G20-Gipfel: Antibiotikaresistenzen evidenzbasiert bekämpfen

„Überschaubar“ seien die konkreten Ergebnisse des G20-Gipfels in China kommentieren Medien. Der Beschlusspunkt 46 „Antibiotikaresistenzen“ kommt bei ihnen fast gar nicht vor. Dabei fallen hier zwei wichtige Worte: „Evidenzbasiert“ und „verantwortungsvoll“ soll der Antibiotikaeinsatz weltweit sein – ohne Unterscheidung zwischen Tier- und Humanmedizin. Eine zu lasche Forderung?

 von Jörg Held

Dass die Regierungschefs der 20 größten Industrienationen das Thema „Antibiotikaresistenz“ auf einem Wirtschaftsgipfel überhaupt beraten, liegt an der Bewertung: Es sei sowohl eine „ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Gesundheit“, als auch eine ernste Gefahr für die globale wirtschaftliche Stabilität.
Deshalb erwarten die G20 von gleich vier globalen Organisationen – darunter der Weltgesundheits- (WHO, für die Humanmedizin) und der Welttiergesundheitsorganisation (OIE, für die Tiermedizin)  –, dass sie sich des Themas annehmen und bis 2017 einen Bericht über Maßnahmen zur Resistenzminimierung vorlegen. Auch die UN-Generalversammlung wird sich damit befassen (vollständiger Wortlaut des G20-Beschlusses am Artikelende).

Wichtig für Tierärzte: G20 fordern „evidenzbasierte“ Massnahmen

Konkrete Vorgaben zur Resistenzminimierung macht der Gipfel nicht. Aber – und das ist für die Tiermedizin wichtig, die vielfach mit populistischen Antibiotikaverbotsforderungen attackiert wird – die 20 Regierungschefs setzen auf „evidenzbasierte Wege“, um Resistenzen abzuschwächen, zu verhindern und zu bekämpfen. Zugleich wollen sie den „verantwortungsvollen Einsatz“ von Antibiotika „fördern“.
„Evidenzbasiert“ bedeutet, dass (Tier)Mediziner und Wissenschaft aktiv in die Ausgestaltung dieser Maßnahmen eingebunden werden und es kein politischer Aktionismus werden soll.

Zugang zu Antibiotika regulieren?

Allerdings sehen die G20 beim „Zugang zu Antibiotika“ auch „enorme Herausforderungen“ mit Blick auf die „Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit“.
Das kann als Aufforderung verstanden werden, den Zugang strenger zu regulieren. Im positiven Sinne wäre das eine Verschreibungspflicht von Antibiotika durch (Tier)Mediziner oder zumindest ein kontrolliertere Abgabe – die in vielen Teilen der Welt bei weitem noch nicht üblich ist.
Im – aus Tierarztsicht – kritischen Sinne, eröffnet die Formulierung Möglichkeiten für Anwendungseinschränkungen. Solange diese wiederum „evidenzbasiert“, also wissenschaftlich belegt erfolgen, werden (Tier)Ärzte das unterstützen.
Zugleich sollen Antibiotika „erschwinglich“ bleiben und die Welternährungsorganisation (FAO) ist in den Prozeß eingebunden. Das bedeutet, ein „verantwortungsvoller“ Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin wird weltweit auch als Teil der Nahrungsmittelproduktion verstanden: Nur gesunde Tiere liefern gesunde Lebensmittel.

Der Debatte über die Maßnahmen zur Resistenzminimierung auf dem nächsten G20-Treffen sieht der aktuelle Gipfel laut Beschluss „erwartungsvoll entgegen“ – was impliziert: Man erwartet konkrete Vorschläge. Den Vorsitz und damit die Verantwortung für die Vorbereitung hat dann Deutschland. 

wir-sind-tierarzt.de meint:

(jh) Eindeutig klar ist: Das Thema „Resistenzen“ hat sich nach dem G7-Gipfel in Elmau jetzt mit dem G20-Beschluss von Hangzhou und der laufenden UN-Generalversammlung in New York endgültig einen Platz ganz oben auf der weltweiten politischen Tagesordnung erobert.

Dabei sind Gipfelbeschlüsse – das liegt in der Natur politischer Verhandlungen – komplex, um nicht zu sagen umständlich formuliert. Im „Kommuniqué“ soll sich gesichtswahrend jeder wiederfinden können und dennoch soll es eine Wirkung entfalten. Ich finde: Aus diesem Beschluss lässt sich da durchaus einiges herauslesen (siehe oben).

Zum Beispiel auch, dass beim Thema Minimierung antimikrobieller Resistenzen (AMR) die Tiermedizin in Deutschland und (weiten Teilen) Europa(s) gar nicht mehr der Hauptadressat für Massnahmen ist. Der Fokus der globalen Politik muss und wird angesichts weltumspannender Handels- und Reiseströme – und damit auch der weltweiten Resistenzverbreitung – auf Asien, Afrika (Beispiel) und Lateinamerika liegen. Nach dem Paretoprinzip – bei dem 80 % der Ergebnisse mit 20 % des Gesamtaufwandes erreicht werden – sind dort in Human- und Tiermedizin die wirklich großen AMR-Minimierungsfortschritte möglich.

Deutschland hat jetzt noch einen Antibiotikeinsatz von rund 800 Tonnen bei Tieren. Weltweit werden in der Tierhaltung zwischen 63.000 und 240.000 Tonnen Antibiotika eingesetzt. Schon die Zahlenunschärfe zeigt, wo der echte Handlungsbedarf besteht.
Die Aufgabe, neue antibiotische Wirkstoffe oder gleichwertige Alternativen zu entwickeln, liegt wiederum primär bei den Industrieländern.

Hierzulande wird der G20-Beschluss deshalb vielen „viel zu wenig“ sein. Global gesehen ist er es keineswegs.

G20-Antibiotikaresistenz-Beschluss im Wortlaut

46. Antibiotikaresistenzen stellen eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit, das Wirtschaftswachstum und die Stabilität der Weltwirtschaft dar.
Wir bekräftigen, dass es notwendig ist, unter Einbeziehung aller Beteiligten Möglichkeiten zu finden, Antibiotikaresistenzen durch die Entwicklung evidenzbasierter Wege zur Verhinderung und Abschwächung von Resistenzen zu bekämpfen, und aus einer mehrwertbegründeten Perspektive der G20 heraus Forschung und Entwicklung im Hinblick auf neue und bestehende antimikrobielle Substanzen zu mobilisieren, und wir rufen die Weltgesundheitsorganisation* (WHO), die Welternährungsorganisation (FAO), die Welttiergesundheitsorganisation (OIE) und Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf, 2017 gemeinsam über die Möglichkeiten zu berichten, dieses Thema anzugehen, was auch die wirtschaftlichen Aspekte umfasst.
In diesem Zusammenhang werden wir den verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika fördern und die enormen Herausforderungen im Hinblick auf die Erschwinglichkeit von Antibiotika, den Zugang zu ihnen und ihre Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit berücksichtigen.
Wir unterstützen die Arbeit von WHO, FAO und OIE mit Nachdruck und sehen einem erfolgreichen hochrangigen Treffen zum Thema Antibiotikaresistenzen im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen erwartungsvoll entgegen.
Wir sehen der Debatte zum Umgang mit diesen Themen im Rahmen des nächsten Vorsitzes erwartungsvoll entgegen.

(*vollständige Organisationsnamen von der Redaktion eingefügt)

 

Im Wortlaut: Beschluss der G20-Staaten zu "Antimikrobiellen Resistenzen". (Quelle: EU)

Im Wortlaut: Beschluss der G20-Staaten zu „Antimikrobiellen Resistenzen“. (Quelle: EU)

Quellen:
G20 Kommuniqué der Staats- und Regierungschefs – Arbeitsübersetzung der Bundesregierung (TOP 46 /Seite 12 – PDF-Download)
G20 Leaders’ Communique Hangzhou Summit – Pressemeldung der EU-Kommission (englisch)
weitere Quellen direkt im Text verlinkt

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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