Ferkelkastration, Ebermast und die Stinker in der Pfanne

Skepsis gegenüber Ebermast: Vor "Stinkern" in der Bratpfanne (hier Hamburger Patties) hat die Fleischbranche eine Heidenangst. Verbraucher sind in der Tat sehr geschmackssensibel. (Foto: © FlickR)

Ab Ende das Jahres ist die betäubungslose Ferkelkastration verboten. Als eine Alternative gilt die Ebermast. Doch die Fleischbranche fürchtet mögliche „Stinker“. Eine Studie aus Belgien gibt ihr teilweise recht: Fast 500 Tester aus vier Ländern, konnten in Hamburgerfleisch Unterschiede schmecken – und bewerteten das Fleisch kastrierter Schweine immer als „besser schmeckend“.

(aw/jh) – Aktuell vergeht kaum eine Woche, in der Verbände nicht eine Forderung zum Thema Kastration von Ferkeln veröffentlichen. Bis zum Jahresende müssen Alternativen zur bisher üblichen betäubungslosen Kastration männlicher Ferkel gefunden sein, denn die ist dann gesetzlich verboten.

Strukturwandel ja oder nein?

So warnt die Interessengemeinschaft der Deutschen Schweinehalter (ISN) vor einem radikalen Strukturbruch in der deutschen Ferkelerzeugung. Während in Deutschland in den letzten fünf Jahren fast 190.000 Sauen „abgestockt“ worden seinen, habe allein Spanien seinen Bestand um über 270.000 Sauen erhöht: „Hinter der nüchternen Abstockung stehen gut 4.000 Betriebsaufgaben.“ Mit der Kastrationsgesetzgebung würden weitere Betriebe aufgeben.
Die Tierschützer von ProVieh wiederum fordern in einem offen Brief vom Lebensmitteleinzelhandel und den Schachthofbetreibern „ein öffentliches Bekenntnis für konsequenten Tierschutz und ein Ende der Verstümmelung von männlichen Ferkel.“ Der Ebermast mit und ohne Immunokastration stünde eigentlich nichts mehr im Wege. Was fehle sei die Akzeptanz der Lebensmitteleinzelhandelsketten.

Ferkelkastration: Was wollen die Tierärzte?

Ebermast: Zu viele Stinker in der Pfanne?

Doch ungeachtet allen politischen Streits geht es beim Essen letztlich vor allem um Geschmack. Und hier wird es schwierig. Der „Stinker“ in der Pfanne ist für die Fleischbranche der Super-GAU: Konsumenten, die einmal die Erfahrung machen, dass ihr Schnitzel in der Pfanne nach Fäkalien stinkt oder das Fleisch sonst wie „belastet“ schmeckt, könnten langfristig auf Schweinefleisch verzichten.
Für diesen „Stinker-Effekt“ sind beim Fleisch einiger unkastrierter Eber das Pheromon Androstenon und Skatol, ein Abbauprodukt einer Aminosäure, verantwortlich. Beides lagern geschlechtsreife Eber im Fettgewebe ein – in unterschiedliche hoher Konzentration, die außerdem auch abhängig ist von der Schweinerasse, der Fütterung sowie vom Alter der Tiere.

Geschmackstest: Frauen erkennen Eberfleisch

Fleisch aus Ebermast wird deshalb vorwiegend verarbeitet (etwa zu gewürzter Wurst). Die  Branchenorganisation QS schätzt, dass der Markt dafür 30 Prozent der Jungeber aufnehmen kann. Ob Verbraucher Eberfleisch als Fleischeinlage im Hamburgern oder als Frikadelle herausschmecken können, hat eine Forschergruppe aus Belgien untersucht:

Sie baten 476 Frauen aus Dänemark, Frankreich, Italien und Polen zum Geschmackstest. Die Probandinnen verkosteten im Blindtest je acht Frikadellen mit wechselnden Konzentrationen an Skatol und Androstenon und parallel immer eine Frikadelle aus Fleisch von kastrierten Ebern. Dann mussten sie den Geschmack beurteilen. Ergebnis:

  • In jedem Fall empfanden die Frauen das Hackfleisch der Kastraten als schmackhafter als das der Eber – unabhängig von dessen Skatol/Androstenongehalt.
  • Je höher der Anteil von Skatol im Eberfleisch war, desto schlechter bewerteten die Testerinnen den Geschmack. Allerdings war es nicht möglich, eine Skatolkonzentration zu bestimmen, ab welcher das Eberfleisch von den Teilnehmerinnen nicht mehr akzeptiert wurde.
  • Beim Androstenon hingegen war der Zusammenhang zwischen Konzentration und schlechtem Geschmack nicht so eindeutig. Die Frauen erwiesen sich als unterschiedlich sensibel bei der Androstenon-Wahrnehmung. Deshalb konnten Wissenschaftler auch hier keine Schwellenwerte definieren.

Es gibt keine Geschmacksgrenzwerte

Als Testpersonen hat man Frauen ausgewählt, weil sie im Bezug auf Eberfleisch als geschmacksempfindlicher gelten als Männer. Etwa 30 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer reagieren sensibel auf die Stoffe.
In dem Test konnten die Wissenschaftler außerdem noch einmal zeigen, dass die Geschmackswahrnehmung von Skatol abhängig ist von Androstenongehalten (und umgekehrt). Wieviel von welchem der Stoffe im Fettgewebe eingelagert wird, hängt jeweils von der Konzentration des anderen ab.

  • Bei niedrigen Skatolwerten nimmt die Akzeptanz von Frikadellen aus Eberfleisch mit dem Ansteigen der Androstenonkonzentrationen ab
  • Dieser Effekt von Androstenon ist aber nur bei Androstenon-empfindlichen Konsumenten erkennbar
  • Die Wissenschaftler entwickelten aufgrund der Ergebnisse eine Karte, auf der die abnehmende Akzeptanz von Eberfleisch-Frikadellen in Burgern in Abhängigkeit von Androstenon und Skatol aufgetragen wurde.

Wichtigstes Ergebnis: Es gibt keine klaren Grenzen, ab welchen Konzentrationen von Skatol oder Androstenon Eberfleisch von den Konsumenten nicht mehr akzeptiert wird. Damit zeigt  die Untersuchung einmal mehr, dass es für die Schlachthöfe weiter schwierig bleibt, standardisierte Verfahren zur Erkennung einer möglichen Geruchs/Geschmacksbelastung beim Eberfleisch einzuführen – egal ob automatisiert oder durch Testpersonen.

Die Autoren empfehlen weitere Studien, um die ganze Bandbreite natürlich auftretender Androstenon- und Skatolkonzentrationen intakter Eber abzudecken, sowie Versuche mit anderen Fleischstücken durchzuführen.

Schweinehalter wollen unter Lokalanästhesie weiter kastrieren

Reine Ebermast und auch die Impfung gegen Ebergeruch ist für die Schweinehalter auch deshalb keine Lösung. Das Fleisch sei nicht oder nur schwer vermarktbar. Alle bekannten Alternativen zur Kastration seien mit teilweise erheblichen Nachteilen behaftet. Für die ISN ist die Konsequenz: Wenn nicht endlich bei der Ferkelkastration der Weg für die Lokalanästhesie durch den Landwirt freigemacht werde, drohe ein radikaler Strukturbruch in der deutschen Ferkelerzeugung,  Es ist für mich unbegreiflich, dass in einem gemeinsamen Europa Ferkelerzeuger in Schweden und demnächst auch in Dänemark die Lokalanästhesie selbst durchführen dürfen, in Deutschland dieser Weg aber zerredet wird, beklagte ISN-Chef Heinrich Dierkes. Das zielt auch auf die Tierärzte.
Die Tierarztverbände lehnen diesen „4. Weg“ mehrheitlich ab. Das Verfahren bringe nach bisheriger Studienlage für die Ferkel keine Verbesserung. Die (mehrfache) Injektion von Lokalanästhetika im sensiblen Bereich um Hoden und Samenstränge sei für die Tiere hochgradig schmerzhaft. Solange nicht nachgewiesen werde, dass die Ferkel bei einer Lokalanästhesie wirklich spürbar weniger Schmerzen und Stress haben, sei der „4 .Weg“ kein Weg, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.

Eine Übersicht aller Artikel auf wir-sind tierarzt.de zum Thema „Ferkelkastration“ finden Sie hier

Quelle der Geschmacksstudie:
„Consumer acceptance of minced meat patties from boars in four European countries“ (Meat Science März 2018)

Weiterführende Quellen zur wirtschaftliche/medizinischen Einordnung der Kastrationsverfahren und ihrer Alternativen

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