Antibiotika im Grundwasser: Tier- oder Humanmedizin „schuld“?

Umweltbundesamt: Durch Gülle können Tierantibiotikarückstände ins Grundwasser gelangen. Die Konzentration ist aber deutlich geringer als bei Humanrückständen aus Kleinkläranlagen. (Foto: @LWK / moderne Schleppschlauchausbringung von Gülle)

Antibiotikarückstände im Grundwasser suchte das Umweltbundesamt. Es fand „geringe Konzentrationen“ von Tierarzneimitteln (neun Messstellen), aber „sehr hohe Konzentrationen“ von Humanmedikamenten (zwei Messstellen). Was ist die Konsequenz?

von Jörg Held
(mit Kommentar am Textende)

Der Auftrag lautete: „Aufklärung der Ursachen von Tierarzneimittelfunden im Grundwasser – Untersuchung eintragsgefährdeter Standorte in Norddeutschland“. So ist die Studie des Umweltbundesamtes (UBA) überschrieben (Pressemeldung hier / Kurzfassung der Studie hier). Hintergrund war unter anderem der Nachweis von Sulfonamiden im Grundwasser im Jahr 2014 (wir-sind-tierarzt berichtete hier). Daraufhin hat das UBA in Zusammenarbeit mit anderen Behörden an elf Stellen in NRW, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Langzeitmessungen vorgenommen. Ausgesucht wurden dabei „Worst-Case“-Standorte in viehdichten Regionen mit zum Teil schwierigen Bodenverhältnissen. Die Ergebnisse:

Häufiger Tiermedizinrückstände – höhere Humanmedizinkonzentrationen

  • Die wiederholt an zwei Messstellen festgestellten, zum Teil sehr hohen Konzentrationen des Antibiotikums Sulfamethoxazol (max. 950 ng/l im September 2013) stammen aus der Anwendung beim Menschen. Dies bestätigen Funde in den nahegelegenen Kleinkläranlagen.
  • Das Tierarzneimittel Sulfadimidin wurde regelmäßig an neun aller elf Messstellen in geringen Konzentrationen von rund 10-20 ng/l (maximal 70 ng/l) gefunden.
  • Der Wirkstoff Sulfadiazin und ein relevantes Abbauprodukt wurden ebenfalls häufig in geringen Konzentrationen (unter 100 ng/l, maximal 90ng/l) gefunden. Der Wirkstoff wird fast ausschließlich als Tierarzneimittel eingesetzt.
Anteile und Anzahl (weiße Zahlen) der Funde von Antibiotika-Wirkstoffen im Grundwasser. (Grafik: © UBA / Hervorhebung Humananteil WiSiTiA)

Anteile und Anzahl (weiße Zahlen) der Funde von Antibiotika-Wirkstoffen im Grundwasser. (Grafik: © UBA / Hervorhebung Humananteil WiSiTiA)

Das Umweltbundesamt empfiehlt als Konsequenz aus der Untersuchung einen Antibiotika-Schwellenwert von 100 ng/l  für Human- und Tierarzneimittel im Grundwasser  einzuführen. Grundwasser sollte regelmäßiger untersucht und bei überschreiten des Schwellenwertes nach den Ursachen/Eintragswegen gesucht werden. Es läge nahe, auch die Belastung des oberflächennahen Grundwassers durch Kleinkläranlagen genauer zu untersuchen.
Die Konzentrationen der Tierarzneimittelrückstände lagen unter dem jetzt von den Studienautoren empfohlenen künftigen Schwellenwert von 100 ng/l.

In welcher Gülle-"Sorte" (Schwein/Rind/etc.) fanden sich Rückstände. (Grafik: © UBA)

In welcher Gülle-„Sorte“ (Schwein/Rind/etc.) fanden sich Rückstände. (Grafik: © UBA)

Tierischer Eintragsweg: Gülle

In dieser Untersuchung konnte als Eintragsweg der Tierantibiotikarückstände überwiegend „organischer Dünger“, also Gülle belegt werden. Möglich war das durch die Zusammenarbeit mit den Landwirten an den Messpunkten. Sie gaben sowohl über ihre Gülleausbringung als auch über ihren vorangegangenen Antibiotikaeinsatz Auskunft. Für die Zusammenarbeit bedankten sich die Studienautoren ausdrücklich. In einigen Fällen gab es aber auch Rückstandsnachweise, obwohl keine Medikamente eingesetzt wurden.

In der Tiermedizin weit häufiger eingesetzte Wirkstoffe (u.a. Tetrazykline) wurden nicht nachgewiesen. In der Nutztierhaltung stehen die Sulfonamide mengenmäßig (BVL-Daten 2014) auf Platz drei, der am häufigsten eingesetzten Antibiotika (Peniciline 450 Tonnen / Tetrazykline 342 t/ Sulfonamide 121 t) . Dass ausgerechnet Sulfonamide gefunden werden, könnte an ihren Eigenschaften liegen: Sulfadiazin etwa gilt in Wasser als „praktisch unlöslich“.

wir-sind tierarzt meint: Auch mal gezielt nach Humanursachen suchen

(jh) – Ein wenig verwundert mich die Gewichtung der Ergebnisbewertung – sie konzentriert sich verbal sehr stark auf die Tierhaltung. O.K., der Auftrag war explizit die Suche nach Tierantibiotikarückständen im Grundwasser. Diese waren „niedrig“. Gefunden hat man aber in zwei der elf Messstellen  „sehr hohe Konzentrationen“ von Humanantibiotikaresten – in der Nähe von Kleinkläranlagen.
Ich finde, das hätte die Pressemeldung klar(er) ansprechen müssen und nicht nur mit einem verklausulierten „es läge nahe, Kleinkläranlagen genauer zu untersuchen“. Ich kann mir den Aufschrei vorstellen, wären die Messwerte umgekehrt derart hoch für die Tiermedikamente ausgefallen. Schon jetzt setzen NGOs wieder auf ihre Art und Weise den „Schwerpunkt“.

BUND-Interpretation der UBA-Grundwasserstudie (screenshot twitter)

BUND-Interpretation der UBA-Grundwasserstudie (screenshot twitter)

Man muss die Studienkurzfassung auch sehr genau lesen, um zu erahnen, dass die Wissenschaftler doch stärker auf die Humanmedizin abzielen: Der jetzt empfohlene Schwellenwert ist so gewählt, dass er bei den momentan vorliegenden Messwerten nur bei bei Rückständen von Humanantibiotika „Alarm“ schlagen würde.

Ich wage daraus ableitend mal die Prognose: Würde man ähnliche Worst-Case-Vorgaben für eine Untersuchung in der Nähe von „menschendichten“ Ballungsräumen und Krankenhäusern/Altenheimen machen, dürfte das Ergebnis richtig bitter ausfallen, was die Antibiotikarückstände in Abwässern und Grundwasser betrifft (siehe Folien unten).

Das nimmt die Tierhaltung und speziell die Tierärzte nicht aus der Verantwortung! Sie stehen in der Pflicht, so wenig Antibiotika so exakt wie möglich dosiert anzuwenden, damit es eben keine Rückstände gibt – egal ob im Tier, auf den Feldern oder im Grundwasser.
Aber es zeigt einmal mehr, dass sich Untersuchungen – und vor allem die Interpretation der Ergebnisse – fast reflexartig auf die Nutztierhaltung fokussieren. Und dort soll dann auch ordnungsrechtlich regulierend eingegriffen werden. Der Hintergrund auch dieser „Projektinitiierung“ war (Zitat): der „hohe Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung“ und die dadurch „mögliche Resistenzbildung und nicht abschätzbare ökotoxikologische Wirkung“. 
 An die Humanmedizin aber traut sich so recht keiner ran. Ich kenne keine Untersuchung mit dem Titel „Aufklärung der Ursachen von Humanarzneimittelfunden im Grundwasser“. Vielleicht, weil man genau weiß, wo da der Hase im Pfeffer liegt?

Der Weg von Antibiotikaresistenzen aus dem Krankenhaus in Gewässer. (Quelle: Vortrag 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Der Weg von Antibiotikaresistenzen aus dem Krankenhaus in Gewässer. (Quelle: Vortrag 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Das Spektrum der in Kläranlagen nachgewiesene (resistente) Humanantibiotika. (Quelle: Vortrag 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Das breite Spektrum der in Kläranlagen nachgewiesenen Resistenzklassen der Humanantibiotika. (Quelle: Vortrag 49. Essener Abwassertagung März 2016)

Quellen:
Pressemeldung des Umweltbundesamtes (14.6.2016)
Kurzfassung der UBA-Studie (PDF-Download)
Langfassung der UBA-Studie (Link zum Volltext-PDF-Download)
Humantabellen: 49. Essener Abwassertagung LANUV/RWTH (März 2016)

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)