Ethik-Kodex der Tierärzteschaft: Kein Kochbuch für moralische Entscheidungen

Zu anspruchsvoll oder zu wenig konkret? Beim Ethik-Kodex der Tierärzteschaft muss sich die von Prof. Thomas Blaha geleitete BTK-Arbeitsgruppe mit Kritik von vielen Seiten auseinandersetzen. (Foto: © WiSiTiA/jh)

Gibt es eine Würde des Tieres und wie ist diese zu schützen? Welche Rolle haben Tierärzte dabei? Seit einem knappen Jahr gibt es einen Ethik-Kodex der deutschen Tierärzte, der Orientierung bietet. Jetzt hat die Bundestierärztkammer „Empfehlungen“ beschlossen, wie der Kodex in sieben Berufsfeldern umgesetzt werden kann. Ein Kochbuch für moralische Entscheidungen aber sind auch diese Empfehlungen nicht.

von Jörg Held

Er ist umstritten, der Ethik-Kodex der deutschen Tierärzteschaft, den der Deutsche Tierärztetag 2015 beschlossen hat (Wortlaut hier).
Die einen fürchten, angesichts der vielfältigen und zum Teil sehr emotional ausgetragenen gesellschaftlichen Konflikte etwa rund um die (Nutz)Tierhaltung oder auch das Tierversuchsthema, dass er zu hohe Maßstäbe anlegt. Die könnten Tierärzte im Alltag – auch unter wirtschaftlichem Druck – womöglich nicht erfüllen.
Doch „Tierärzte sollen durchaus daran gemessen werden (können),“ erwidert Professor Dr. Thomas Blaha, der die Ethik-Arbeitsgruppe der Bundestierärztekammer leitet. Der Ethik-Kodex sei zwar keine rechtliche Verpflichtung und seine Einhaltung könne auch nicht eingefordert werden, aber „er ist auch eine Botschaft nach außen in die Gesellschaft – und das ist gewollt“.

Kritiker: Kodex und Empfehlungen zu wenig konkret

Die anderen wiederum empfinden den Kodex und insbesondere die jetzt beschlossenen „Empfehlungen zur Umsetzung“ als zu wenig konkret, zum Teil auch als zu wenig anspruchsvoll. Ihnen wiederum hält Blaha entgegen: „Weder Ethik-Kodex, noch die ergänzenden Umsetzungsempfehlungen sind ein Kochbuch für moralische Entscheidungen.“ Oder – wie es Albert Schweitzer formulierte“ – „es gibt keine Ausführungsbestimmungen für die Ehrfurcht vor dem Leben.“ Auch sei der Ethik-Kodex für die Tierärzteschaft weit mehr als ein „Tierschutz-Kodex“, denn der öffentliche Auftrag an die Tierärzte ist deutlich weiter gefasst.

Für beide Seiten gelte: Menschen halten Regeln eben nicht nur ein, weil es Vorgaben und (möglicherweise) Strafen gebe, sondern weil sie eine moralische Überzeugung haben. Mit dem Ethik-Kodex versucht die Tierärzteschaft diese Überzeugungen zu formulieren – geht dabei auch bewußt über gesetzliche Standards hinaus, erkennt aber ebenso Zielkonflikte an und verurteilt nicht.

Präambel des Ehtik-Kodexes der Deutschen Tierärzte. (© BTK)

Präambel des Ehtik-Kodexes der Deutschen Tierärzte. (© BTK)

Empfehlungen als Orientierungshilfe

Wie diese Ziele des moralischen Handelns im tierärztlichen Berufsalltag erreicht werden kann, dazu wollen die jetzt beschlossenen „Empfehlungen zur Umsetzung des Ethik-Kodex“ eine Hilfestellung geben. Sie adressieren in sieben Kapiteln jeweils ganz konkret einen Teil des Berufsstandes. Die „Empfehlungen“ verstehen sich als „wichtige Konkretisierungen der ethischen Selbstverpflichtung“ und richten sich dazu an:

  • Tierärzte, die Haus- und Heimtiere betreuen
  • Tierärzte in der Lebensmittelkette
    In diesem Feld bestehen – weil es auch die gesellschaftlich heftig umstrittene landwirtschaftliche Nutztierhaltung betrifft – aktuelle wohl die größten Konflikte zwischen den Interessen der Produzenten und Verbraucher und den Schutzansprüchen der Tiere. Ziel müsse es sein, „Lebensmittelsicherheit bei höchstmöglichem Wohlbefinden der Tiere zu garantieren“.
  • Tierärzte die Tiertransporte überwachen
    Hier hat die Bundestierärztekammer vor wenigen Tagen eine klare Position zu Langstrecke-Tiertransporten bezogen, die zum Teil unter unerträglichen Bedingungen erfolgen.
  • Tierärzte, die Tiere beim Sport, in Wettbewerben und Veranstaltungen betreuen
  • Tierärzte, die Tiere in Wildtierhaltungen, Zoos und Zirkusbetrieben betreuen
    Ebenfalls aktuell liegt eine Stellungnahme der BTK zur Haltung von Tieren im Zirkus vor.
  • Tierärztinnen und Tierärzte, die Tiere im Erziehungs-, Gesundheits-, Sozial- und Ordnungswesen betreuen
  • Tierärzte, die an Tierversuchen beteiligt sind

„Der normative Charakter des Kodex hängt davon ab, wie die Tierärzteschaft ihn annimmt,“ hält Blaha fest. Rechtlich sind weder Kodex noch Empfehlungen einzufordern. Die Wirkung entstehe erst dann, wenn die Tierärzteschaft beides – Kodex und Empfehlungen – lese, übernehme und mit Leben fülle. Der Ethik-Kodex sei dabei keine Gängelung, zitiert Blaha Rousseau und Kant:

„Sich selbst Regeln zu geben und diese auch einzuhalten, ist ein sehr viel höherwertiger Grad der Freiheit, als … zu tun was immer man möchte.“ 

Warum hat sich der Berufsstand einen Ethik-Kodex gegeben

Der Ethik-Kodex der Tierärzteschaft – so formuliert es die Präambel – „legt in Achtung der Würde der Tiere und in Verantwortung gegenüber der Gesellschaft die Selbstverpflichtungen der Tierärztinnen und Tierärzte zum ethisch richtigen Handeln dar“.
Jeder Mensch habe eine Verantwortung gegenüber dem Tier (auch ein Nichttierhalter), erläuterte Prof. Blaha: „Tierärzte wiederum haben eine besondere Verantwortung“.

Der Ethik-Kodex der Tierärzteschaft formuliere deutlich – auch wenn die Würde des Tieres in Deutschland anders als etwa in der Schweiz – nicht gesetzlich anerkannt sei, das Tiere einen intrinsischen Wert haben. „Ihnen müssen und werden Bedürfnisse und moralische Interessen zugestanden. Deren Einschränkung ist rechtfertigungspflichtig.“

Aber: Diese Würde der Tiere sei auch nicht 1:1 mit der im Grundgesetz verankerten Würde des Menschen vergleichbar.

Eindeutige Beschlusslage

Bei nur fünf Gegenstimmen und fünf Enthaltungen haben die 61 Vertreter aus 17 Landestierärztekammern auf der Herbstdelegiertenversammlung der Bundestierärztekammer 2016 mit großer Mehrheit die neuen „Empfehlungen zur Umsetzung des Ethik-Kodex“ beschlossen.
Die Delegierten der Tierärztekammer Berlin stimmten geschlossen dagegen, da sie wiederum von ihrer Delegiertenversammlung beauftragt waren, konkretere Handlungsempfehlungen einzufordern.

Kontinuierliche Weiterentwicklung

Dabei gilt: Die jetzt verabschiedeten „Empfehlungen zum Ethik-Kodex“ sind nicht unveränderlich. Der Kodex selbst kann, weil vom höchsten Gremium der Deutschen Tierärzteschaft, dem alle drei Jahre tagenden Deutschen Tierärztetag beschlossen, auch nur von diesem geändert werden. Änderungsvorschläge zur Weiterentwicklung der „Empfehlungen“ kann aber jeder Tierarzt bei der Bundestierärztekammer jederzeit einreichen. Die Tierärzteschaft hat bewußt zwischen „Ethik-Kodex“ und „Umsetzungsempfehlungen“ unterschieden, da sich gesellschaftliche Werte und Moralvorstellungen ändern. Die „Ethik-Empfehlungen“ können so von der zweimal jährlich tagenden BTK-Delegiertenversammlung fortgeschrieben werden – und damit auf gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen reagieren.

Quellen:
Ethik-Kodex der Deutschen Tierärzteschaft (PDF-Download) – beschlossen auf dem Deutschen Tierärztetag 2015 in Bamberg
Empfehlungen zum Ethik-Kodex (PDF-Download – Stand September 2016)

Weiterführende Links:
Ethische Grundsätze der Schweizer Tierärzteschaft (PDF-Download)
„Ethischer Werkzeugkasten“ für Amtstierärzte – wir-sind-tierarzt-Bericht oder direkter PDF-Download

Aktualisierung (12/2016):
Das Messerli-Institut hat den „Wegweiser Ethik in der amtstierärztlichen Praxis“ inzwischen als Buch heraus gebracht (Bezugsquelle hier). Deshalb können wir die PDF hier nicht mehr zum Download anbieten. Die Links wurden deaktiviert.

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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