Hochlaktation: 24 Stunden Melkpause ist Tierqual

Verhaltensstörungen und Euterödeme sind Folgen, zu langer Melkpausen. (Foto: © 4028mdk09 / common license)

Prachtvoll gefüllte Euter sind ein wichtiger Signalgeber bei Tierschauen. Doch für die Tiere können sie Schmerz bedeuten. Tierschützer üben heftige Kritik. 


(aw) – Eine einmalige Verlängerung des Melkintervalls auf 24 Stunden beeinträchtigt Gesundheit und Wohlbefinden von HF-Kühen in der Hochlaktation deutlich. Wiederholt man die 24-Stunden-Melkpause in der Mitte der Laktation, zeigten die Kühe keine Auffälligkeiten. Zu diesem Ergebnis kommen Philipp Kohler und seine Kollegen von der Vetsuisse Uni Bern (Schweiz) und der University of Illinois (USA) nachdem sie entsprechende Untersuchungen an 15 HF-Kühen durchgeführt haben.
Anlass der Studie war die Beobachtung, dass bei Tierschauen mit kompetitivem Charakter zum Zeitpunkt der Prämierung einzelne Kühe mit so stark angefülltem Euter vorgeführt wurden, dass es zu Beanstandungen seitens der Richter und Ausstellungstierärzte kam.

Medienkritik an Melkstopp vor Ausstellung

In der Schweiz haben Medien das Thema bereits mehrfach kritisch aufgegriffen: Kühe würden bewusst nicht gemolken, um pralle Euter zu erreichen. Das führt zu Schmerzen, Kühe können kaum mehr gehen. Sie staksen und versuchen, ihre prallvollen Euter zu entlasten. Ein „Ehrenkodex für das Bereitstellen und die Auffuhr von Tieren an Milchviehausstellungen in der Schweiz“ verbietet zwar „lange Zwischenmelkzeiten, welche das Wohlbefinden der Tiere beeinträchtigen“. Doch es gab bislang keine Untersuchungen, ab welchem Euterfüllungsgrad das Wohlbefinden einer Kuh beeinträchtigt ist.

Belegt: Verhaltensauffälligkeiten und Euterödeme

Verhaltensstörungen und Euterödeme sind Folgen, zu langer Melkpausen. (Foto: © 4028mdk09 / common license)

Verhaltensstörungen und Euterödeme sind Folgen, zu langer Melkpausen. (Foto: © 4028mdk09 / common license)

Zunächst untersuchte Kohler 15 frisch-laktierende HF-Kühe, die 24 Stunden nicht gemolken wurden. Ab der 18. Stunde nach dem letzten Melken veränderte sich das Verhalten der Tiere auffällig. Sie nahmen weniger Futter auf, verbrachten mehr Zeit mit Wiederkauen, spreizten die Hinterbeine beim Gehen ab, standen länger und verlagerten mehr Gewicht auf die Hinterbeine. Die letztgenannten Beobachtungen konnten mit der zunehmenden Euterspannung/-verhärtung aufgrund des nicht vorhandenen Milchentzugs in Verbindung gebracht werden. Am Ende der 24-Stunden ließen sämtliche Kühe „die Milch laufen“ und zehn der 15 Tiere hatten ein subkutanes Euterödem ausgebildet. Darüber hinaus waren die Zellzahlen zwischen zwölf und 72 Stunden nach dem verlängerten Melkintervall signifikant erhöht. Aus ihren Ergebnissen folgern die Wissenschaftler, dass selbst ein einmalig verlängertes Melkintervall die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kühe beeinträchtigt.

Versuchswiederholung: Keine Abweichung

Zehn der untersuchten Kühe wurden in der Mitte der Laktation erneut einem Versuch unterzogen, also wieder 24 Stunden nicht gemolken. In dieser Phase zeigten die Kühe keine Auffälligkeiten gegenüber regelmäßig gemolkenen Tieren. Weder das Fress- und Wiederkauverhalten noch der Gang der Kühe unterschied sich signifikant von den Kontrolltieren. Auch die Ausbildung von Ödemen war nicht signifikant erhöht.

wir-sind-tierarzt.de meint:

(aw) – Die Studie wirft für mich die Frage auf, wie tierschutzgerecht eigentlich Melkroboter sind. Immer wieder kommt es zu Störungen an den Geräten, die nicht schnell behoben werden können und die dann zu deutlich verlängerten Melkintervallen führen.

Quellen:
Studie: Auswirkung einmalig um 24 verlängerter Melkzeit
Projekt des Schweizer Bundesamtes für Veterinärwesen und Lebenmittelsicherheit
Schweizer Tierschutz überprüft Viehausstellungen (Startseite)
Schweizer Fernsehen berichtet über Missstände und Reaktion der Verbände

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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