Tiermedizin: Deutlich weniger „Reserveantibiotika“

Für die politische Debatte wichtig: Der Rückgang bei den "Reserveantibiotika" und den strittigen Antibiotikaklassen der Tiermedizin. (Tabelle: © QS / Hervorhebungen WiSiTiA)

Minus 11,4 Prozent beim Antibiotikaeinsatz insgesamt und Minus 20 Prozent bei den sogenannten „Reserveantibiotika“: Auch 2016 ist der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung deutlich gesunken, meldet das privatwirtschaftliche QS-Antibiotikamonitoringsystem. Trotzdem steht die Regulierung der „Reserveantibiotika“ für die Tiermedizin weiter auf der politischen Agenda.

von Jörg Held

Tierhalter und Tierärzte reduzieren den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung kontinuierlich und  deutlich: Für die Geflügel und Schweine haltenden Betriebe legt QS jetzt die Zahlen für 2016 vor. Demnach setzen Tierärzte nur noch 1,1 Prozent „Reserveantibiotika“ in QS-Nutztierhaltungen ein:

  • Insgesamt sank die Menge aller in QS-Betrieben eingesetzten Antibiotika von 548 t (2015) um 62 Tonnen auf 486 t (2016) – ein Minus von 11,4 Prozent.

Größer war der Rückgang bei den sogenannten „Reserveantibiotika“. Hier geht es insbesondere um folgende, als besonders wichtig geltende Wirkstoffklassen:

  • Fluorchinolone: Hier steht für 2016 ein Minus von 20,6 Prozent gegenüber 2015 –  das entspricht 4.830 statt 6.080 Kilogramm.
  • Cephalosporine der 3.und 4. Generation: Hier steht für 2016 ein Minus von 16,8 Prozent gegenüber 2015 –  das entspricht 410 statt 490 Kilogramm.
Für die politische Debatte wichtig: Der Rückgang bei den "Reserveantibiotika" (rot) und den strittigen Antibiotikaklassen der Tiermedizin. (Tabelle: © QS / Hervorhebungen WiSiTiA)

Für die politische Debatte wichtig: Der Rückgang bei den „Reserveantibiotika“ und den strittigen (mehr siehe unten) Antibiotikaklassen der Tiermedizin. (Tabelle: © QS / Hervorhebungen WiSiTiA)

Streitpunkt „Reserveantibiotika“

Der politische Streit entzündet sich immer wieder an den für Menschen als von besonderer Bedeutung eingestuften Wirkstoffen – international als Highest Priority Critically Important und in Deutschland als „Reserveantibiotika“ bezeichnet.
Den Tierärzten wird vorgeworfen, den großen Mengenrückgang insgesamt durch einen Umstieg auf diese kritischen Wirkstoffe zu erkaufen. Diese werden – was die Menge angeht – deutlich geringer dosiert und würden so mit weniger „Tonnen“ in die Berechnung eingehen obwohl sie die bis zu 30-fache Menge klassischerWirkstoffe ersetzen könnten.
Die Daten der letzten Jahre zeigen eine andere Entwicklung. Auch die enge der kritischen Wirkstoffe sind stetig. Allerdings ist – betrachtet man insbesondere die staatlichen(!) Zahlen (Tabelle siehe unten) – bei den Fluorchinolonen das Niveau von 2011 noch nicht wieder ganz erreicht. Das gilt auch für die 3. Generation Cephalosporine.

EU-Reduzierungsvorgaben für Colistin

Zwei weitere Wirkstoffklassen werden aktuell kritisch diskutiert: Makrolide und Colistin. So werfen die Landwirtschaftskritiker von Germanwatch dem Bundeslandwirtschaftsminister vor, diese nicht wie international üblich als „Reserveantibiotika“ einzustufen. Doch auch bei diesen beiden Gruppen sind klare Rückgänge im Einsatz bei Nutztieren zu erkennen (siehe Tabellen).

  • Makrolide: Sie fallen auf EU-Ebene in die Kategorie Highest Priority Critically Important, werden aber in der anstehenden Novellierung der tierärztlichen Hausapothekenverordnung vom Bundeslandwirtschaftsministerium nicht mit den gleichen strengen Regulierungsauflagen belegt, wie die Cephalosporine (3./4.G) und Fluorchinolone.
  • Colistin (Polypeptid-Antibiotika): Das über 60 Jahre alte Antibiotikum Colistin entwickelt sich in der Humanmedizin trotz starker Nebenwirkungen zu einem Notfallmedikament. Deshalb hat die EU auch für diesen Wirkstoff Reduzierungsvorgaben erlassen. Deutschland soll bis 2017 die eingesetzte Menge auf 60 Tonnen reduziert haben (mehr Informationen hier). In den QS-Zahlen ist die Zielvorgabe bereits erreicht (41.07 t / 2016); bei den staatlichen Zahlen (81 t / 2015) aber noch nicht.

Insgesamt aber geht auch bei diesen beiden Wirkstoffklassen der Einsatz deutlich zurück – in beiden Mengenerfassungssystemen (siehe Tabellen).

Mengenunterschiede zwischen staatlicher und privater Erfassung – warum?

Was erfasst QS?
Seit 2012 wird im QS-System der Einsatz von Antibiotika in Geflügel, Schweine sowie Mastkälber haltenden Betrieben quartalsweise erfasst (Therapieindex). Rückwirkend bis 2014 weist QS inzwischen zusätzlich auch die eingesetzte Menge in Tonnen aus. Erfassung und Auswertung sind inzwischen gut etabliert, so dass QS die Zahlen kurzfristig nach Quartalsende vorlegen kann.
Tierhalter und Tierärzte können anhand der QS-Zahlen die im eigenen Betrieb eingesetzten Antibiotika mit dem Einsatz anderer Tierhalter gleicher Nutzungsart vergleichen. Zusätzlich erstellt QS für jeden Betrieb eine extra Auswertung zu den kritischen Wirkstoffen. Durch dieses „Benchmarking“ können die Betriebe Verbesserungspotential sehr zeitnah erkennen. Sie scheinen dies auch zu nutzen, das zeigen die Rückgänge.

Ähnlicher Trend für DIMDI-Zahlen des BVL erwartet

Was erfasst der Staat?
Die vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) seit 2011 jährlich veröffentlichten, sogenannten DIMDI-Zahlen (nächster Termin August 2017 für das Jahr 2016), erfasst die Menge aller von Pharmafirmen an Tierärzte abgegebenen Antibiotika (auch für Milchkühe, Pferde und Kleintiere). Diese Mengen werden bis auf Ebene der Postleitzahlgebieten aufgeschlüsselt. Es ist also eine reine Mengenbilanz ohne einzelbetriebliche Auswertungsmöglichkeit.
Deshalb sind die absoluten Tonnenzahlen der QS-Mengenangaben nicht 1:1  mit der staatlichen Antibiotika-Mengenbilanzierung vergleichbar.

Mehr zum Unterschied der Erfassungssysteme lesen Sie hier

Entwicklung des bei den Antibiotika in der staatlichen Abgabemengenerfassung. (Tabelle: © BVL / Stand 2015 - Daten 2016 werden erst 2017 veröffentlicht)

Entwicklung des bei den Antibiotika in der staatlichen Abgabemengenerfassung. (Tabelle: © BVL / Stand 2015 – Daten 2016 werden erst 2017 veröffentlicht)

Dennoch sind die QS-Daten ein verlässlicher Frühindikator, dass Tierärzte insgesamt jedes Jahr deutlich weniger Antibiotika einsetzen. Dies werde sich auch in den staatlichen Zahlen für 2016 widerspiegeln, prognostiziert QS auf Basis der eigenen Daten.
Die staatlichen DIMDI-Zahlen sanken bislang ebenfalls kontinuierlich von 1.706 Tonnen im Jahr 2011 auf zuletzt 805 Tonnen in 2015. Das ist eine Halbierung binnen fünf Jahren (Minus 51 Prozent).

Quellen:
im Artikel verlinkt

QS-Pressemeldung zu Antibiotikamengen 2016 (24.1.2017 – als PDF-Download hier)

(Text redaktionell überarbeitet / Daten unverändert 27.1.2017)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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