Greenpeace „Gülle-Test“: Multiresistente Bakterien und das Dispensierrecht der Tierärzte

Resistenzschleuder Schweinegülle? Greenpeace forciert seine Attacken auf die Landwirtschaft. (Foto: © Myriam/pixabay.de)

Greenpeace fordert aktuell die Abschaffung des Dispensierrechtes für Tierärzte. Der Anlass: Die Umweltschützer haben 19 Gülleproben aus sieben Bundesländern auf Resistenzen und Antibiotika untersuchen lassen. In 13 davon hat man multiresistente Keime (ESBL/3-MRGN) gefunden. MRSA wurden nur in einer der Proben nachgewiesen. (aktualisiert: 25.5.2017)

von Jörg Held
(mit Kommentar am Artikelende: Mehr Fairness bitte)

Greenpeace hat im Frühjahr 2017 in 19 Gülleproben aus deutschen Schweineställen nach multiresistenten Keimen gesucht. Und nach Antibiotika, die in der Tiermedizin eingesetzt werden und Resistenzen verursachen können. Die Proben wurden Greenpeace anonym zugespielt und sollen aus konventionellen Ställen stammen, meldet die Nachrichtenagentur agrar-europe (z.B. hier).
15 mal konnte man Antibiotika-Rückstände in der Gülle nachweisen. 13 Proben enthielten resistente Keime (Details siehe unten). Deshalb fordern die Umweltschützer:

  • Klare Reduktionsziele und Umsetzungsprogramme, um den Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung durch bessere Haltungsbedingungen zu minimieren
  • Abschaffung der Metaphylaxe (Gruppenbehandlung)
  • Verbot bzw. Einschränkung des Einsatzes von sogenannten Reserve-Antibiotika in der Tierhaltung
  • Abschaffung des „Dispensierrechts“ für Tierärzte, Verbot von Mengenrabatten für Tier-Arzneimittel und Einführung von Mindestpreisen
  • Antibiotika und Keime in der Umwelt müssen einem Monitoring unterworfen werden
  • Grenzwerte für Antibiotika in Grund- und Oberflächenwasser

Was hat Greenpeace gefunden?

In 13 der 19 untersuchten Proben (68 Prozent) wurden multiresistente Keime (ESBL), davon sechsmal mehrfachresistente, sogenannte 3-MRGN-Keime nachgewiesen (PDF -Download der Untersuchung mit tabellarischer Auflistung hier).
Nur eine Probe war mit MRSA belastet. Das erklärt Greenpeace damit, dass MRSA überwiegend Oberflächen besiedeln. Im Darmtrakt seien sie eher nicht zu erwarten. Hingegen gelten ESBL-bildende Bakterien wie E.coli oder Enterobacter als typische „Darmbakterien“, finden sich ergo auch in Ausscheidungen.
Untersucht wurden insgesamt 19 Proben aus Ställen in Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

In ihrem Test hatten die von Greenpeace beauftragten Labore auch nach Wirkstoffen aus den folgenden Antibiotika-Gruppen gesucht: Macrolide, Nitroimidazole, Quinolone, Sulfonamide, Tetracycline. 15 Proben (79 Prozent) enthielten Reste von antibiotischen Wirkstoffen. Zitat: „In diesen Proben mit Nachweisen wurden meist vergleichsweise niedrige Konzentrationen gefunden.“

Die simple Greenpeace-These der One-Way-Verbreitung von Resistenzen  … (nächstes Foto) – (Grafik: © Greenpeace)

… und die deutlich komplexeren Verbreitungswege und Zusammenhänge der Wissenschaft. (Quelle: Vortrag Prof. Jonas/Uniklinikum Freiburg; 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Wie sind die Greenpeace-Ergebnisse einzuordnen?

Tiermedizin und Humanmedizin setzen in Deutschland mit jeweils rund 800 Tonnen im Jahr etwa gleich viele Antibiotika ein, sagt auch Greenpeace. Dennoch fokussiert der Test und auch die Schlussfolgerungen ausschließlich auf Rückstände aus der Nutztierhaltung.
Die deutsche Wasserwirtschaft ist da weiter. Anders als die Greenpeace-Stichproben untersucht man dort auch regelmäßig und über längere Zeiträume Abwasserproben aus Krankenhäusern und Kläranlagen. Ergebnisse wurden unter anderem auf der Essener Abwassertagung im März 2016 vorgestellt (siehe Grafiken). Auch Grundwasserstichproben (mehr hier) zeigen ein differenzierteres Bild.

Der Weg von Antibiotikaresistenzen aus dem Krankenhaus in Gewässer. (Quelle: Vortrag Prof. Schwartz/KIT; 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Das breite Spektrum der in Kläranlagen nachgewiesenen Resistenzklassen der Humanantibiotika. (Quelle: Vortrag Prof. Jonas/Uniklinikum Freiburg; 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Fakt ist: Krankenhausabwässer sind immer mit resistenten Bakterien belastet. Gleiches gilt auch für „normale“ kommunale Abwässer. Menschen, die krank sind, scheiden genauso wie Tiere nach einer antibiotischen Behandlung Reste der Medikamente aus – und auch resistente Keime. Dass man diese also in ähnlicher Verteilung sowohl in Abwässern als auch in der Gülle findet, ist keine Überraschung.

Welche Schlussfolgerungen zieht Greenpeace?

Aus dem Ergebnis seiner Tests schließt Greenpeace …

  • Mit der Ausbringung von Schweinegülle werden sowohl multiresistente Keime, die potentiell Krankheiten bzw. Infektionen auch beim Menschen auslösen, sowie Antibiotika, die diese Resistenzen mitverantworten, „großflächig in der Umwelt verteilt“.
  • Deshalb seien Tierhaltungsbetriebe neben den Schlachthöfen eine signifikante Quelle für die Ausbreitung von Keimen und Antibiotika über die Lebensmittelkette.

… und bringt dies in der Pressemeldung in Zusammenhang mit 25.000 Resistenztoten in Europa. Nicht in der Pressemeldung, aber im Original der Studie finden sich dagegen dann auch folgende Aussagen:

  • Die tatsächlichen Auswirkungen auf die Humanmedizin seien derzeit schwer zu beurteilen.
  • Die Herkunft von Keimen sei bei Infektionen kaum nachweisbar.
  • Auch über das Umweltverhalten der Keime und Antibiotikarückstände in der Gülle und in Böden wissen man noch wenig.

Rückstände in Kläranlagen – nicht ein „Problemfeld“, sondern viele – warum aber fokussieren Umweltschützer dann, wenn es um Resistenzen in der Umwelt geht, aktuell geradezu verzweifelt allein auf die Tierhaltung? (Quelle d. Grafik: Vortrag Prof. Schwartz/KIT; 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Das BfR zum komplexen Thema: Resistenzaustausch zwischen Mensch, Tier und Umwelt.

wir-sind-tierarzt.de meint: Etwas mehr Fairness bitte

(jh) – Warum braucht es von Umweltschutzorganisationen immer dann, wenn politische Großereignisse anstehen – so wie jetzt der G20-Gipfel in Hamburg – solche Medienaktionen mit extrem einseitigen Schuldzuweisungen? Greenpeace kommt mit dem „Gülletest“; Germanwatch mit dem „Antibiotikamissbrauch in Tierfabriken“.

Bleiben wir bei Greenpeace. Ja, es stimmt: Über Gülle können Antibiotika-Rückstände und resistente Keime in die Umwelt gelangen.
Das gilt allerdings gleichermaßen auch für „Menschen-Gülle“ – für Abwässer aus jedem(!) Krankenhaus und vielen Haushalten. Greenpeace weiß, dass die Kläranlagen damit zu kämpfen haben.

Dennoch folgert der Greenpeace-Experte für Landwirtschaft, Dirk Zimmermann, aus den Rückstandsnachweisen in Gülle: „Der sorglose Umgang mit Antibiotika in der Tierhaltung ist katastrophal“ und „erstaunlich fahrlässig“. Gilt diese Behauptung analog also auch für die menschlichen Abwässer und die Rückstände dort? Wenn ja, warum gibt es dazu keine Greenpeace-Studie? Es betrifft doch viel mehr Menschen noch viel unmittelbarer? 
Oder ist nur wichtig, dass für die Tiermedizin wieder mal eine „Fahrlässigkeitsbehauptung“ in Umlauf gebracht werden kann? Und damit dann Forderungen begründet werden, deren Lösungen zum Teil schon auf einem sehr erfolgreichen Weg oder gar obsolet sind?
Die Reduzierung der Antibiotikamengen in der Nutztierhaltung etwa: Minus 53 Prozent oder minus 901 Tonnen von 2011 bis 2015 hat die Tiermedizin bisher erreicht. Kein anerkennendes Wort dazu von den NGO.
Oder: Warum das „
Dispensierrecht abschaffen“, wenn bereits durch Gutachten und europäische Zahlen nachgewiesen ist, dass hier kein Zusammenhang mit der Resistenzproblematik besteht?

Es gibt einen Satz in der Untersuchung, den auch Tierärzte sofort unterschreiben:
„Grundsätzlich sind alle in der Umwelt vorliegenden Resistenzen problematisch, auch weil sie auf andere Organismen übertragen werden können.“

Dieses „alle“ und die komplexen Zusammenhänge haben die Gesundheitsminister der G20 Staaten erkannt und das weltweite Antibiotikaresistenzproblem auf die Hamburger-Tagesordnung gesetzt.
Gefällt es den NGO’s nicht, dass dieses Thema jetzt politisch ganz langsam aber sicher aus der einseitigen Schuldzuweisungsecke der „Nutztierhaltung/Landwirtschaft“ auf die breite Agenda des One-Health wechselt? Dass die Politik – weil sie ganz offensichtlich 
etwas mehr Überblick über die globale Datenlage gewinnt – stärker die Risiken adressiert, die die menschliche Gesundheit unmittelbar betreffen?
Politik und Wissenschaft sehen immer klarer, dass die deutsche und europäische Nutztierhaltung bei der weltweiten Bedrohung durch antimikrobielle Resistenzen eine vergleichsweise kleine Rolle spielt.
Das nimmt Tierärzte und Tierhalter hierzulande nicht aus der Pflicht, Antibiotika so sparsam und gezielt wie möglich einzusetzen – jeden Einsatz sorgfältig zu überdenken.

Aber langsam sollten Germanwatch, Greenpeace & Co aufhören, Tierhaltung und Tierärzte medial zu den Hauptverantwortlichen für die Resistenztoten in Europa zu erklären. Das Thema ist einfach zu ernst für derart simple Schuldzuweisungen.

Vergleichslektüre: Neun resistente „Superbugs“ in Londoner U-Bahn nachgewiesen 

Quellen:
Greenpeace „Gülletest 2017“ (PDF-Download)
Tabelle der Ergebnisse (PDF-Download)
Viel Mist in der Gülle – Greenpeace-Webseite

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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