Milchviehaltung der Zukunft: Weidegang muss sein

Aus dem Stall in den Schatten – der Laufstall mit Weidezugang gilt Vebrauchern als Königsweg. (Foto: WiSiTiA/aw)

Der Bundesrat möchte die ganzjährige Anbindehaltung bei Rindern verbieten, doch wieviel „besser“ sind Laufställe? Reicht es, wenn Rinder sich frei bewegen können oder gehen die Erwartungen der Verbraucher nicht schon wieder einen Schritt weiter? Untersuchungsergebnisse aus den USA sagen: Ja.

(aw) – Wie sollte die Milchviehhaltung der Zukunft aussehen, wollte eine Arbeitsgruppe um Nina von Keyserlingk von der University of British Columbia wissen. Befragt hat sie sowohl Tierärzte, Studenten, Landwirte als auch Verbraucher aus Städten sowie Tierschützer, denn: von Keyserlingk geht davon aus, das „Tierwohl“ für jede dieser Gruppen anders aussieht. Während es für Nutztierhalter in erster Linie bedeutet, dass die Kühe frei von Angst, Hunger, Durst und Schmerz sind, erwarten andere eher, dass Kühe ein halbwegs natürliches „artgerechtes“ Leben führen können. Die Wissenschaftlerin betont: Städter stellen sich unter Lebensqualität für Milchkühe in der Regel keine Boxenlaufställe vor, sondern Weideauslauf. Interessanter Weise, teilen viele Landwirte diese Vorstellungen der Verbraucher.

Weidegang: Für Verbraucher „extrem wichtig“

Laufstall mit angrenzender Weide

Laufstall mit angrenzender Weide für Milchkühe (Foto:©WiSiTiA/aw)

Die Frage nach dem Weidegang ist auch für Deutschland interessant: Eine überwältigende Mehrheit der Umfrageteilnehmer in den USA – sowohl Landwirte als auch Verbraucher – halten Weidegang für extrem wichtig. Zu diesem Punkt hat von Keyserlingk 414 Rückmeldungen bekommen. Dabei geht es den Befragten nicht nur um die Futteraufnahme, sondern auch darum, dass der Weidegang im Hinblick auf die Luftqualität und Bewegungsmöglichkeit einen positiven Effekt für die Tiere hat. Es werden durchaus Einschränkungen gemacht: Je nach Wetterlage kann nach Ansicht der meisten Teilnehmer auf den Auslauf verzichtet werden, wenn die Bodenverhältnisse ungünstig sind.

Hybridstall der Zukunft: Laufstall mit Weidegang

Von Keyserlingk ist aufgrund der Ergebnisse davon überzeugt, dass die Ställe der Zukunft Hybridsysteme sein sollten, die sowohl Laufstallhaltung als auch Weidegang ermöglichen. Sie betont, dass selbst die Landwirte dem Weidegang einen hohen Stellenwert einräumen, aber nur etwa fünf Prozent aller Milchkühe in den USA tatsächlich ausgetrieben werden. Für diese Tierhalter müssen Systeme erarbeitet werden, damit sie ihre Kühe so halten können, wie sie es für richtig empfinden.

Heftig umstritten: Trennung von Kuh und Kalb

Kalb beim Trinken

Streithema: Die Trennung von Kuh und Kalb. (Foto:©WiSiTiA/aw)

Umstritten ist das Trennen von Kuh und Kalb – bei dieser Problematik klaffen die Meinungen besonders weit auseinander:  Während 100 Prozent der Tierärzte, 85 Prozent der Studenten und Professoren und 70 Prozent der Tierhalter die sofortige Trennung für sinnvoll halten, sind 75 Prozent der nicht mit Landwirtschaft vertrauten Verbraucher und 95 Prozent der Tierschützer gegen diese Praxis.
Argumente für die sofortige Trennung sind die Vermeidung von Infektionen der Kälber mit Krankheitserregern (Johne’sche Krankheit, Kokzidien etc.) sowie der geringere Trennungsschmerz, weil die Mutter-Kind-Bindung noch nicht so stark ist. Letzteres ist wissenschaftlich untersucht und neugeborene Kälber, die zügig von ihren Müttern getrennt werden, haben im Gegensatz zu denen, die Tage oder Wochen mit ihren Müttern zusammen sind, fast keinen beobachtbaren Trennungsschmerz. Von Keyserlingk sieht hier noch erheblichen Forschungsbedarf, vor allem bei der Frage, inwieweit neugeborene Kälber davon profitieren, wenn sie länger mit ihrer Mutter zusammen bleiben dürfen und wie eine solche Haltungsform in der Praxis sinnvoll umgesetzt werden könnte (Melken, Bodenbeschaffenheit etc.).

Schwanzamputation: Ein Problem in den USA

Enthornung Kalb

Schmerzmittel sind zur Kälberenthornung in Deutschland durch die Cross-Compliance-Regeln vorgeschrieben. (Foto:©WiSiTiA/aw)

Zwei andere der in dem von der University of British Columbia ausgegebenen Fragebogen angesprochenen Aspekte zum Tierwohl spielen in Deutschland bereits keine Rolle mehr. Zum Einen geht es um die Praxis der Schwanzamputation bei Kühen, die in einigen Teilen der USA nach wie vor weit verbreitet ist – angeblich um die Sauberkeit der Euter zu verbessern. Es gibt allerdings genügend Untersuchungen, die zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Dagegen ist die Amputation schmerzhaft und der Schwanz für die Fliegenabwehr dringend nötig.
In Deutschland sind Schwanzamputationen ohne medizinische Indikation verboten und zum Glück wird nicht jede Modeerscheinung aus den USA kritiklos übernommen.

Enthornung: Schmerzlinderung nicht verhandelbar

Auch die Frage der Schmerzbekämpfung bei der Enthornung ist in Deutschland nicht mehr verhandelbar. Bei der Enthornung muss ein Schmerzmittel verabreicht werden, um die Wundschmerzen zu minimieren und Tiere ab einem Alter von sechs Wochen dürfen ohnehin nur aufgrund einer medizinischen Indikation enthornt werden.

wir-sind-Tierarzt.de meint: Auslauf einplanen

(aw) –Die Ergebnisse der US-Befragung sollte einmal mehr auch deutsche Landwirte hellhörig machen: Die Laufstallhaltung scheint weder in den Augen der Tierhalter noch der Laien die optimale Haltungsform zu sein. Viele Funktionäre aber sehen sie als den ultimative Schritt in Richtung Tierwohl an und betonen das gegenüber dem Verbraucher immer wieder, wenn Kritik an der Milchkuhhaltung aufkommt – so wie jetzt bei der Anbindehaltung. Es ist aber absehbar, dass Laufställe diese Kritik nicht beenden. Daher ist es sinnvoll, bei Neubauten vorausschauend zu denken und die Machbarkeit von Weideauslauf bei der Standortauswahl und Bebauung (z.B. Fahrsilos, Maschinenhallen) zu berücksichtigen.

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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