Money talks: Praxisketten und die Qualität der Tiermedizin

Schlange stehen für die Wortmeldung: Pro und Contra der Tierarztketten wurde in Bielefeld intensiv diskutiert. (Foto: ©bpt/Jan Rathke)Schlange stehen für die Wortmeldung: Pro und Contra der Tierarztketten wurde in Bielefeld intensiv diskutiert. (Foto: ©bpt/Jan Rathke)

Finanzinvestoren wollen nur Geld verdienen, tiermedizinische Qualität oder auch Mitarbeitersorgen zählen nicht. Das ist der größte Vorwurf in der Debatte über neue Tierarztketten: Wer profitiert und wer zahlt womöglich drauf. Teil 2 der Markübersicht.

von Jörg Held

Logo_bpt_Bielefeld_2016„Money talks“ hat es Torril Moseng, Präsidentin des Norwegischen Tierärzteverbandes (NVA) genannt. „Es wird Vorgaben für MRT oder CT-Einsätze geben, das wird laufen müssen“, glaubt Moseng. Die NVA ist keine Kammer, sondern eher eine Gewerkschaft. Sie weiß, was ihren bei Ketten beschäftigten Mitgliedern Sorgen macht. Die berichten etwa von eingeschränkter Medikamentenauswahl, hohem ökonomischen Druck, wenig oder begrenzter Zeit für die Patienten sowie eingeschränkter Entscheidungsfreiheit. (mehr in der Slideshow zum Vortrag weiter).

Teil 1 dieses Beitrages beantwortetete die wichtigsten Fragen zum Marktumfeld für Praxisketten.

„Mony talks“ – Torril Moseng, Präsidentin des Norwegischen Tierärzteverbandes (einer Art Gewerkschaft), berichtete über Probleme mit den Kettenstrukturen. (Foto: © bpt/Jan Rathke)

„Money talks“ – Torril Moseng, Präsidentin des Norwegischen Tierärzteverbandes (einer Art Gewerkschaft), berichtete über Probleme mit den Kettenstrukturen. (Foto: © bpt/Jan Rathke)

Die Rolle des Tierarztes: Von der Berufung zum Job?

Die Renditeerwartungen und entsprechende Vorgaben der Kapitalinvestoren waren denn auch die größte Sorge der Fragesteller aus dem Auditorium bei der berufspolitischen Veranstaltung des bpt auf der Kleintierfortbildung in Bielefeld: Verändert sich in den Praxisketten die Tierarztrolle von der Berufung zum fremdgesteuerten Job?

Dem entgegneten Vertreter von AniCura und Evidensia, den zwei momentan in Deutschland aktiven Praxisketten aus Schweden: „Der Tierarzt ändert sich nicht, wenn er vom Klinikinhaber zum tierärztlichen Geschäftsführer wird.“ Er bleibe Chef und Gallionsfigur. Die Verträge seien so gestaltet, dass der Investor sich in die tiermedizinsche Arbeit nicht einmische. „Regionalität und Individualität bleibt bestehen. AniCura etwa schreibe keine Preise vor, die wir zu nehmen haben, es gibt keine Prämien für OP-Zahlen und keine Sollvorgaben“, betonte etwa Dr. Arnd Stelljes von der AniCura-Klinik am Bökelberg (Mönchengladbach). Behandlungsrichtlinien oder Prozesse wie beispielsweise ein Durchfallpatient abzuarbeiten sei, gebe es umgekehrt auch heute schon Kliniken.

Dumpingpreise wiederum sind von den Klinikketten nicht zu erwarten, da sie sich als hochwertige Tiermedizinanbieter positionieren.

Dennoch überwog im Auditorium die Skepsis: Erwartet wird eine gewisse Angleichung der Standards, der Entfall individueller Therapieoptionen – nicht immer zum Wohl der Patienten. Carsten Grußendorf, – der, ebenfalls von den Ketten angesprochen, sein Tiergesundheitszentrum Grußendorf nicht verkauft hat – betonte: „Tierärzte verkaufen keine Burger – wir verkaufen uns.“ Diese Eigenständigkeit sei ihm auch als Unternehmer wichtig.

Praxisinhaber: Profiteure des Investoreninteresses?

Mit den geburtenstarken Jahrgängen der 60er steuern viele Praxisinhaber auf die Rente zu. Am anderen Ende wächst eine zu 85 Prozent weibliche Tierarztgeneration nach mit dem primären Berufsziel, angestellt zu arbeiten. Nachfolgesuche ist ein Problem, das langfristig (mit 10 Jahren Vorlauf) angegangen werden muss.

Mit den Klinikketten sind jetzt Käufer am Markt, die sich schnell Marktanteile sichern wollen und daher gute Preise zahlen. Das gilt allerdings zunächst nur für größere Einheiten (um/ab 1 Mio Euro Jahresumsatz). Und die Investoren ändern bereits etwas ihre Strategie, wollen dass der/die Altinhaber nicht nur mindestens 3 bis 5 Jahre, sondern länger (bis 10 Jahre) als Geschäftsführer die Praxen/Kliniken führen.
Angesichts der Gebote, die die Ketten für Tierkliniken abgeben, „muss man schon wirklich sehr ernsthaft nachdenken“, berichtete etwa Dr. Martin Kessler von der Tierklinik Hofheim. Doch auch er und seine Partner setzen dann doch lieber weiter auf die Selbstständigkeit.

Wer verkauft, muss seine Klinik als Geschäftsführer einige Jahre weiter führen. Die Verträge enthalten üblicherweise ein „second payment“, das bedeutet: Erst wenn in dieser Zeit definierte Umsatz- und Ertragsziele erreicht werden, wird ein zweiter Teil des Kaufpreises ausgezahlt. So wollen die Investoren das nötige Engagement auch nach einem Verkauf sicherstellen.

Eine Liste mit den Standorten der Tierklinikketten finden Sie in diesem Artikel (Stand: März 2017)

Bessere Arbeitsbedingungen für Angestellte?

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(Bildquelle: Folien aus dem Vortrag von Torril Moseng bpt/Bielefel 2016)

Angestellte wiederum – das zumindest sagen Daten aus Norwegen – fühlen sich in größeren Unternehmen sicherer, erwarten von den Ketten eine bessere Bezahlung und geregeltere sowie familienfreundlichere Arbeitszeiten als in kleinen Praxen.
Auch „Karrierepläne“ als Angestellter lassen sich in Ketten besser verwirklichen. Sie werben mit (internationalen) In-House Aus- und Fortbildungen, mit Spezialisierungen, Jobrotationen, Fachtierarzt- und Diplomate-Qualifikationen.
Die Standorte „teilen“ sich tageweise Spezialisten (Kardiologen/Neurologen/etc.). Das „Mitarbeitersharing“ sei aber freiwillig, es gebe keine Zwangsversetzungen. Know-How-Austausch mit anderen Standorten ist allerdings Pflicht.
Die Ketten wiederum erwarten, aus ihrem gut ausgebildeten Oberarzt-Pool mittelfristig kompetente tierärztliche Geschäftsführer rekrutieren zu können.

Umgekehrt wurde aus Norwegen aber auch von einem großen Gehaltsgefälle zwischen „Basistierärzten“ und Spezialisten berichtet. Für Deutschland haben die Ketten angekündigt, „marktübliche“ Gehälter zu zahlen. Das lässt für junge Tierärzte zunächst keine großen Gehaltssprünge erwarten. Auch wird es keine bundesweit einheitlichen Gehälter innerhalb einer Kette geben – zumal die Standorte weiter als jeweils eigenständige GmbH geführt werden.
Der Option, innerhalb einer Kette an verschiedenen Standorten arbeiten zu können, steht auch ein Risiko gegenüber: Wenn wenige Ketten große Teile des (Klinik)-Marktes beherrschen, kann es schwierig werden, in Ballungszentren einen neuen Arbeitgeber zu finden, sollte man es sich mit einer Kette „verscherzen“.

Sterben inhabergeführte Praxen aus?

Nein. Die Marktanteile selbst in „reifen“ Märkten wie den USA oder England, wo es seit über 20 Jahren Ketten gibt, liegen unter 50 Prozent. Deutschland fehlt außerdem ein für Tierarztketten wichtiger Faktor: Eine hohe Abdeckung mit Tierkrankenversicherungen, die es z.B. sowohl in den Niederlanden als auch Skandinavien gibt. Ob sich hier also ähnliche Marktstrukturen bilden ist noch völlig offen.

Was müssen/können Tierärzte und Verbände tun?

bpt-Präsident Siegfried Moder fasste es in Bielefeld prägnant zusammen: „Investoren wollen Profit machen. Wenn sie entsprechendes Potential im deutschen Tierarztmarkt sehen, sollten die Tierärzte diese Chancen auch selbst erkennen – und für sich nutzen.“ Zentral werde eine bessere betriebswirtschaftliche Qualifikation sein, für die der Grundstock schon im Studium gelegt werden müsse. Inhaber bestehender Praxen müssten sich qualifizieren – zum Beispiel über Praxismanagementkurse oder die betriebswirtschaftliche Beratung, die der bpt anbietet. „Jeder Praxisinhaber muss sich als Unternehmer professionalisieren.“

Schlange stehen für die Wortmeldung: Pro und Contra der Tierarztketten wurde in Bielefeld intensiv diskutiert. (Foto: ©bpt/Jan Rathke)

Lange Rednerliste (u.a.): bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder (am Mikrofon), Prof. Raj Bali (Berater für Evidensia/ganz links) und Dr. Martin Kessler (Tierklinik Hofheim/2.v.l.). (Foto: ©bpt/Jan Rathke)

Zukunftsperspektive „tierarztgeführte Klinikverbünde“?

„Muss man sich unbedingt in die Hand internationaler Investoren begeben?“ Oder lassen sich nicht auch andere Wege finden, große (Praxis)Einheiten zu finanzieren und dennoch als Tierärzteschaft die Kontrolle zu behalten? Die Frage wurde mehrfach gestellt. Zusammenschlüsse von Tierärzten zu Einkaufsgemeinschaften oder Praxisverbünden, sind eine Möglichkeit. Auch für lokale Geldgeber könnten Tierarztpraxen eine interessante Investitionsmöglichkeit sein. Warum etwa sollten die tierärztlichen Versorgungswerke künftig nicht auch in Tierarztzusammenschlüsse investieren? Ob sich solche Strukturen in Deutschland entwickeln, ist allerdings offen.

In Skandinavien oder den Niederlanden gibt es solche inhabergeführten Tierarztgruppen zum Teil bereits sehr lange. Doch gerade sie sind für die Ketten besonders interessant, da sich mit einem Schlag sofort größere Marktanteile zukaufen lassen.

Fazit: Verfluchter Segen

„Wenn Du die Ketten nicht schlagen kannst, tritt ihnen bei“ – Bob Carrière, Tierarzt und Gründer des niederländischen Tierarztverbundes „Sterkliniek dierenartsen“. (Foto: WiSiTiA/jh)

Ob Tierarztketten nun „Segen oder Fluch“ sind – so war die Bielefelder Diskussion überschrieben –, lässt sich schlicht noch nicht beantworten. Sie bieten Chancen für bestimmte Tierarztgruppen – sowohl bei Inhabern als auch Angestellten, aber auch Risiken. Ob es zu tiefgreifenden Marktveränderungen kommt und wenn ja zu welchen, ist in dieser frühen Phase noch völlig offen.

Bob Carrières Empfehlung für Praktiker ist deshalb niederländisch pragmatisch: „Plane langfristig Dein eigenes für Dich persönlich passendes Geschäftsmodell als Tierarztunternehmer inklusive Exit-Strategie. Lass Dich nicht davon überraschen, wenn morgen gegenüber eine Kettenpraxis aufmacht“ – und: „Wenn Du sie nicht schlagen kannst, tritt ihnen bei.“

Alle bisher erschienen Artikel zum Thema „Kapitalinvestoren“ finden Sie hier in der Übersicht

Offenlegung: Der Autor hat über die Bielefelder Veranstaltung des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte auch im Auftrag des bpt berichtet (bpt-info 4/2016 – Link hier)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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