Die Notdienstfalle: Wie können und wollen Tierarztpraxen entkommen?

Tierärztlicher Notdienst 24/7 oder gibt es Alternativen?Tierärztlicher Notdienst 24/7: Mein Hund hat Durchfall! (Zeichnung: Henrik Hofmann)

„Tierärztlicher Notdienst“ ist für Tierbesitzer ungeheuer wichtig. Für Tierarztpraxen und -kliniken ist er dagegen extrem belastend und allzuoft nicht rentabel. Welche Lösungen gibt es für Tierärzte, der „Notdienstfalle“ zu entkommen?

von Henrik Hofmann

Wie wichtig Tierbesitzern der Tierärztliche Notdienst ist, hat der Artikel 24/7 Notdienst – „Danken tut’s dir eh keiner…!“ dargestellt. Er hat aber auch aufgezeigt, welche Probleme den Tierärzten daraus erwachsen: Angefangen bei extremer psychischer Belastung, über Personalprobleme, den enormen Kostenaufwand bis hin zu Beschimpfungen und negativen Bewertungen auf Bewertungs-Portalen wie Jameda, Google oder Facebook seitens der Tierbesitzer, die für Nachtarbeit keine Zuschläge bezahlen wollen.

Flucht aus dem Notdienst?

Die Folge: Viele Praxen sind nachts und an Wochenenden nur noch für eigene Kunden durchgehend erreichbar. Auch immer mehr Tierkliniken geben ihren Klinksstatus zurück, nennen sich „Tiergesundheitszentrum“ und haben dann keine nächtliche Bereitschaftspflicht mehr. Die Branche versucht der „Notdienstfalle“ entkommen.
Gibt es in der Region dann keinen funktionierenden Notdienst unter den Haustierärzten, stehen die Tierbesitzer im Notfall alleine da.
Es muss doch Alternativen geben? Hier ein paar Lösungsansätze:

Der „Klassiker“: Wechselnder Notdienst

„Sonntags gibt es bei uns einen wechselnden Notdienst im Landkreis, wir sind da so vier Mal im Jahr dran“, sagt eine Kollegin. „Wir harmonieren so gut miteinander, dass man auch spontan sagen kann, ich gehe heute mal ins Kino, kannst du das Telefon nehmen. Das klappt top und ich bin sehr glücklich damit!“
Diese „Notdienstringe“, bei denen sich Praxen einer Region absprechen und einen Notdienstplan erstellen, sind die klassische und im Prinzip beste Lösung – für Kollegen und Tierbesitzer. Sie verlangen aber einiges an kollegialer Rücksichtnahme und Engagement.

Genau da liegen die Schwächen: Schwierig wird es vor allem, wenn nicht alle Praxen mitmachen und so die zeitliche Belastung für immer weniger „aktive“ Kollegen immer größer wird.  Oft gibt es auch Konkurrenzängste. Schwierig wird es wenn zusätzlich Spezialisierungen und unterschiedliche Tierarten ins Spiel kommen. Immer wieder erlebt man, dass Kollegen nicht bereit sind, Schweine zu behandeln, es sich nicht zutrauen, eine Pferdekolik zu fahren, oder Ziegenbehandlungen kategorisch ablehnen. Auch leisten Spezialpraxen (etwa für Augen oder Kardiologie) „grundsätzlich“ oft  keinen allgemeinen Notdienst, weil sie nur einen „Körperteil beherrschen“.
An diesen Problemen zerbrechen viele Notdienstringe.

An die Tierklinik verweisen

Anerkannte Tierärztliche Kliniken haben gemäß der Vorgaben des Kammerrechtes die Pflicht, einen 24/7 Notdienst anzubieten. Der Verweis auf eine Tierklinik kann also das Notdienstproblem lösen. Vor allem kleinere Praxen nutzen das. Unbedingt sollte es aber auch hier Absprachen mit den Kliniken geben, denn die müssen ihr Personal planen. Weder Tier, noch Besitzer, noch den Praxen ist damit gedient, wenn „plötzlich“ (zum Beispiel an einem verlängerten Wochenende) das Wartezimmer voll sitzt. Und Wartezeiten weit jenseits der Schmerzgrenze entstehen.

Der Nachteil: Nicht alle Regionen sind ausreichend mit Tierkliniken abgedeckt. Und viele der Kliniken leiden eben unter fehlenden Absprachen und damit auch fehlender Auslastung. Durch die Vorgaben des Arbeitszeitgesetze haben sie aber einen enormen Kostendruck. Den Spagat zwischen Personalanforderungen und kostendeckenden Preisen schaffen sie immer seltener. Die Folge ist ein – für die Notdienstabdeckung bedenklicher Trend: Immer mehr Tierkliniken geben ihren Klinikstatus zurück, da sie es personell, finanziell und organisatorisch nicht mehr leisten können und wollen.

In Großstädten ein beliebtes Geschäftsmodell: die Notdienstpraxis? (hier Berlin / Collage: © WiSiTiA/jh)

Mobile Notdienste in Großstädten

Dieses Modell folgt einem Trend aus England. Es ist in Deutschland aber (noch) nicht flächendeckend verbreitet. Doch vor allem in Großstädten entstehen zunehmend reine „Notdienst-Praxen“ – oft mit einer Rettungsdienstanmutung. Sie werden (auch) von nicht-Tierärzten geleitet. Kolleginnen berichten, dass dort häufig (billige) Berufsanfänger arbeiten, die zum Beispiel nebenher eine Doktorarbeit schreiben. Je nach Konzept fahren diese „Notdienste“ zu den Patienten(besitzern) nach Hause und behandeln dort – doch nicht nur komplexere Probleme überweisen sie häufig dann doch in eine Klinik. Manche dieser Praxen rechnen konsequent ab; so wurde über einen Kollegen in einer Großstadt berichtet, dass er mehr oder weniger pauschal pro Fall 400,- Euro abrechnet.

Die reine „Notdienstklinik“

Auch ein zweites Modell kommt aus Nachbarländern wie etwa den Niederlanden aber auch den USA: Dort gibt es recht häufig reine Notdienstkliniken, die nur am Wochenenende und nachts geöffnet haben.
Der Vorteil: Die Tierärzte in diesen „Notdienstkliniken“ wissen, worauf sie sich (arbeitszeittechnisch) einlassen und werden dort entsprechend bezahlt. Auch gibt es keine „Konkurrenzsorgen“, denn die an diese Kliniken verwiesenen Patienten können dorthin nicht „abwandern“, da sie tagsüber geschlossen sind.
Probleme gibt es aber auch hier: Zum einen müssen sich Mitarbeiter finden, die nur nachts und an Wochenenden arbeiten wollen. Zum anderen braucht es ein ausreichendes Patientenaufkommen. Der Notdienst muss zu 100 Prozent über die Notdiensteinnahmen finanziert werden. Eine interne „Quersubvention“ – viele Praxen und Tierkliniken verbuchen den Notdienst (teilweise) als „Service“ – entfällt. Weil „Leerzeiten“ für  Tierärzte und TFAs vor Ort konsequent eingepreist werden, sind Rechnungen auch bei einfachen Durchfällen um die 500 Euro schnell erreicht.

Der „Teilzeit-Notdienst“

In einem Interview für den bpt-Jahresbericht 2015 schilderte Dr. Andreas Bulgrin seine Strategie, ausufernde Arbeitszeiten in der Praxis zu begrenzen: „Als erstes haben wir die Öffnungszeiten eingeschränkt. Unser Notdienst in Form einer Rufbereitschaft geht zum Beispiel nur noch bis 23:00 Uhr. Mittwoch nachmittags haben wir auch nur eine Rufbereitschaft. So konnten wir ausufernde Arbeitszeiten etwas eindämmen. Die Dienstpläne haben wir dann so gestaltet, wie es mit Tagesmüttern und Kindergärten und persönlichen Wünschen am besten passt. Meine Mitarbeiterinnen haben eine viereinhalb-Tage-Woche plus Rufbereitschaft mit ziemlich gesicherten Zeiten.“
Vorteile hat so ein „Teilzeitnotdienst“ für die einzelne Praxis: Er bringt dort planbare und finanzierbare Strukturen in den Wochenrhythmus. Die meisten Probleme von Tieren und Besitzern lassen sich damit auch lösen.
Der Nachteil auch hier: Es muss eine zweite Lösung für die Wochenenden und die „echten“ Notfälle außerhalb der angebotenen Zeiten geben. Diese Aufgabe wird also verlagert. Ohne Absprachen funktioniert auch dieses Modell nicht.

Fehlt allzuoft der Wille zur Lösung?

Fazit: Modelle für einen Notdienst gibt es viele. Es hängt aber fast immer von den Absprachen unter den Kollegen einer Region ab, wie gut die gewählte Variante dann auch funktioniert. Betriebswirtschaftlich und auch im Sinne der persönlichen Arbeitsbelastung – egal ob Inhaber oder Angestellte – wäre es am ökonomischsten, werktags in den Praxen bis maximal 22 Uhr „Präsenz“ zu zeigen und ansonsten nachts und an Wochenenden konsequent auf den abgesprochenen Notdienst zu verweisen. Ob das nun Tierklinik, Notdienstring oder ein reiner Notdienstanbieter ist – die dann „Diensthabenden“ hätten zumindest Aussicht auf eine akzeptable Auslastung und damit Refinanzierung.

Kammern in der Pflicht?

Die Berufsordnungen der 17 Landestierärztekammern schreiben eine Notdienstregelung vor – allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Gelingt es den Tierärzten in einem Kammerbezirk nicht, einen funktionierenden Notdienst zu organisieren, kann die Kammer nach einer Ermahnung selbst ein Notdienstmodell vorgeben, etwa die Praxen zu einem Notdienst einteilen – im Interesse der Patienten und ihrer Besitzer. Und das könnte für manche Praxis „unvorteilhaft“ enden.

Die Themen unserer „Notdienst“-Serie

… werden Folgeartikel auf wir-sind-tierarzt.de erklären.

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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