Bergwandern mit Hund: Risikofaktor Mutterkühe und Herdenschutzhunde

Mit Hunden auf Wanderungen keine Weide queren – besonders wenn Herdenschutzhunde wachen. (Foto: Videostandbild © agridea)

Der Sommer hat noch nicht richtig begonnen und schon ist wieder eine Wanderin von einer aufgebrachten Kuhherde getötet worden. Auslöser: Ein Hund. Hundehalter unterschätzen oft völlig, den Schutzinstinkt der Rinder. Und es entwickelt sich ein weiteres Risiko: Herdenschutzhunde.

(Beitrag aktualisiert: 20.7.2017 mit Video der LK-Tirol)

von Annegret Wagner

Die Geschichten ähneln sich immer sehr: Wanderer mit Hunden kommen Kühen – meist mit Kälbern – zu nahe und werden angegriffen. Anfang Juni starb eine 70-jährige Wanderin, die mit ihrem Hund und einer Freundin eine Weide im Almgebiet Kranzhorn (Gemeinde Erl) überquerte. Dort weideten zehn Kühe und acht Kälber.

Mutterkühe sehen Hunde als Raubtiere

Bei dem Hund, der ebenfalls ums Leben kam, handelte es sich lediglich um einen kleinen Chihuahua – also kein Tier mit wolfsähnlichem Aussehen. Trotzdem, so erläutert Prof. Dr. Klaus Reiter von der Landesanstalt für Landwirtschaft in München gegenüber dem Oberbayrischen Volksblatt, sei der Angriff auf den Hund ein normales Verhalten von Mutterkühen. Ein Hund aktiviere den Schutzmechanismus der Tiere.
Der Bürgermeister der Gemeinde Erl, Georg Aicher-Hechenberger, formuliert es noch drastischer: „Kuh und Hund sind nicht kompatibel. Und es gibt immer noch sehr viele aus dem urbanen Raum, die das einfach noch nicht wissen.“

Warnhinweis an beweideter Alm

Warnhinweis an beweideter Alm – mit Schildern versuchen die Landwirte Hundebesitzer zu warnen. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Herdenschutzhunde verteidigen ihr Revier

In der Schweiz sehen die Behörden ein weiteres Konfliktfeld: Immer mehr Weidetierhalter schützen ihre Herden gegen Wölfe, Luchs und Bär und setzen dafür Herdenschutzhunde ein. Gut 200 sind in diesem Sommer auf etwa 100 Schweizer Alpen im Einsatz.

Gebiete mit Herdenschutzhunden sind in der Schweiz auf Wanderwegweisern markiert. (Foto: Agridea)

Die Schweizer raten unbedingt davon ab, in Regionen mit geschützten Herden einen Hund auf Wanderungen mitzunehmen. Fremde Hunde – als direkte Verwandte des Wolfes – würden bei Herdenschutzhunden ein verstärktes Abwehrverhalten auslösen. Treffen Wanderer mit Hund unverhofft auf eine geschützte Herde gilt: Den eigenen Hund sofort an die Leine nehmen und die Herde weiträumig umgehen.
Wer sich – auch als Wanderer ohne Hund – trotz eindeutiger Warnsignale der Herdenschutzhunde den Durchgang durch die Herde erzwingt, könne im schlimmsten Fall gebissen werden.
Für Wandertouren hat das Schweizer Umweltbundesamt eine Online-Karte (Aufruf hier) erstellt. Sie zeigt, in welchen Gebieten Herdenschutzhunde im Einsatz sind – ergänzend gibt es eine Webseite mit Verhaltenstips.

Video des Schweizer Umweltbundesamtes zum richtigen Umgang mit Herdenschutzhunden 

Uneinsichtige Wanderer klagen

Das Miteinander von Touristen (mit Hund) und Weidetieren wird also nicht leichter. Zumal die Wanderer Warnhinweise oft ignorieren – und sogar im Nachhinein versuchen die Tierhalter verantwortlich zu machen.
Bereits im Juli 2014 war es in Tirol zu einem tödlichen Wanderzwischenfall gekommen, damals wurde eine 45-jährige Frau aus Deutschland mit ihrem Hund von Kühen angegriffen. Der Hund war angeleint, hatte aber die Kühe angebellt und so auf sich aufmerksam gemacht.
Das Verfahren gegen den Rinderhalter wurde von der Staatsanwaltschaft eigentlich bereits im Oktober 2014 eingestellt, da es sich bei dem Weg um einen entsprechend gekennzeichneten Privatweg gehandelt hatte. Zusätzlich waren mehrsprachige Warnschilder aufgestellt, auf denen unter anderem stand: „Das Betreten und Mitführen von Hunden nur auf eigene Gefahr“.

Schadenersatz vom Weidehalter?

Trotzdem fordert der Witwer 360.000 Euro Schadensersatz von dem Nutztierhalter. Das Verfahren ist auf Oktober 2017 vertagt. Doch falls der Landwirt tatsächlich schuldig gesprochen werden sollte, hätte das vermutlich Folgen: Das Mitführen von Hunden auf beweideten Almen würde wohl generell verboten, denn die Flächen sind in der Regel im Privatbesitz der Landwirte.

Faltblätter mit Verhaltenstips

„Eine Alm ist kein Streichelzoo, sondern ein Wirtschaftsraum.“ Mit Faltblättern wollen Weidetierhalter die Wanderer darüber aufklären. Dafür hat etwa die Landwirtschaftskammer Tirol die Form eines Comics gewählt (PDF-Download).

So nicht – ein Comic soll Wanderer (mit Hund) für den richtigen Umgang mit Weidetieren sensibilisieren. (© LK Tirol)

Auch PETA hat einen 10-Punkte-Plan ausgearbeitet, der im Umgang mit Rindern hilfreich sein soll.
Letztlich sind aber die meisten Ratschläge – etwa wie man Kuhherden unterscheidet – nicht nötig. Wichtig sind vor allem drei Regeln:

  • Eine Kuhweide möglichst umgehen;
  • ausreichend Abstand zu den Tieren halten, falls es tatsächlich keine alternativen Wanderwege gibt
  • und die Hunde immer anleinen und schlicht nicht in die Nähe von Rindern lassen – besonders wenn Kälber dabei sind.

Wie groß der Abstand zu den Tieren sein sollte, lässt sich relativ leicht beurteilen: Werden die Rinder unruhig, ist man zu dicht; grasen sie entspannt weiter oder liegen sie, dann ist die Entfernung richtig.
Jedes Tier hat eine individuellen Toleranzbereich. Wird dieser unterschritten kommt es unter Umständen zum Angriff. Besonders gut ist dieses Phänomen von Bären bekannt: Wenn Menschen weit genug entfernt sind, versuchen die Bären ihnen aus dem Weg zu gehen; sind die Menschen aber in die individuelle Privatsphäre eingedrungen, greifen die Bären sie an.

Auf Warnsignale der Tiere achten

Wanderer, vor allem mit Hund, sollten daher die Rinder immer gut beobachten: Sobald die Tiere ihr Verhalten verändern, müssen sie mehr Abstand halten –  auch wenn sie dafür den Weg verlassen oder umkehren müssen. Zwar weichen Rinder in der Regel einem Wanderer aus, vor allem wenn dieser unvermittelt auftaucht. Muttertiere aber schützen ihren Nachwuchs.
Wanderer sollten immer darauf achten, dass die Tiere ihnen auch tatsächlich ausweichen können, ohne an einen Zaun oder Abgrund gedrängt zu werden und so zu sehr in die Defensive zu geraten.

Umgekehrt: Hunde attackieren Weidetiere

Hinweistafel für Hundebesitzer, Schottland

Kommt öfter vor: Hundeattacken auf Weidetiere – ein Warnschild für für Hundebesitzer. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Während tödliche Zwischenfälle mit Menschen eher selten sind, kommt es umgekehrt immer wieder zu tödlichen Hundeattacken auf Schafe, Ziegen und sogar Kälber.
Im Interesse aller Parteien sind Hunde, auch die „Der-tut-Nichts-Exemplare“, in Weidegebieten stets an der Leine zu führen. Wie erwähnt: Wanderer befinden sich meist auf dem Privatbesitz der Tierhalter.

Quellen:
direkt im Artikel verlinkt
Übersichtsseite „Richtiges Verhalten auf der Alm“ – Landwirtschaftskammer Tirol – Auswahl Informationsfaltblatt in fünf Sprachen
Download „Aufklärungsfaltblatt LK Tirol“ / deutsch (PDF-Download)
Schweizer Aufklärungswebseite „Herdenschutzhunde“

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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