Tierärzte fordern: Antibiotika-Datenbank nachbessern

Antibiotika einfach ins Futter geben – die Zeiten sind lange vorbei. Der Medikamenteneinsatz wird genau dosiert und kontrolliert. (Foto: © WiSiTiA/hh)Antibiotika einfach ins Futter geben – die Zeiten sind lange vorbei. Der Medikamenteneinsatz wird genau dosiert und kontrolliert. (Foto: © Henrik Hofmann)

Wenn eine Null keine Null ist, bewährte Antibiotika doppelt gezählt werden und im Viehhandel nicht erfasste Antiobiotikabehandlungen erfolgen – dann hat die staatliche Antibiotika-Minimierungsstrategie Verbesserungspotential. Wo liegt es und wie stehen die Chancen für eine Anpassung?

von Jörg Held

In diesen Tagen wird die dritte Auswertung der staatlichen Antibiotika-Datenbank erwartet. Dann dürften medial wieder 25 Prozent der Tiermäster – und damit auch deren Tierärzte – als „Vielverbraucher“ bezeichnet werden. Dabei sinkt der Therapieindex für den Antibiotikaeinsatz erneut in allen Bereichen – das sagen erste Informationen.

Gesetzgeber muss nachbessern

Seit einem guten Jahr vergeht deshalb keine Tagung oder Kongress, ohne dass Tierärzte Teile der 2013 mit der 16. AMG-Novelle beschlossenen Antibiotika-Datenerfassung kritisieren. Die Umsetzung der grundsätzlich unbestritten sinnvollen Idee, den Antibiotikaeinsatz in einer Datenbank zu erfassen, basiert auf einem im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat erarbeiteten Kompromiss. Wo der Gesetzgeber unbedingt nachbessern sollte, sei aber inzwischen klar und deutlich zu erkennen (siehe Auflistung unten).
Doch die Chancen selbst für kleine technische Verbesserungen stehen schlecht: Der Bund fürchtet, dass – sollte er in Wahlkampfzeiten Änderungen in die Wege leiten – die mehrheitlich grün-geführten Länderagrarministerien das Gesetzespaket neu aufschnüren, denn es ist im Bundesrat zustimmungspflichtig.

Konkrete Verbesserungsvorschläge aus Mecklenburg-Vorpommern – vorgestellt auf einem SPD-Fachgespräch im Bundestag. (© Vortrag M. Dayen)

Konkrete Verbesserungsvorschläge aus Mecklenburg-Vorpommern – vorgestellt auf einem SPD-Fachgespräch im Bundestag. (© Vortrag M. Dayen)

Konkrete Verbesserungsvorschläge

Praktiker sowie beamtetet Tierärzte und auch die Länderbehörden wollen aber nicht die für 2019 geplante Evaluierung des Gesetzes vorziehen. Stattdessen sollten „untergesetzlich“ schnellstmöglich einige strukturelle Anpassungen erfolgen.
Die wichtigsten Verbesserungen, über die in der Tierärzteschaft Einigkeit herrscht, sind:

  • Einführung einer verpflichtenden Nullmeldung – bisher kann die Datenbank nicht unterscheiden, ob ein Tierhalter wirklich keine Antibiotika eingesetzt hat oder ob der Betrieb nicht meldepflichtig war oder ob die Meldung gar verweigert wurde.
  • Verbindliche behördliche Liste der Wirkdauer sogenannter „Long-Acting- oder Oneshot-Präparate“ – bisher können Tierärzte abhängig vom Erreger, von Indikation und Dosierung die Wirktage dieser Präparate individuell eintragen. Das verfälscht die Kennzahlen.
  • Kombipräparate als einen Wirkstoff werten – bewährte klassische Kombinationswirkstoffe (etwa Trimethoprim-Sulfonamid-Präparate) werden, weil sie zwei Wirkstoffe enthalten, auch mit zwei Wirktagen gezählt. Die alternativ zugelassenen sogenannten “Reserveantibiotika” (RAB) dagegen nur mit einem Tag. Hier setze das Gesetz einen völlig falschen Anreiz, der ein Ausweichverhalten auf RAB herausfordert.
  • Verpflichtende Meldung von Tierverlusten – Betriebe die Tiere nicht antibiotisch behandeln und höhere Sterblichkeitsraten in Kauf nehmen, stehen im Therapieindex besser da. Dies widerspricht dem Tierschutzgedanken.
  • Berechnungsgrundlagen prüfen – so können Leerstandszeiten (etwa durch Serviceperioden oder aufwändige Desinfektionsmassnahmen) die Kennzahlen verfälschen.
    In der Rindermast können bereits Einzeltierbehandlungen zur Überschreitung der Kennzahl 2 führen.

Ausweichmöglichkeiten abschaffen

Es gibt noch weitere im Gesetz verborgen Fehlanreize, die zu „Ausweichtendenzen“ geführt haben könnten. Das QS-System etwa verzeichnete zuletzt einen Rückgang von 30.000 Behandlungsmeldungen. Deshalb fordern Tierärzte:

  • die Aufnahme der Zuchttiere (Rind/Schwein) in das Monitoring – so liesse sich auch Behandlungsbedarf erkennen und beheben, der nicht im Mastbereich liegt. Auch sei eine Verschiebung von Verordnungen – etwa in kombinierten Zucht/Mastbetrieben – dann nicht mehr möglich.
  • den Viehhandel in das Monitoring einbeziehen – der Handel liegt zwischen Zucht und Mast. Insbesondere bei Kälbern verfälschen im Viehhandel vorgenommene, aber nicht erfasste Antibotikabehandlungen die Therapieindizes der Mastbetriebe. Im Sinne das AMG seien auch Viehhändler „Tierhalter“, ist etwa die Rechtsauffassung von NRW.
  • Betriebsuntergrenzen streichen – bisher sind Betriebe, die weniger als 20 Mastrinder, 250 Mastschweine, 1.000 Mastputen oder 10.000 Masthähnchen halten, von der Meldepflicht ausgenommen. Ziel des Gesetzes ist aber die Resistenzminimierung. Resistenzen können mit jedem Antibiotikaeinsatz selektiert werden. Deshalb müsste der Antibiotikaeinsatz in allen Betrieben erfasst werden.
    Außerdem könnten „Bestandsuntergrenzen“ ein Anreiz sein, sich durch Betriebsteilungen der Meldepflicht zu entziehen.
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Motivation nicht zerstören

Die Praktiker kritisieren außerdem den deutschen Föderalismus: Bundesländer gingen unterschiedlich mit den Kennzahlen um. Es gebe abweichende Vorgaben/Formulare für die Massnahmenpläne und diese würden auch unterschiedlich streng bewertet. Sie warnen davor, auf Datengrundlagen die noch nicht durchgängig belastbar sind, eine „Verfolgung in der Fläche zu starten“. Die Behörden sollten eindeutig erkennbare Einzelfälle natürlich auch sanktionieren, dürften die Motivation der Landwirte insgesamt aber nicht zerstören.

Das Ende der Kennzahl 2 planen

Auch die Behörden wissen, dass wer über Kennzahl 2 liegt weder ein Verbrecher ist, noch Gesetzen zuwider gehandelt hat. Entsprechend würden auch qualifiziert ausgefüllte Maßnahmenpläne bewertet. Aber das Gesetz schreibt einen Maßnahmenplan vor, deshalb haben die Behörde hier keinen Ermessensspielraum.
Dennoch kommen auch aus den Kontrollbehörden der Länder Stimmen, die von der Politik verlangen, bereits jetzt über „ein Ausstiegsszenario für die Kennzahl 2 nachzudenken“. Das Berechnungssystem und der Gedanke der kontinuierlichen Verbesserung ist so angelegt, dass – egal wie weit der Antibiotikaeinsatz künftig noch reduziert wird – immer Betriebe über Kennzahl 2 liegen und damit medial als „schlecht“ dargestellt  werden (können) und Maßnahmepläne schreiben müssen. Bei tierschutzgerechtem Medikamenteneinsatz, könne die Zahl irgendwann aber nicht weiter sinken, denn die Behandlung kranker Tiere müsse gewährleistet bleiben.

Weg vom „Tonnen-zählen“

Prof. Lothar Kreienbrock vom Institut für Biometrie, Epidemiologie und Informationsverarbeitung der Tierärztlichen Hochschule Hannover appelliert an die Politik, die Maßzahlen der verschiedenen aktuell in Deutschland laufenden Antibiotika-Monitoringprogramme nicht gegeneinander auszuspielen. AMG-Monitoring, das QS-Antibiotika-Monitoring und auch das wissenschaftliche VetCAb-Monitoring hätten unterschiedliche Ziele und basierten auf jeweils anderen Rechenwegen und Bezügen. „Die Zahlenwerte sind nicht vergleichbar! Aber die Monitoring-Systeme beschreiben am Ende etwa das gleiche ‚obere Viertel‘ der Betriebe, die man dabei unterstützen muss, ihren Antibiotikaverbrauch zu reduzieren.“
Die Antibiotika-Abgabemengenerfassung mit der Messzahl Tonnen, sollte aber aus der politischen Debatte unbedingt verschwinden, betonte Kreienbrock: „Tonnenreduzierungen allein lösen das Resistenzproblem nicht. Wenn der bayerische Maßkrugtrinker auf 40prozentigen Rum umsteigt, verändert sich die Literzahl, aber nicht das Alkoholproblem.“

Offenlegung: Über dieses Thame hat der Autor auch im Auftrag des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte berichtet (bpt-info 3/2016)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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