Der Chef machts – Arbeitszufriedenheit als angestellter Tierarzt

Praxisinhaber und angestellte Tierärzte diskutierten in Baden-Baden: Wie muss ein guter Chef sein? (Foto: © Deiner)

Respekt, Wertschätzung und konstruktive Kritik – das ist jungen angestellten Tierärzten vielfach noch wichtiger als Arbeitszeit oder Bezahlung. Umfragen zeigen: Arbeitszufriedenheit hängt heute besonders stark vom Verhalten der Chefs ab. Wie soll er also sein, der gute Chef? Und was können die Mitarbeiter ihrerseits dazu tun?

Ein Gastbeitrag zum VETtalk in Baden-Baden von Eva Saskia Müller, AG Hochschulpolitik des bvvd

Angestellte Tierärzte sind signifikant unzufriedener mit ihrer Arbeit als die „Normalbevölkerung“:  35 Prozent würden den Beruf nicht wieder wählen. Das hat die Umfrage „Der Praktiker im Wandel“ gezeigt (Bericht hier)Diese Unzufriedenheit hängt besonders stark vom Verhalten des Praxischefs ab. Er sei viel zu oft „nicht-wertschätzend“. Doch was verstehen junge Tierärzte darunter?

Erarbeitung der Themen (Foto: © Deiner)

Der Ton macht mehr als Musik

Ungerechtfertigte Schuldzuweisungen, im Ton vergreifen, unangemessen laut werden, Beleidigungen und Kritik in nicht-konstruktiver Form – das sind klassische Beispiele für ein nicht-wertschätzendes Verhalten durch Vorgesetzte. Doch beim VETtalk auf den Baden-Badener Fortbildungstagen 2017 nannten die Teilnehmer noch weiteres:

  • keine Rückendeckung gegenüber Dritten gewähren,
  • eigene Fehler nicht eingestehen,
  • keine Verantwortung übertragen, sich keine Zeit nehmen für den Mitarbeiter und fehlende Einarbeitung,
  • keine „Basis“-Wertschätzung zeigen, etwa den Namen des Mitarbeiters nicht kennen.
Wertschätzend - oder nicht? (Bild: wisitia/hh)

Wertschätzend – oder nicht? (Foto: © WiSiTiA/hh)

Entsprechend nennen die jungen Kollegen das Gegenteil dieser Verhaltensmuster als Beispiele für wertschätzendes Verhalten. Dazu kommen noch:

  • Respekt und Höflichkeit,
  • Die Fähigkeit und den Willen, Fachliches von Persönlichem zu trennen,
  • klare Verantwortlichkeiten schaffen, Erwartungen und Aufgaben deutlich kommunizieren,
  • Teambesprechungen abhalten, Teambildung fördern,
  • offen sein für Anregungen und den Generationswandel anerkennen,
  • Bewerbungsgespräche ernst nehmen und Empathie für die Mitarbeiter zeigen.

Aus all diesen Verhaltensweisen wurden beim Baden-Badener VETtalk in einem Abstimmungsprozess fünf Punkte herausgefiltert, die die Teilnehmer für besonders wichtig halten und näher beschrieben haben:

Mangelnde „Basis“-Wertschätzung

„Basiswertschätzung“ und der „Generationenwandel“ (Foto: © WiSiTiA/hh)

Eine mangelnde „Basis“-Wertschätzung (im philanthropisch-humanistischen Sinne) zeige sich beispielsweise in cholerischen Ausbrüchen, Beleidigungen und Kritik „unter der Gürtellinie“. Auch Schroffheit, nie ein Lob aussprechen oder nie Danke sagen gehören dazu.
Als mögliche Ursachen erkennen die jungen Tierärzte Stress und Zeitmangel beim Vorgesetzten, aber auch fehlende Selbstführung und gegebenenfalls fehlende Sozialkompetenz sowie eine mangelnde Führungskompetenz.

Um die Situation zu verbessern, können sowohl Chef als auch Mitarbeiter etwas tun:

  • Der Vorgesetzte könne einen Perspektivwechsel versuchen und sich stets bemühen sachlich zu bleiben. Führungskompetenz kann man sich durch Bücher, Coaching und Seminare erarbeiten. Für Mitarbeiter ganz wichtig ist die Bereitschaft des Chefs , sich zu entschuldigen, falls es trotz aller Bemühungen nicht in jeder Situation mit dem wertschätzenden Umgang geklappt hat.
  • Die Mitarbeiter selbst sollten in kritischen Situationen ebenfalls sachlich und höflich bleiben. Sobald sich die Stimmung beruhigt hat, sollten sie das Gespräch suchen und um Hilfe bei der Interpretation von Vorwürfen/der Situation bitten. So könne die fachliche Kritik hinter dem Konflikt klar werden. Keinesfalls sollten sie sich durch das Verhalten in den Grundfesten ihrer Selbstachtung erschüttern lassen.

Fehlende Einarbeitung

Überforderung, medizinische Misserfolge, Gefährdung von Patienten – all das sind (auch) Folgen fehlender Einarbeitung. Sie können zum Verlust von Patienten/Kunden führen und damit natürlich zu Unzufriedenheit des Chefs. Möglich ist dann eine „Spirale nach unten“: Dem Mitarbeiter wird weniger zugetraut und weniger übertragen. In der Folge ist er unterfordert und entwickelt Selbstzweifel. Er macht erneut Fehler …
Als mögliche Ursachen wurden vor allem Zeitmangel und Kommunikationsprobleme identifiziert: Chef und Mitarbeiter haben die Erwartungen nicht im Vorfeld geklärt beziehungsweise oft auch eine falsche Erwartungshaltung.

Hier gibt es für Chef und Angestellte folgende Lösungsansätze:

  • Der Vorgesetzte sollte den (fachlichen) Status quo erfassen und darauf basierend eine Einarbeitung planen. Dafür muss er selbst die nötige Zeit und Geduld aufbringen oder dem jungen Kollegen einen erfahrenen Tierarzt zur Seite stellen.
    Wichtig ist es, die erforderlichen Informationen zu liefern und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben – etwa indem man regelmäßig Fälle/Befunde diskutiert und interne Fortbildungen anbietet. Chefs sollten mit Fehlern rechnen und damit fair umgehen. Sie sollten aber ihren Mitarbeiter auch vertrauen, dass diese die ihnen überlassenen/übertragenen Arbeiten – nach Einarbeitung – dann gut meistern.
  • Die Mitarbeiter wiederum sollten die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse offen und ehrlich kommunizieren. Sie müssen Eigeninitiative zeigen und eine positive Arbeitseinstellung an den Tag legen. Kritik sollten sie schätzen und annehmen sowie gewillt sein, Dinge nachzulesen und Fälle nachzuarbeiten.

Respekt – die Basis des Führens: 

Respekt: "Wie war für sie das früher...?" (Bild: wisitia/hh)

Respekt: „Wie war für sie das früher…?“ (Foto: © WiSiTiA/hh)

Respekt zeigt sich zunächst in den allgemeinen Umgangsformen. Dazu zählt scheinbar banales, wie eine ordentliche Begrüßung, jemanden mit Namen ansprechen, zuhören und ausreden lassen – schlicht allgemein höfliche Umgangsformen. Das gilt für Chef und Angestellte gleichermaßen in alle Richtungen.
Aber auch klar definierte und zugeordnete Verantwortungsbereiche sind ein Zeichen von Respekt: Die jungen Kollegen wollen als Mensch wahr- und als Leistungsträger ernstgenommen werden. Notwendige Kritik sollte nicht in einer Art und Weise angebracht werden, die mit Gesichtsverlust einhergeht.
Ein respektvoller Umgang ist dabei hauptsächlich Sache der Kinderstube. Es fällt im Erwachsenenalter schwer, sich respektloses Verhalten ab- und respektvolles Verhalten anzutrainieren. Jede Bemühung darum sollte daher wahrgenommen und wohlwollend registriert werden. Lässt sich jedoch nicht einmal ein guter Wille erkennen, stehen die Zeichen für eine langfristige Zusammenarbeit eher schlecht.

Konstruktive Kritik – ein Muss

Konstruktive Kritik kann leichter angenommen werden als destruktive Kritik und führt darum auch schneller zum erwünschten Erfolg.

  • Der Einstieg in die Kritik gelingt leichter, wenn zunächst die eigenen Beobachtung beschrieben wird: „Mir ist aufgefallen, dass Sie das so und so machen.“ Dem folgt eine Frage nach den Gründen: „Was waren Ihre Gründe?“ oder „Wie kamen Sie darauf?“. Darauf kann dann im Folgenden sachlich eingegangen werden oder es erübrigt sich vielleicht sogar eine Kritik.
  • Eine konstruktive Kritik zeigt auch die Konsequenzen des Beobachteten auf:  „Das hat für mich als Chef oder die Praxis, die Abläufe, den Patienten, die Besitzer, etc. die folgenden Konsequenzen.“
    Sie liefert zugleich einen Grund mit, warum etwas verändert werden sollte: „Ich finde das nicht so ideal, weil…“ oder „Meine Erfahrung hat gezeigt, dass…“
  • Konstruktive Kritik enthält einen Lösungsvorschlag: „So könnte es besser gelingen, ich zeige Ihnen mal, wie ich es mache.“. Oder man erörtert gemeinsam möglicherweise bessere Wege: „Welche Ideen haben Sie, wie Sie es noch machen könnten?“ „Was könnten Sie stattdessen mal probieren?“ „Wen könnten wir/Sie diesbezüglich noch fragen?“
  • Kritik ist konstruktiv, wenn sie auch Unterstützung anbietet: „Was kann ich tun, um Sie dabei zu unterstützen?“„Wie kann ich Ihnen helfen, dass Sie dabei sicherer werden?“ „Was brauchen Sie von mir, den Kollegen, etc. an Unterstützung?“

Als Mitarbeiter sollte man umgekehrt Kritik als Chance sehen (ich kann besser werden) und auch aktiv einfordern (Feed Back). Eingeforderte Kritik wird von Vornherein als weniger verletzend wahrgenommen als unerwartete Kritik – selbst wenn sie doch mal eher destruktiv formuliert ist.

Tierärztin Johanna Kersebohm (rechts) präsentierte Teilergebnisse ihrer Dissertation zum Einstieg in den Workshop. Gemeinsam wurde dann erarbeitet, wie ein Vorgesetzter Wertschätzung oder Geringschätzung ausdrücken kann. Moderatorin Dr. Carolin Deiner hatte sich zur Begleitung der Diskussionen Dr. Gudrun Hagmayer, Dr. Stephanie Steimann, Dr. Elisabeth Brandebusemeyer, Dr. Henrik Hofmann und Dr. Marc Dilly eingeladen. (Foto: © Deiner)

„Da mussten wir alle durch“ – Generationswandel anerkennen

Der tierärztliche Nachwuchs muss in vielen Bereichen mit Wandel umgehen: Medizinfortschritt, Kundenkommunikation, Social Media, Stellung des Tierarztes in der Gesellschaft, Globalisierung des Wissens, all dass sind Stichworte.

  • Dass ein Generationswandel in der Tierärzteschaft stattgefunden hat, zeigt sich auch in einer gewandelten Einstellung zur Arbeitszeit: Akzeptable Wochenarbeitszeiten sowie Nacht-, Not- und Wochenenddienste im erträglichen Rahmen gehören ebenso zur Work-Life-Balance wie eine der Arbeitszeit angemessene Vergütung. Es gibt eine klare Erwartung, dass Überstunden auch bezahlt werden.
  • Dass Vorgesetzte diesen Wandel nicht akzeptieren oder anerkennen, zeigt sich beispielsweise an Sätzen wie: „Das war früher auch nicht anders.“ „Da mussten wir alle durch“. Oder „60 Stunden pro Woche waren bei uns auch ganz normal“.

Vorgesetzte sollten versuchen, die veränderte Mentalität und den veränderten Lebensstandard als Ausdruck der allgemeinen Gesellschaftsentwicklung zu sehen und nicht als „rein tierärztliches“ oder „persönliches Problem“ der Angestellten. Hilfreich wäre es, den Wunsch nach einer Work-Life-Balance anzuerkennen und vielleicht sogar zu begrüßen: „Finde ich gut, dass Ihr mehr Zeit für die Familie haben wollt. Wir haben viel zu viel Privatleben geopfert.“

Umgekehrt sollten Mitarbeiter versuchen, das Lebensgefühl ihrer Generation verständlich und transparent zu machen: „Mir ist mein Beruf schon wichtig, aber mir ist auch wichtig, dass…“ Eine mögliche Reaktion auf „Früher“-Sätze könnte sein, den Vorgesetzten zu fragen, wie das „damals“ war und wie es sich für ihn selbst angefühlt hat – in der Hoffnung, dass im Dialog deutlich wird, dass es auch schon „damals“ nicht gut war, wenn man nur für den Beruf gelebt und kaum Freizeit hatte.

Als Fazit kann vielleicht die folgende Erkenntnis dienen:

Aus Sicht des Arbeitnehmers bedarf es keiner großen Gesten vom Vorgesetzten, um sich als Mitarbeiter wertgeschätzt zu fühlen  Es reicht bereits ein „normales“, verständnisvolles und respektvolles Auftreten des Chefs.

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