Antibiotikaleitlinien: Tiermedizin hat sie – für Humanmedizin werden sie gefordert

Noch zu oft setzen Ärzte weltweit Antibiotika falsch und unnötig ein, kritisiert die Weltgesundheitsorganisation WHO. Für Deutschland haben Krankenkassen das aktuell mit Zahlen belegt. Für die Humanmedizin werden deshalb jetzt Antibiotikaleitlinien gefordert – die es in der Tiermedizin schon lange gibt. Die WHO ordnet außerdem ihre Antibiotikakategorien neu und verlangt einen deutlich reduzierten und zielgenaueren Einsatz.

von Jörg Held

Dass auch in Deutschland beim Antibiotikaeinsatz noch Handlungsbedarf besteht, zeigen Auswertungen der Krankenkassen. So meldet aktuell die Technikerkrankenkasse (TK), dass 2016 immer noch gut jeder vierte Patient (27 Prozent) unnötige, weil bei Erkältungen unwirksame Antibiotika erhalten habe. Das hat die TK für ihren Gesundheitsreport aus den Abrechnungsdaten anhand der Kombination von Diagnose und verordnetem Medikament herausgefiltert. Die positive Botschaft: 2008 waren es noch rund 38 Prozent – die Entwicklung ist also deutlich rückläufig.
Auch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) kritisiert den zu häufigen Einsatz der als „kritisch“ eingestuften Fluorchinolone bei Bagatellerkrankungen in der Humanmedizin.
(Weitere Daten zum Antibiotikaeinsatz der Humanmedizin finden Sie hier)

Rückläufiger Trend: Unnötig verordnete Antibiotika in der Humanmedizin. (Grafik: © Techniker Krankenkasse)

Gefordert: Antibiotikaleitlinien für die Humanmedizin

Die Fehlverordnungen seien also immer noch zu hoch, bemängelt Gesundheitsökonom Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Er fordert deshalb eine Handreichung für Humanmediziner zum Umgang mit Antibiotika. „Wir haben keine einzige Leitlinie, die den Ärzten genau darstellt, wie Antibiotika eingenommen werden sollen.“ Außerdem müsse es in den Krankenhäusern mehr Hygienefachkräfte geben, damit die resistenten Keime sich nicht ausbreiten. (Anm. d. Redaktion: Es gibt einzelne Antibiotikaleitlinien in der Humanmedizin, etwa hierhier oder hier – 14.6.2017)

Die Tierärzteschaft hat bereits seit dem Jahr 2000 eigene Antibiotikaleitlinien aufgestellt. Sie werden regelmäßig aktualisiert (zuletzt 2015 – aktueller Stand hier -PDF-Download) und inzwischen auch auf englisch angeboten.

„Die niedergelassenen Ärzte verordnen Antibiotika in verantwortungsvoller Weise“, sagte dagegen laut Deutschem Ärzteblatt Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Häufig sähen Ärzte sich jedoch mit dem Wunsch der Patienten konfrontiert, unbedingt ein Antibiotikum zu erhalten.
Patientenaufklärung habe daher einen besonderen Stellenwert. „Wir brauchen in der Bevölkerung ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass Antibiotika nicht bei jedem Husten oder einer tropfenden Nase helfen“, sagte etwa Gesundheitsminister Hermann Gröhe.

„Nachfrage“ darf Verordnung nicht beeinflussen

Dieses „Nachfrageargument“ akzeptiert die Politik für die Tiermedizin allerdings nicht. Statt Aufklärung müssen Tierärzte mit einem staatlich vorgeschriebenen Antibiotikamonitoring seit 2014 die Antibiotika-Therapiehäufigkeit erfassen. Landwirte, die bei Nutztieren dauerhaft zu viel Antibiotika einsetzen, müssen mit Sanktionen bis hin zur möglichen Betriebsschließung rechnen.
Die Deutsche Antibiotikaresistenzstrategie will für Tierärzte außerdem ein vergleichendes Verordnungsbenchmarking nach niederländischem Vorbild einführen.
Und eine Neufassung der tierärztlichen Hausapothekenverordnung (TÄHAV) soll festlegen, welche Wirkstoffe Tierärzte wann (nicht mehr) oder nur nach einem Resistenztest einsetzen dürfen.
Vergleichbare Vorschriften gibt es für die Humanmedizin nicht. Womöglich sinkt sinkt der Antibiotikaeinsatz dort deshalb nur geringfügig, während die Tiermedizin die Menge seit 2011 um über die Hälfte reduziert hat.

WHO definiert „Reserveantibiotika“ für Humanmmedizin

Tabelle mit den von der WHO als „Reserveantibiotika“ für die Humanmedizin eingestuften Wirkstoffen. (Tabelle/Logo: © WHO)

Diskutiert wird noch darüber, welche Antibiotika man für die Tiermedizin derart regulieren muss. Auf der Liste sind aktuell bisher gesetzt: Fluorchinolone sowie Cephalosporine der 3. und 4. Generation; debattiert wird noch über Makrolide und Colistin.
Jetzt hat außerdem die Weltgesundheitsorganisation neue Antibiotikakategorien für die Humanmedizin vorgelegt (mehr dazu hier)Erstmals enthält die WHO-Aufstellung auch eine Liste mit echten Reserveantibiotika, die in der Humanmedizin als Mittel der letzten Wahl eingesetzt und entsprechend geschützt werden sollen.

  • In diese explizit als „Reserve“ bezeichnete Kategorie fallen unter anderen, die beiden für die Tiermedizin wichtigen Wirkstoffe Colistin und Cephalosporine der 4. Generation.
  • Flurchinolone, Makrolide und Cephalosporine der 3. Generation gehören dagegen zur „Watch“-Group. Wirkstoffe dieser Kategorie sollen Humanärzte nicht – oder nur bei wenigen ausgewählten Indikationen – als erste Wahl einsetzen; ihre Anwendung soll insgesamt deutlich zurückgefahren und strenger überwacht werden.
  • Stattdessen sollen die Humanmediziner bevorzugt auf die in der „Access“-Group gelisteten Antibiotika zurückgreifen: Sie gelten als Mittel der ersten und zweiten Wahl.

Die detaillierten WHO-Vorgaben für jeden einzelnen Wirkstoff (Details hier – PDF-Download) gelten für die Humanmedizin. Sie dürften aber durch ihre Klassifizierung auch Einfluß auf die Regulierung in der Tiermedizin haben.

Quellen:
Antibiotika-Studie 2017 der Techniker-Krankenkasse – Pressemitteilung
Neue WHO-Kategorisierung der Antibiotika – PDF Download
Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin (Versorgungsatlas.de – PDF-Download)

weiterführende Links:
Antibiotikaleitlinien der Bundestierärztekammer – PDF-Download (englische Version hier)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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