USA meldet „Superbug“: Totale Resistenz

"Antibiotische Apokalypse": Der Keim, der aus der Blase kam? (Foto: © Henrik Hofmann)

In den USA wurde erstmals bei einem Patienten ein Bakterium isoliert, das fast gegen alle bekannten Antibiotika resistent ist. Die Patientin ist genesen – doch Behörden fürchten, dass solche Keime ihre Resistenzen an andere Bakterien weitergeben. Das wäre ein medizinischer Super-Gau. Einen direkten Zusammenhang zur Tierproduktion sehen die amerikanischen Forscher in diesem Fall aber nicht.

Update 30.6.2016: Inzwischen wurde das mcr1-Gen in einer zweiten Humanprobe nachgewiesen

(hh) – „Wir riskieren den Eintritt in die post-antibiotische Zeit“, sagt Thomas Frieden, Direktor des U.S. Centers for Disease Control and Prävention in Washington. Obwohl in anderen Ländern schon früher Bakterien entdeckt wurden, die auch gegen alle „Reserveantibiotika“ resistent sind, sind die Amerikaner über „ihren“ ersten Fall geschockt: Das Bakterium trägt 15 Resistenzen, sie sprechen von einem „Alptraum-Bakterium“. Englische Behörden legten bereits nach und formulierten die „antibiotische Apokalypse“. Eine etwas nüchternere Analyse liefert die University of Minnesota.

Erstmals Colistin-Resistenz-Gen mcr-1 in USA gefunden

Die Patientin war wegen eines Harnwegsinfekts in einem Militärkrankenhaus behandelt worden. Die Ärzte fanden E.coli, einen durchaus gängigen Keim bei Harnwegsinfekten. Nach Antibiose sei die Frau zwar genesen, weitere Untersuchungen hätten aber ergeben, dass das Bakterium nicht nur ein  carbapenem-resistentes Enterobacteriaceae ist (CRE), sondern sich – neben 15 anderen Resistenzen – auch gegenüber Colistin als unempfindlich erwies. Die Behörden wiesen in den USA dabei erstmals das in Europa und China schon früher belegte mcr-1-Gen nach.
Colistin wird in den USA seit den 1970er-Jahren nicht mehr eingesetzt, hierzulande seit den 1980ern, weil es beim Menschen schwere Nierenschäden verursacht und weitere erhebliche Nebenwirkungen hat. Ein Verzicht war problemlos möglich, da Aminoglykoside mit vergleichbaren humanmedizinischer Wirkbreite eingeführt wurden.

Fragen und Antworten-Katalog des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) zur übertragbaren Colistin-Resistenz 

Resistenzen bislang schon – aber nicht vererbbar

Lediglich als Aerosol bei der Therapie von Mukoviszidose erwies sich Colistin als relativ gut verträglich und die Ärzte verwendeten es für diese Indikation weiterhin. Selbst nach 10-jähriger Anwendung mittels Inhalation wurden keine Bakterien mit vererbten Colistin-Resistenz gefunden, wodurch die Wirksamkeit lange unverändert gut war.
Aber weil in den letzten Jahren immer mehr Antibiotikaresistenzen die Arbeit der Humanmediziner erschwerten und fast keine neuen Medikamente entwickelt wurden, erlebte Colistin eine Art Renaissance. Zudem wurden Dosierungen und Zubereitungen gefunden, die die Nebenwirkungen minimierten. Dass sich das nun ändert, ist wohl für den Schock in der Humanmedizin verantwortlich. Colistin-resistente Gene wurden in China, Europa und Canada gefunden – auch bei Nutztieren.

Für Deutschland nichts Neues

In Deutschland wird das vergleichsweise alte Polypeptid-Antibiotikum Colistin in der Nutztierhaltung häufig zur Behandlung von Darminfektionen bei Geflügel und Schweinen eingesetzt. Das erstmalig in China nachgewiesene übertragbare Resistenzgen mcr-1 ist laut BfR auch in Darmbakterien von Nutztieren in Deutschland weit verbreitet. Man habe, so erläutert Dr. Annemarie Käsbohrer bereits im Januar gegenüber wir-sind-tierarzt.de, bis ins Jahr 2012 zurückreichend gezielt Isolate mit einer bestehenden Colistin-Resistenz auf mcr-1 untersucht. Dabei wurde „relativ häufig“ der neue Resistenz-Mechanismus nachgewiesen, am häufigsten bei Escherichia coli von Mastgeflügel.

In den USA fanden die Wissenschaftler bei der Patientin allerdings weder Hinweise auf eine Auslandsinfektion noch auf einen Zusammenhang mit Nutztieren. Die Resistenz scheint also im Human-Bereich in den USA selektiert worden zu sein.
Zeitgleich meldeten aber das US-Landwirtschafts- und das US-Gesundheitsministerium auch den Fund des mcr-1-Gens in einer Rückstellprobe beim Schwein. Wie in anderen Ländern auch, untersuchen die Behörden derzeit weltweit gezielt ihre Proben auf die Existenz des neu entdeckten mcr-1-Gens.

Siehe auch: wir-sind-tierarzt-Bericht: Alte Resistenz – neuer Verbreitungsweg

Quellen:
Originalveröffentlichung mcr-1-Fund beim Menschen: American Society for Microbiology
mcr-1-Fund beim Schwein: Blog-Post des US-Gesundheitsministeriums

Einschätzungen: Center for Infectious Disease Research and Policy – University of Minnesota
FAQ-Colistin-Resistenz des BfR

Medienberichte:
New York Times
usa-today
theguardian

 

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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