BTK: Haltungsbedingte Amputationen untersagen

Ferkelkastration: Ein Beispiel für (unnötige?) Amputationen in der Nutztierhaltung. (Foto: © Initiative Massentierhaltung aufgedeckt)

Schwänze oder Schnäbel kürzen, Ferkel kastrieren, Rinder enthornen – diese Amputationen bei Nutztieren werden in der Gesellschaft und auch unter Tierärzten hitzig diskutiert: Sind sie noch notwendig oder gibt es praktikable Alternativen? Ein Positionspapier der Bundestierärztekammer nimmt dazu Stellung.

Teil 2 der Berichterstattung über das BTK-Positionspapier zur „Verbesserung des Tierschutzes in der Nutztierhaltung“ – Teil 1 lesen Sie hier

von Jörg Held

Aus Sicht der Bundestierärztekammer gibt es eine ganze Reihe von Tierschutzfragen, bei denen der Gesetzgeber handeln muss – und für die freiwillige Branchenvereinbarungen allein nicht ausreichen. Welche das sind, beschreibt die BTK in einem Positionspapier zur Nutztierhaltung (ausführlicher Bericht hier).
Ein zentraler Punkt in diesem Papier (PDF-Download hier), der auch ganz entscheidend die gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Nutztierhaltung bestimmt, sind die sogenannten „zootechnische Eingriffe“ oder nichtkurativen Amputationen. Auch unter Tierärzten sind sie strittig.

BTK: Amputationen zur Anpassung an Haltungsbedingungen unzulässig

Jede Amputation ist schmerzhaft und schränkt die Möglichkeit zum Ausüben arteigener Verhaltensweisen zumindest ein, sagt das Positionspapier der BTK. Es hält diese Amputationen für eine oft unzulässige Anpassung der Tiere an defizitäre Haltungs- und Managementbedingungen. Die einzelnen Eingriffe seien längst nicht immer zwingend notwendig, beziehungsweise gebe es mittlerweile praktikable Alternativen.

Tierschutzgesetz überarbeiten

Die Bundestierärztekammer fordert den Gesetzgeber deshalb auf,

  • die entsprechenden Paragraphen im Tierschutzgesetz zu überarbeiten und zu überprüfen, ob die dort aufgelisteten Eingriffe wirklich noch unerlässlich sind. Dabei müssten neue Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Praxiserfahrungen einbezogen werden. 
  • auch die Ausnahmen von der Betäubungspflicht bei zootechnischen Eingriffen seien zu überprüfen.

Die BTK lehnt diese Eingriffe an Tieren – insbesondere durch Nichttierärzte – und die Ausnahmen von der Betäubungspflicht grundsätzlich ab und fordert den Gesetzgeber auf, sie zu untersagen.
Die Formulierung „grundsätzlich“ bedeutet, dass sie aber auch begründete Ausnahmen und Übergangsregeln anerkennt. Die BTK-Argumentation für einzelnen Eingriffe und Tierarten ist im folgenden kurz zusammengefasst  – die ausführlichen Positionen sind nachzulesen im BTK-Positionspapier (Punkt 5)

Streitthema 1: (Ferkel)Kastrationen

Trotz ab 2019 vorgeschriebener Betäubung (hier Isoflurannarkose): Die Ferkelkastration bleibt umstritten. (Foto: © WiSiTiA/jh)

Die Bundestierärztekammer sieht Kastrationen von Nutztieren sehr kritisch. Es sei in jedem Fall abzuwägen, ob der am Tier entstandene Schaden gegenüber dem erwarteten Nutzen verhältnismäßig ist. Bei Ferkeln plane auch die EU, nach dem Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration langfristig in einem weiteren Schritt auf die chirurgische Kastration ganz zu verzichten.
Die BTK fordert deshalb,

  • Kastrationen nur zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder – soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen – zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres zu erlauben.
  • In jedem Fall ist der Eingriff mit Betäubung und Schmerzbehandlung durch einen Tierarzt durchzuführen.

Wichtigstes Konfliktfeld ist die Kastration von unter acht Tage alten männlichen Schweinen, um Ebergeruch im Fleisch zu verhindern.
Durch die sogenannte Immunokastration steht nach Auffassung der BTK eine weniger belastende Alternative zur Verfügung. Deshalb solle der Gesetzgeber auch hier die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen – und zwar unabhängig vom Verbot der betäubungslosen Kastration, das ab 2019 gilt.
Auf dem NRW-Tierärztetag warnte BTK-Präsident Dr. Uwe Tiedemann ausdrücklich davor, in diesem Zusammenhang die Lokalanästhesie zu bagatellisieren: „Ein Tierarzt ist bei der Durchführung jeder Narkose unverzichtbar. Hier ist die BTK nicht zu Kompromissen bereit.“

Enthornung von Rindern

Enthornen von Kälbern – zum Schutz von Mensch und Tier teilweise noch nötig. (Foto: Kalb frisch enthornt / © WiSiTiA/aw)

Rinder werden enthornt, um die von den Hörnern ausgehende Verletzungsgefahr bei Tier und Mensch zu vermindern. Untersuchungen zeigen, dass die Haltung horntragender Rinder möglich ist. Doch die nötigen Voraussetzungen in der Haltungsumwelt und im Management sieht die BTK zurzeit nicht durchgehend gegeben, wodurch Mensch und Tier einer Gefahr ausgesetzt sind. Deshalb fordert sie:

  • Als mittelfristiges Ziel muss sowohl die Haltung behornter Rinder mit entsprechendem Platzangebot und angepasstem Management, als auch der Einsatz genetisch hornloser Vatertiere angestrebt werden.
  • Für eine Übergangszeit sollte die prophylaktische Enthornung noch möglich sein.
  • Bei der Enthornung ist die vorgeschriebene Verabreichung eines Sedativums und eines Analgetikums zur Schmerzausschaltung allerdings nicht ausreichend. Vielmehr muss aus Tierschutzgründen auch eine Lokalanästhesie durchgeführt werden.

Streithema 2: Schwanzkupieren

Grundsätzlich fordert die Bundestierärztekammer Eingriffe wie das Kürzen des Schwanzes bei Ferkeln, Lämmern und männlichen Kälbern unter Berücksichtigung wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse zu untersagen.

Schwanzkupieren beim Ferkel

Das Kürzen des Schwanzes bei Ferkeln erfolgt, um die Tiere später vor Verletzungen durch gegenseitiges Schwanzbeißen zu schützen. Auslöser dafür seien oft unzureichende Fütterungs- und Haltungsbedingungen. Das Thema gilt als sehr komplex. Vorschläge und Hilfestellungen zum Verzicht auf die Amputation befänden sich bereits in der praktischen Umsetzung.
Die BTK erkennt diese Anstrengungen an und stellt aktuell hier keine weitergehenden Forderungen. Das Ziel bleibt der Ausstieg aus dieser Praxis.

Video (1.30 min): Die Tierärztin Nadine Henke zeigt erklärt, wie auf ihrem Betrieb das Schanzkupieren erfolgt. 

Schwanzkürzen bei Lämmern

Bei Lämmern werden die  Schwänze gekürzt, um eine Verschmutzung der Schwanzwolle durch Kot, Lochialflüssigkeit und Nachgeburtsteile zu minimieren. Diese Verschmutzung birgt das Risiko von Infektion der Böcke und Gebärmutterinfektion bei den weiblichen Tieren sowie eines Fliegenmadenbefalls.

  • Hier fordert die BTK verstärkte Anstrengungen in der Zucht auf kürzere und/oder unbewollte Schwänze. So können bei langschwänzigen Rassen diese Risiken entscheidend reduziert werden.
  • In der Übergangsphase und bei seltenen Rassen könne man durch die regelmäßige Schwanzschur das Risiko minimieren.

Schwanzkürzen bei Bullenkälbern

Das Kürzen der Schwanzspitze bei männlichen Rindern wird vorgenommen, um Verletzungen, insbesondere Trittverletzungen, bei oft unzureichenden Haltungsbedingungen in der Mast vorzubeugen.

  • Da bereits bei einem Großteil der männlichen Rinder auf diesen Eingriff verzichtet wird, ist die nachzuweisende Unerlässlichkeit des Eingriffs nicht zu erkennen und der Eingriff verzichtbar.

Abschleifen der Eckzähne bei Ferkeln

Das Abschleifen der Eckzähne der Ferkel erfolgt, um Verletzungen der Wurfgeschwister beziehungsweise der Sau vorzubeugen. Diese Verletzungen treten insbesondere auf, wenn die Milchleistung der Sau dem Bedarf des Wurfes nicht entspricht. Die BTK hält fest:

  • Durch Zucht auf ein ausgeglichenes Verhältnis von Ferkelzahl zur Anzahl und Leistungsfähigkeit der Zitzen der Sau und ein gutes Gesundheitsmanagement zur Vorbeugung von Milchmangel kann dem entgegengewirkt werden.
  • In trotzdem noch auftretenden Einzelfällen kann durch Zufütterung der Ferkel ebenfalls Abhilfe geschaffen werden.

Amputation der Schnabelspitze bei Geflügel

Auf die Amputation der Schnabelspitze bei Legehennen wird bereits seit August 2016 verzichtet. ebenso erteilen die Behörden für das Kürzen der Schnabelspitze bei Moschusenten keine Ausnahmegenehmigung mehr. Deshalb kann der entsprechende Paragraph im Tierschutzgesetz nach BTK-Auffasung so gefasst werden, dass die Erlaubnis

  • bei Legehennen auf Einzelbestände begrenzt wird, bei denen trotz umfassender Gegenmaßnahmen wiederholt Federpicken und Kannibalismus aufgetreten ist
  • und bei Puten, solange es nach tiermedizinischem Wissenstand zum Schutz der Tiere unabdingbar ist, zeitlich befristet erteilt werden kann.

Dies scheint für eine Übergangsfrist nötig, weil noch nicht sicher ist, ob die Abstellung der bekannten Ursachen – insbesondere durch Verbesserung des Managements und der Haltungsbedingungen – ausreichen, um das Auftreten von Federpicken und/oder Kannibalismus in jedem Einzelfall nachhaltig zu verhindern.
Bei Puten ist es nach BTK-Auffassung momentan aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht möglich, auf den Eingriff zu verzichten. Die BTK unterstützt alle Maßnahmen, die diesen Eingriff verzichtbar machen.

Haltung amputierter Tiere regeln

Damit Tierhalter die Tierschutzbestrebungen nicht unterlaufen und Tiere mit gekürzten Schwänzen, Schnäbeln oder anderen Amputationen nicht aus anderen EU-Ländern beziehen, fordert die BTK,  die Haltung von Tieren, an denen Amputationen vorgenommen wurden, ebenfalls gesetzlich zu regeln. 

Quellen:
BTK-Pressemeldung zum Positionspapier (19.9.2017)
BTK-Positionspapier Nutztierhaltung (PDF-Download)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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