch nach China.
Auch in Deutschland liegt „geimpftes“ Fleisch schon länger in der Kühltheke – ganz ohne Diskussionen. Die Tierwohl-Einkaufspolitik von Aldi-Nord und -Süd fordert seit 2017 von ihren Lieferanten, „kein Schweinefleisch von kastrierten Tieren (ausgenommen Bio-Ware) zu liefern“. Die Konzerne schreiben darin außerdem:  „…die Impfung zur vorübergehenden Unterdrückung des Ebergeruchs,  wird akzeptiert.“ Auch das Edeka-Gutfleischprogramm lässt die Immunokastration zu, Neuland sowieso.
Der entscheidende Vorteil dieses Verfahrens: Tierschützer und NGO’s sehen es als den Königsweg (neben der Ebermast). Hier gibt es Unterstützung für die Schweinehalter statt Widerstand. Das kann man nutzen.

Ich fürchte, einige Wirtschaftsbeteiligte wollen unbedingt auf dem einfachen Weg beharren: Der Ferkelerzeuger soll weiter (mit Betäubung durch den Halter) kastrieren – und gegebenenfalls der Buhmann sein. Beim Verzicht auf die Kastration (Ebermast / Immunokastration) wären Veränderungen an anderer Stelle der Wertschöpfungskette nötig – auch ein Umdenken der Schlachtbetriebe.

Meine Prognose: Die Branche führt eine unnötige Abwehrschlacht in einem verlorenen Krieg gegen die Meinung der Gesellschaft. Sie setzt auf Verzögerungseffekte. Nötig wäre aber ein progressiver Befreiungsschlag – unter dem Schutz der Politik: Fleisch und Ferkel, die nicht unter den jetzt geltenden Vorgaben des deutschen Tierschutzgesetzes produziert werden, dürfen nicht importiert werden. Dann wäre ein „4. Weg“ unnötig.

P.S.: Auch das Argument, nur ein Pharmakonzern würde von der Immunokastration profitieren zieht nicht. Das Patent auf den Wirkstoff läuft aus. Jeder andere Hersteller kann einsteigen.

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)