Behandlungsfehler: BGH-Urteil zur Beweislastumkehr ist keine Revolution

Nur oberflächliche Wunde oder mehr? Die genaue Diagnose ist wichtig. Das BGH-Urteil zur "Beweislastumkehr" greift nur bei "groben Behandlungsfehlern". (Foto: © Henrik Hofmann)

Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes zur „Beweislastumkehr“ erleichtere es Tierhaltern, Schadenersatz von Tierärzten zu fordern, berichten die Medien.** Tatsächlich aber ist das BGH-Urteil keine Revolution, denn zuerst muss ein „grober Behandlungsfehler“ nachgewiesen sein.

Ein Gastbeitrag der Rechtsanwälte Jürgen Althaus und Julia Laacks*

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hatte sich mit der Frage zu befassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Umkehr der Beweislast bei tierärztlichen Behandlungen erfolgen kann.
Konkret: Muss der Tierhalter beweisen, dass ein Behandlungsfehler des Tierarztes für spätere schlimmere Folgen (hier: Tod eines Pferdes) ursächlich ist? Oder muss der Tierarzt beweisen, dass sein Fehler nicht die Ursache für den Schaden ist (Beweislastumkehr)?
Im Ergebnis bestätigten die Bundesrichter am Dienstag eine bereits im letzten Jahr ergangene Entscheidung des OLG Oldenburg, in der dem Tierarzt im konkreten Fall die Beweislast auferlegt wurde, und sorgen damit für Unsicherheit in der Tierärzteschaft: Hat sich die Haftung des Tierarztes nun tatsächlich radikal verschärft?
Kurz gesagt: Grundsätzlich nicht. Nur im Falle eines nachgewiesenen groben Behandlungsfehlers greift das Urteil. Die Details erklärt der folgende Text.

Die Entscheidung der Vorinstanz

Der BGH-Entscheidung lag ein Fall zugrunde (wir-sind-tierarzt berichtete hier), in dem sich die Fissur des Unterschenkelknochens eines Pferdes zu einer vollständigen Fraktur entwickelte. Der behandelnde und letztlich zum Schadenersatz verurteilte Tierarzt hatte zuvor jedoch nur die äußere Wunde am Unterschenkel verschlossen und zwei Tage Ruhe angeordnet.
Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger stellte fest, dass der Tierarzt die Möglichkeit einer Fissur hätte erkennen und weitere Untersuchungen anordnen müssen. Da er dies nicht tat, habe er einen schweren Behandlungsfehler begangen.
Grobe und schwere Behandlungsfehler liegen vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt und einen Fehler begeht, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint.

Auswirkungen eines schweren Behandlungsfehlers

Nur oberflächliche Wunde oder mehr? Die genaue Diagnose ist wichtig. DAs BGH-Urteil zur "Beweislastumkehr" greift nur bei "groben Behandlungsfehlern". (Foto: © Henrik Hofmann)

Nur oberflächliche Wunde oder mehr? Die genaue Diagnose ist wichtig. Das BGH-Urteil zur „Beweislastumkehr“ greift nur bei „groben Behandlungsfehlern“. (Foto: © Henrik Hofmann)

Nach der Bejahung eines schweren Behandlungsfehlers stellte sich die Frage, ob dieser ursächlich für die Fraktur geworden war. Der Sachverständige konnte keine eindeutige Antwort geben. Deshalb kam es darauf an, wer in solchen Fällen die Beweislast trägt:

  • Der Tierhalter dafür, dass die Ursächlichkeit vorliegt oder
  • umgekehrt der Tierarzt dafür, dass die Ursächlichkeit nicht besteht?

Grundsätzlich liegt die Beweislast beim Tierhalter. Gesetzlich ausdrücklich geregelt ist eine Beweislastumkehr bei schweren Behandlungsfehlern nur in der Humanmedizin in § 630h Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch. Nach Ansicht der Vorinstanz (Urteil/Aktenzeichen hier) war die Vorschrift im Bereich der Veterinärmedizin nicht anwendbar. Es sei nicht generalisierend, sondern in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Umkehr der Beweislast in Betracht komme.

Das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofs

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Aktenzeichen VI ZR 247/15) liegt bisher noch nicht im Volltext vor, nach der hierzu veröffentlichten Pressemitteilung scheint sie jedoch weiter zu gehen, als das Urteil der Vorinstanz.
Nach Auffassung des BGH sind die in der Humanmedizin entwickelten Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern, insbesondere auch bei Befunderhebungsfehlern, auch im Bereich der tierärztlichen Behandlung anzuwenden. Beide Tätigkeiten bezögen sich auf einen lebenden Organismus.

Fazit: Vor Beweislastumkehr muss grober Behandlungsfehler bewiesen sein

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Tierarzt der Pferdehalterin im entschiedenen Fall auf Schadensersatz haftet. Doch wird es aufgrund des BGH-Urteils zu keiner grundlegenden Revolution des Haftungsprozesses kommen, denn: Ein Tierhalter muss im Streitfall erst einmal beweisen, dass überhaupt ein Behandlungsfehler vorlag und wie dieser zu qualifizieren ist.
Regelmäßig geschieht dies durch Einholung eines veterinärmedizinischen Sachverständigengutachtens. Stellt der Gutachter „nur“ einen einfachen Behandlungsfehler fest, bleibt alles beim Alten und der Tierhalter ist beweispflichtig für die Ursächlichkeit zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden.

Link2_BerufshaftpflichtZum Tragen kommt die aktuelle Entscheidung des BGH allerdings dann – aber auch nur dann –, wenn im ersten Schritt ein grober Behandlungsfehler festgestellt wird. In diesen Konstellationen wird sich daher die Verteidigung in Haftungsprozessen für den Tierarzt in der Tat erschweren, da ihm der Beweis dafür obliegt, dass eine Ursächlichkeit zwischen seinem groben Fehler und dem eingetretenen Schaden gerade nicht besteht.
Kann die Ursächlichkeit nicht geklärt werden, geht dies zu Lasten des Tierarztes. Daher ist er gut beraten, in Haftungsfällen von Anfang an auf eine spezialisierte juristische Vertretung zu setzen.

*Unsere Gastautoren Julia Laacks und Jürgen Althaus waren zum Zeitpunkt des Erscheinens auf  Tierarztrecht spezialisierte Rechtsanwälte der Kanzlei mönigundpartner.
Inzwischen betreibt J. Althaus (hier) eine eigene Kanzlei kn der auch Frau Laacks mitarbeitet

Einen Kommentar zu den Urteilen aus Tierarztsicht lesen Sie hier

Quellen/Aktenzeichen:
OLG Oldenburg – Az. 14 U 100/14 vom 26.3.2015 (
PDF-Download – oder Link)
Pressemeldung Bundesgerichtshof zum Revisionsurteil – Az. VI ZR 247/15 vom 10.5.2016 (PDF-Download)
Vorinstanz LG Osnabrück – Az. 3 O 1494/11
**Medienberichte z.B. hier (N24) und hier (HNA)

Offenlegung: Julia Laacks und Jürgen Althaus sind Teil des Beraternetzwerkes „go-Vet“, dem auch unser Sponsor TVD-Finanz angehört. Dieser Beitrag ist aber kein Sponsored Post, er wurde nicht bezahlt. Der Redaktion war es wichtig, das BGH-Urteil fachlich kompetent einordnen zu können, wofür wir uns bei Frau Laacks und Herrn Althaus bedanken.

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