Feminisierung: Männerquote für Medizinstudium nötig?

Nicht nur auf dem Land verschlechtert  sich die humanmedizinische Versorgung rasant. Politisch wollen Bund und Länder mit einem „Masterplan Medizinstudium 2020“ gegensteuern. Wer sich als Landarzt verpflichtet, soll eher studieren dürfen. Das reicht nicht, um die Probleme der Branche zu lösen, sagt ein Humanmedizinprofessor und fordert eine Männerquote – und sogar eine Teilrückzahlung der Studienkosten für Abbrecher.

von Jörg Held

Die Feminisierung der Medizin sei „das eigentliche Zukunftsproblem der Branche“, klagt Humanprofessor Jürgen Freyschmidt in der FAZ . Etwa 65 Prozent aller zum Humanmedizinstudium Zugelassenen sind Frauen. In der Tiermedizin liegt der Frauenanteil schon seit dem Jahr 2000 konstant über 85 und Jahrgangsweise bei fast 90 Prozent.

Die Angst vorm Frauendiskriminierungs-Fettnäpfchen

Politik und Hochschulen versagten hier, aus „Angst, ins Fettnäpfchen zu treten“. Es gehe darum,  „das unausgeglichene Geschlechterverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten“ anzufassen, fordert Prof. Freyschmidt. Seine Diagnose:
Viele Frauen brächen das Studium ab oder übten nach erfolgreichem Staatsexamen ihren Beruf nicht aus (Abwanderung in nichtärztliche Betätigungsfelder, Familiengründung etc.). Wenn sie arbeiten, dann zahlreich nur halbtags. Verstärkt wird der Mangel in Praxen und Kliniken durch die von jüngeren Ärzten (männlich und weiblich gleichermaßen) zunehmend angestrebte Work-Life-Balance. Ganz entscheidend seien aber „Arbeitspausen“, die durch Schwangerschaft und Kindererziehung entstehen. Die Geschlechterimbalance verschärft die Personlaprobleme im Beruf – nicht nur auf dem Land.

Tierarztmangel auf dem Land: Ein Frauenproblem?

Die jetzt schon spürbare medizinische Unterversorgung in ländlichen Regionen werde sich in den nächsten zehn Jahren rasant verschlimmern, prophezeit Prof. Freyschmidt in der FAZ. Dort gehen weit mehr Ärzte in den Ruhestand, als nachbesetzt werden können – mangels Nachwuchses, der bereit ist aufs Land zu ziehen.
Die „Diagnose“ des Humanmediziners lässt sich nicht nur 1:1 auf die Tiermedizin übertragen, sie trifft diese noch weit härter.

Für Brandenburg hat dies Dr. Burkhard Wendland, bpt-Landesvorsitzender und ehemaliger Kammerpräsident in der Märkischen Oderzeitung bestätigt: Im Speckgürtel rund um die Bundeshauptstadt Berlin habe die Zahl der Veterinäre seit der deutschen Wiedervereinigung deutlich zugenommen. In den ländlichen Gegenden Brandenburgs sei die Anzahl hingegen zurückgegangen. In der Deutschen Tierärztestatistik für Brandenburg liest sich das (ohne geografische Zuordnung) dann so:

  • Die Zahl der Nutztierpraxen ist von 2006 bis 2015 um knapp 35 Prozent gesunken (von 101 auf 64). Der Rückgang entspricht fast genau der „Männerquote“: 44 der zuvor 83 männlichen Nutztierpraktiker sind in den Ruhestand gegangen. Nur zwei Frauen (20 statt 18) sind in diesem Zeitraum in der Nutztierpraxis hinzugekommen.
  • Dafür hat sich die Zahl der Kleintierpraktiker in den neun Jahren um 25 Prozent erhöht (von 171 auf 213). Dieser Zuwachs ist rein weiblich (von 85 auf 126), der Männeranteil praktisch unverändert (86 zu 87).
  • Zum Vergleich: In Berlin ist die Zahl der Kleintierpraktiker in dieser Zeit um 15 Prozent (von 326 auf 373) gestiegen. Auch hier durch die Frauen +44 (Männer +3).

Bund-Länder-Masterplan Medizinstudium 2020

Indirekt bestätigt auch die Politik, die Geschlechterthese von Prof. Jürgen Freyschmidt. Nach langen Verhandlungen haben sich Bund und Länder nämlich jetzt auf einen „Masterplan 2020“ zur Reform des Medizinstudiums geeinigt. (Links zu Detailinformationen siehe unten). Der am heftigsten diskutierte der 37 Punkte soll die Versorgung auf dem Land verbessern:

Landarztquote: Numerus clausus verliert an Bedeutung

Generell soll das Gewicht der Abiturnote als wichtigste Zulassungskriterium für ein Medizinstudium relativiert werden. Soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie die Leistungsbereitschaft der Studienbewerber will der Masterplan stärker berücksichtigen. Und auch eine andere Ausbildung oder Tätigkeit in medizinischen Berufen will man höher gewichten.
Um mehr Landärzte zu gewinnen, sollen die Bundesländer außerdem eine Quote einführen können, über die sie bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze vorab an „Landarzt-Bewerber“ vergeben dürfen. Die müssen sich im Gegenzug  verpflichten, „nach Abschluss des Studiums und der fachärztlichen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin für bis zu zehn Jahre in der hausärztlichen Versorgung in unterversorgten beziehungsweise durch Unterversorgung bedrohten ländlichen Regionen tätig zu sein“. So steht es in dem Beschluss.
Da bisher 70 Prozent der Frauen eine bessere Abiturnote haben als Männer, verbessert diese Kriterienverschiebung die Chancen der Männer auf einen Studienplatz.

Der humanmedizinische Masterplan sagt allerdings nichts darüber, ob und wie die Ideen auf das Tiermedizinstudium übertragen werden sollen/können.

Radikale Forderung: Studienkosten teilweise zurückzahlen

Professor Freyschmidt bringt in der FAZ zusätzlich noch die Geldfrage ins Spiel: Man müsse auch über Sanktionen für selbstverschuldete Studienabbrüche diskutieren. Das begehrte Medizinstudium koste etwa 100.000 Euro (ein Tiermedizinstudium ist noch teurer) und werde aus Steuergeldern finanziert. Bei 10.000 Humanstudienplätzen (rund 1.000 Plätze gibt es  für Tiermediziner) ergibt sich nach Freyschmidts Rechnung bei sechs Jahren durchschnittlicher Dauer eines Medizinstudiums eine Summe von einer Milliarde Euro, die die Gesellschaft investiert.
Freyschmidt fragt: Darf man, nachdem man acht Semester einen Studienplatz besetzt hat, einfach abbrechen? Man habe immerhin einem anderen Kandidaten oder einer Kandidatin die begehrte Studienmöglichkeit vorenthalten. „Es bietet sich also eine Pflicht zur Rückzahlung eines Teils der vertanen Studiumskosten an.“

Quellen: im Artikel verlinkt
Mehr zum humanmedizinischen „Masterplan 2020“ lesen sie hier (Spiegel online) oder hier (Dt. Ärzteblatt) sowie hier und hier in der Ärztezeitung
Informationsseite „Masterplan 2020“ des Bundesbildungsministeriums mit Volltext des Bund-/Länderbeschluss

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)