Antibiotikaverordnung: Geben Tierärzte zu oft „Kundenwünschen“ nach?

Ein Grund für Resistenzen? Patienten verlangen zu oft nach einem Antibiotikum – Ärzte geben zu schnell nach. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Machen Tierhalter und Patienten Druck auf (Tier)Ärzte, damit diese ihnen Antibiotika verschreiben? Ein australische Untersuchung sagt ja – und Tierärzte gäben dem zu oft nach. Auch in der Humanmedizin gilt die Patientennachfrage und das Sicherheitsbedürfnis der Ärzte immer noch als ein Hauptgrund für unnötige Antibiotikaverordnungen, etwa bei Erkältungen.

(aw/jh) – Viele Tierärzte aus den Bereichen Rind und Pferd sehen sich genötigt, Antibiotika an ihre Klienten abzugeben, ohne die zu behandelnden Tiere vorher gesehen zu haben. Im Kleintierbereich gebe es solche Forderungen an die Praktiker so gut wie nie. Das ist ein Ergebnis einer aktuellen Untersuchung  aus Australien. Laura Hardefeldt und Kollegen haben rund 170 Tierärzte zu ihrem Verordnungsverhalten und den Einflüssen darauf befragt. Dabei haben sie drei wesentliche Gründe identifiziert, die Tierärzte dazu bewegen, auf Wunsch Antibiotika abzugeben – auch ohne die dazugehörigen Tiere formal untersucht zu haben:

Nutztierhalter machen Druck

  1. Tierärzte fühlen sich unter Druck gesetzt, Medikamente abzugeben um den Wünschen ihrer Klienten gerecht zu werden. Aufgrund der Konkurrenzsituation in der Großtierpraxis haben sie Angst, Kunden zu verlieren, wenn diese mit dem Service nicht zufrieden sind. Da Pferde und insbesondere Nutztierhalter in der Regel mehr als nur ein Tier besitzen, spielen sie als Kunden für einen Tierarzt und die Existenz der Praxis eine größere Rolle, als Besitzer einzelner Kleintiere.
  2. Dieser Druck, den Tierbesitzer auf Tierärzte ausüben, um Medikamente ohne vorherige Untersuchung zu erhalten, resultiert auch daraus, dass Nutztierhalter aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung meinen, übliche Erkrankungen selbst sicher diagnostizieren zu können. Daher halten sie öfter eine Einbeziehung des Tierarztes für überflüssig und zu teuer.
    Umgekehrt sehen sich Tierärzte in größeren Beständen gar nicht in der Lage, alle Tiere genau zu untersuchen, die eine antibiotische Behandlung benötigen.
  3. Großtierärzte geben auch deswegen Medikamente ab, weil sie häufig keine Zeit haben die Tierbesitzer davon zu überzeugen, dass die entsprechenden Tiere gar keine Antibiotika benötigen oder zuerst eine Untersuchung durch den Tierarzt erfolgen sollte. Die „widerstandslose Abgabe“ von Antibiotika spart Zeit.

„RESIST“ – Patientendruck auch in der Humanmedizin

Auch in der Humanmedizin spielt der „Nachfragedruck“ der Patienten eine Rolle. Bei Erkältungen etwa bestehen sie oft auf Antibiotika, um schneller wieder fit zu werden. Atemwegsinfektionen werden aber zu 90 Prozent durch Viren ausgelöst, gegenüber denen Antibiotika wirkungslos sind. Trotzdem erhielten 2014 noch rund 31 Prozent der Beschäftigten, die erkältungsbedingt krankgeschrieben waren, ein Antibiotikum. Inzwischen gehen die Zahlen etwas zurück: 2016 haben noch knapp 24 Prozent ein Antibiotika verschrieben bekommen (Daten: Techniker Krankenkasse).
Aufklärungsprogramme für Ärzte und Patienten sollen beide Gruppen weiter dafür sensibilisieren, Antibiotika nur „adäquat“ einzusetzen und einzufordern. Dazu gehört etwa das „RESIST“-Projekt des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Ärzte sehen sich demnach einer empfundenen Erwartungshaltung der Patienten gegenüber, Antibiotika zu verordnen. Die wird nach Ansicht von Prof. Attila Altiner, Direktor der Universitätsmedizin Rostock, aber häufig überschätzt. Auch würden aus der falschen Annahme heraus damit auf der „sicheren Seite“ zu stehen, in der Humanmedizin noch zu oft Breitspektrum-Antibiotika verordnet.

Antibiotic Stewardship Programme für Tierärzte

Auf den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika durch die Tierärzte im Rahmen von „Antibiotic Stewardship Programmen“ setzt man auch in Australien. Unter anderem anhand der Ergebnisse der Befragung will das National Center for Antimicrobial Stewardship entsprechende Konzepte entwickeln und Probleme definieren, die das Verschreibungsverhalten der Tierärzte beeinflussen.
In Australien gibt es keine staatliche Antibiotikaregulierung, die etwa mit dem deutschen Antibiotikaminimierungskonzept und den neuen Verordnungsvorgaben für Tierärztliche Hausapotheken vergleichbar wäre.

Deutschland: Staatliche Antibiotikaminimierung stärkt Tierarztposition

In Deutschland wurde der Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin in fünf Jahren um über 56 Prozent reduziert: von 1.706 Tonnen im Jahr 2011 auf 742 Tonnen im Jahr 2016 (mehr dazu hier). Dabei nimmt seit 2014 auch das staatliche Antibiotikaminimierungskonzept (Details hier) die Nutztierhalter in die Pflicht. Betriebe, die über einer Therapiehäufigkeitskennzahl liegen, müssen mit ihrem Tierarzt Maßnahmenpläne zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes erarbeiten. Das stärkt auch die Position der Tierärzte in den Nutztierhaltungen.

Die Australier verweisen in den Quellen zu ihrer Umfrage auch auf eine vergleichbare Untersuchung in Europa aus dem Jahr 2013. Die habe gezeigt, dass für die europäischen Tierärzte die Kundenwünsche bei der Abgabe von Antibiotika eine untergeordnete Rolle spielen und damit ihr Verschreibungsverhalten kaum beeinflussen.

Quellen:
„Barriers to and enablers of implementing antimicrobial stewardship programs in veterinary practices“ – Journal of Veterinary Internal Medicin 2018 – Webseite oder PDF-Download
„Factors influencing antibiotic prescribing habits and use of sensitivity testing amongst veterinarians in Europe“ – Veterinary Record 2o13
weitere Quellen direkt im Text verlinkt

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