Weideschlachtung: Tierschutz unter freiem Himmel

Weideschlachtung ist in Deutschland möglich – wenn man vorher mit dem Veterinäramt die Auflagen abklärt.Weideschlachtung ist in Deutschland möglich – wenn man vorher mit dem Veterinäramt die Auflagen abklärt. (Foto: © Veterinäramt Wetteraukreis)

Die Weideschlachtung ist in Deutschland inzwischen vielerorts „Tagesgeschäft“ – wenn man die Auflagen erfüllt. Auch die Schweiz hat trotz Protesten jetzt eine erste rechtskräftige „Bewilligung“ erteilt. In Österreich bleibt sie vorerst verboten. Wo liegt das Problem?

von Henrik Hofmann

Vor allem für Biobauern ist die Weideschlachtung eine logische Konsequenz, denn mehr Tierschutz sei bei der Schlachtung kaum möglich. Doch bis zum regulären Verfahren mit (EU-)Zulassung ist es noch ein Stück Weg. Der Schweizer Biobauer Nils Müller hat jetzt nach einem Jahr Auseinandersetzung mit Protesten eine Genehmigung zur Weideschlachtung erreicht – wenn auch zeitlich auf ein Jahr befristet.
Für ihn gibt es keine bessere Methode als die Weideschlachtung: Die Tiere seien in der gewohnten Umgebung dabei keinerlei Stress ausgesetzt. Er betäubt seine Tiere mit einem Kopfschuss auf der Weide. Damit diese möglichst wenig leiden und für die perfekte Fleischqualität, sagt der ehemalige Vegetarier.

Während es in der Schweiz und auch in Österreich noch Widerstand gibt, ist in Deutschland eine Weideschlachtung unter bestimmten Auflagen möglich. Das Problem ist, dass es in Deutschland, der Schweiz und Österreich – eine Reihe konkreter Vorschriften zu Betäubung, Schlachtung sowie dem Transport toter Tiere, etc. gibt (Details siehe unten). Sie sollen vor allem dem Tierschutz und der Schlacht- und Fleischhygiene dienen, indem sie unkontrollierte Schlachtungen verhindern. Eine Weideschlachtung mit Kugelschuss gerät damit formal in Konflikt. Doch in Deutschland ist sie inzwischen für Weiderinderhaltungen in der Tierschutzschlachtverodnung erlaubt – unter Auflagen (siehe auch Video am Textende).

Weideschlachtung nur mit Auflagen

Amtstierärztin Dr. Veronika Ibrahim

Amtstierärztin Dr. Veronika Ibrahim setzt sich für die Weideschlachtung ein. (Foto: © privat)

„Offiziell“, so sagt die Amtstierärztin Dr. Veronika Ibrahim vom hessischen Wetteraukreis, „gibt es in Deutschland nur eine Weideschlachtgenehmigung mit vorheriger Kugelschussbetäubung, wenn die Tiere ganzjährig auf der Weide gehalten werden und der Halter den Antrag entsprechend begründet.“ Für die Tiere sei eine Weideschlachtung aber wirklich besser, sagt Kollegin Ibrahim. Und sie weiß, wovon sie spricht:
„Wir haben mehrfach solche Schlachtungen bei extensiven Haltungen begleitet und auch dokumentiert. Die Schlachttiere sind ruhig und auch die Herde wird durch den Schuss kaum aus der Ruhe gebracht.“ Das Gegenteil sehe man sofort nach der Schlachtung. „Waren die Tiere beim Schuss noch ruhig und schnupperten neugierig am geschossenen Rind, werden sie nervös, sobald sich Menschen zeigen und zum geschossenen Rind laufen (siehe Bildergalerie). Würde man die Tiere aus der Herde fangen und abtransportieren, würde die Fleischqualität leiden und natürlich auch die Tiere durch den Transportstress erheblich leiden.“

Technische Hürden

Technisch gilt es aber noch Hürden zu überwinden. Ibrahim: „Die Tiere müssen auf der Weide entblutet werden, das Blut muss man mit geeigneten Behältern auffangen. Dann muss der Tierkörper innerhalb von sechzig Minuten ausgeschlachtet werden. Um das professionell in einem Schlachtbetrieb zu machen, sind die Metzgereien und Schlachthöfe aber oft zu weit weg oder technisch nicht darauf eingestellt. Bei realistischer Planung darf die reine Fahrtzeit maximal 30 Minuten betragen.“
Vor allem Ökoverbände haben Interesse daran, die aufgezeigten Probleme zu lösen. Ziel ist es, „hofnahe Schlachtungen“ auch mit Bolzenschussbetäubung in geeigneten mobilen Schlachteinheiten rechtlich zu ermöglichen. Im Herbst sind in Hessen erste Veranstaltungen dazu geplant.

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Juristisch steht die Weideschlachtung mit einer Reihe von unterschiedlichen Bereichen im Konflikt, bzw. wird auch durch sie ermöglicht. Im Einzelnen sind das:

Das Tierschutzrecht

  • Verordnung (EG) Nr.1099/2009: Art. 4 in Verbindung mit Anh. I Kap. I Tab. 1 Nr. 3
  • Tierschutzgesetz: §§ 4 und 4a: Betäubungsgebot
  • Tierschutzschlachtverordnung: § 12. Der regelt (unter Bezug auf die EU-Verordnung) in Verbindung mit Anlage 1 Nr. 2 zu das Betäubungs- und Tötungsverfahren. Der Kugelschuss ist u.a. auch für das Rind aufgeführt mit der Einschränkung „nur zur Nottötung sowie mit Einwilligung der zuständigen Behörde, zur Betäubung oder Tötung von Rindern, die ganzjährig im Freien gehalten werden. Der Kugelschuss ist so auf den Kopf des Tieres abzugeben und das Projektil muss über ein solches Kaliber und eine solche Auftreffenergie verfügen, dass das Tier sofort betäubt und getötet wird.

Das Lebensmittelrecht

  • Verordnung (EG) Nr. 853/2004 – nach Anhang III Abschnitt I Kapitel IV Nummer 2 Buchstabe b dieser Verordnung dürfen lediglich lebende Tiere in eine Schlachtanlage verbracht werden.
  • Anwesenheitspflicht des amtlichen Tierarztes bei der Schlachtung und Entblutung vorgeschrieben: Anhang III Abschnitt III Nr. 3 Buchstaben a bis j der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 sind einzuhalten, d. h. ein amtlicher oder ein zugelassener Tierarzt müssen auch Datum und Uhrzeit der Schlachtung sowie das vorschriftgemäße Schlachten und Entbluten bescheinigen (Anwendung Muster Anh. I Abschn. IV Kap. X Teil B der VO (EG) Nr. 854/2004 „Muster der Gesundheitsbescheinigung für im Haltungsbetrieb geschlachtete Tiere“).
  • Tier-LMHV: § 12 Abs. 3
    Mit der Änderung des § 12 der tierischen Lebensmittel-Hygieneverordnung vom 25.11.2011 dürfen einzelne Huftiere der Gattung Rind, die ganzjährig im Freiland gehalten werden, mit Genehmigung der zuständigen Behörde im Haltungsbetrieb geschlachtet werden. In der amtlichen Begründung zur TierSchlV von 1996 (Drs. 835/96) heißt es hierzu: „Der Kugelschuss ist aus Sicherheitsgründen in den meisten Fällen, insbesondere in geschlossenen Räumen, nicht anwendbar. Darüber hinaus ist aus Tierschutzsicht zu bemängeln, dass das Verfahren hinsichtlich Zielgenauigkeit und gleichzeitiger Verletzungsgefahr für andere Tiere ungünstiger ist, als beispielsweise der Bolzenschuss.“
  • Die Erlaubnis zur Schlachtung muss vom Haltungsbetrieb im Vorfeld bei der zuständigen Behörde beantragt werden. Nach erteilter Genehmigung muss die zuständige Behörde über den Zeitpunkt der anstehenden Schlachtung zur Durchführung der Schlachttieruntersuchung unterrichtet werden.
    Die Beförderung der geschlachteten oder getöteten Tiere in den Schlachthof darf abweichend von Anhang III Abschnitt III Nummer 3 Buchstabe h der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 nicht länger als eine Stunde dauern.
  • VO (EG) Nr. 853/2004 Anhang III Abschn. I Kap. VI: Notschlachtung – eine Notschlachtung setzt voraus, dass ein ansonsten gesundes Tier einen Unfall erlitten hat, der seine Beförderung zum Schlachthaus aus Gründen des Tierschutzes verhindert. Es muss in jedem Fall eine Schlachttieruntersuchung durch einen Tierarzt erfolgen. Die „Notschlachtung“ nach dem Lebensmittelrecht ist damit nicht mit der „Nottötung“ im Sinne des Tierschutzrechtes gleichzusetzen.

Das Tierseuchenrecht

  • Tierseuchengesetz: Im Rahmen einer behördlich angeordneten Tötung bei einer Tierseuche kann der Kugelschuss mit einer Genehmigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 TierSchlV (Ausnahmeverfahren) zur Anwendung kommen.

Außerdem gelten natürlich auch noch das Ordnungsrecht und das Waffenrecht.

Quellen (im Text verlinkt) und:

Weideschlachtung in der Schweiz – Forschungsinstitut Biologischer Landbau (FiBL)
Weideschlachtung in Österreich – der Standard
Deutschland: Kugelschuss auf der Weide als Betäubungs-/Tötungsverfahren zur Schlachtung von Rindern (Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz – enthält gesetzlichen Vorschriften und weiterführende Literatur)
Alternatives Schlachtverfahren für Weiderinder – oekolandbau.de

Die Schweizer Debatte um Nils Müller
Proteste gegen eine Ausnahmegenehmigung (Tagesanzeiger 2015)
Bewilligung der Weideschlachtung (Tagesanzeiger 2016) 

 

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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