Deutschland: Einwanderungsland für Vektoren

Populationen der Asiatischen Tigermücke überwintern inzwischen auch in Deutschland. (Foto: © James Gathany, CDC)

Lassen sich Nutztierbestände vor vektorübertragenen Tierseuchen schützen? Höchstens per Impfung, bestätigt ein Expertengespräch der Bundestierärztekammer. Doch eine flächendeckende Impfkampagne etwa gegen die Blauzungenkrankheit wird es 2016 nicht geben. Zu teuer und zu wenig Akzeptanz. Dafür fördert der Staat mit 2,2 Millionen Euro die Forschung über Stechmücken als Virusträger. 

von Jörg Held

Warnen vor vektorübertragenen Krankheiten: BTK-Präsident Dr. Uwe Tiedemann, bpt-Präsident Dr. Siegfried-Moder und Virologe Prof. Volker Moennig (v.l.n.r.). Nicht im Bild: Prof. Hans Joachim Bätza (BMEL) und Prof. Thomas Mettenleitner (FLI). Foto: ©WiSiTiA/jh)

Warnen vor vektorübertragenen Krankheiten: BTK-Präsident Dr. Uwe Tiedemann, bpt-Präsident Dr. Siegfried-Moder und Virologe Prof. Volker Moennig (v.l.n.r.). Nicht im Bild: Prof. Hans Joachim Bätza (BMEL) und Prof. Thomas Mettenleitner (FLI). Foto: ©WiSiTiA/jh)

Die rasante Verbreitung des Zika-Virus und die Folgen in Amerika (Karte siehe unten) haben das Augenmerk wieder auf Stechmücken (Culcidien) gelenkt. Auch in Europa übertragen verschiedenste Mückenarten seit einigen Jahren „exotische“ Krankheiten wie das Dengue-, West-Nil- oder Chikungunya-Fieber. Doch noch gibt es in Deutschland kein Überwachungs- oder Meldesystem über das Vorkommen medizinisch relevanter Stechmückenarten. Die wichtigste – und noch unbeantwortete – Forschungsfrage lautet: Können einheimische Mückenarten eingeschleppte Krankheitserreger übertragen? Das sollen zwei neue Verbundforschungsprojekte klären: Die Stechmückenforschung „CuliFo“ und das Stechmücken-Monitoring „CuliMo“.
Tierärzte wünschen sich darüber hinaus auch mehr staatliches Engagement bei vorbeugenden Impfaktionen – etwa gegen die Blauzungenkrankheit (siehe unten die aktuelle StIKoVet-Empfehlung).

FLI warnt vor „Emerging Infections“

Eine ganze Reihe "exotischer" Mückenarten sind bereits in Europa heimisch. (Tabelle: ©BTK/FLI Mettenleitner)

Eine ganze Reihe „exotischer“ Mückenarten haben sich bereits in Europa etabliert. (Tabelle: ©BTK/FLI Mettenleitner)

Auf Tierseuchen bezogen gilt: Klassische Tierseuchen habe Deutschland im Griff, wenn nicht sogar ausgerottet. Das war auch die Botschaft eines Expertengespräches der Bundestierärztekammer auf der Grünen Woche in Berlin. Aber Tierärzte und Behörden müssten ihr Augenmerk stärker auf sogenannte „Emerging Infections“ richten, forderte Prof. Dr. Thomas Mettenleitner. Dazu zählt der Präsident des Friedrich-Loeffler-Institutes (FLI):

  • Infektionen durch bekannte, aber sich verändernde Erreger – z.B. Vogelgrippeviren vom Typ H5N1 oder H5N8. Zuletzt kämpfte Frankreich gegen Ausbrüche.
  • Erreger, die neue Regionen erobern – etwa die Afrikanische Schweinepest (ASP) oder, ebenfalls wieder aktuell, die Blauzungenkrankheit (BTV). So hat sich der BTV-Serotyp-4 vom Balkan über Österreich und die Slowakei und BTV-8 aus Frankreich bis fast an die deutschen Grenzen vorgearbeitet.
  • Komplett neue, vorher nicht bekannte Erreger – Stichwort: Schmallenberg-Virus (2012).

Der Vektor Mensch

Unerschöpflicher Virenpool – etwa 60 der bekannten pathogenen Arboviren können sich unabhängig von einer Blutmahlzeit in Insekten weiter vermehren und dann erneut auf Wirbeltiere übertragen werden. (Grafik: ©BTK/Moennig)

Unerschöpflicher Virenpool – etwa 60 der bekannten pathogenen Arboviren können sich unabhängig von einer Blutmahlzeit in Insekten weiter vermehren und dann erneut auf Wirbeltiere übertragen werden. (Grafik: ©BTK/Moennig)

Hauptvektor fast all dieser Erreger von Emerging Infections sei letztlich der Mensch. So habe sich die ASP nicht per Wanderung infizierter Wildschweine so schnell vom schwarzen Meer durch Russland bis an die EU-Ostgrenze ausgebreitet, sondern mit dem Transport infizierter Tiere oder Produkte.
Ähnliches gilt für von stechenden Insekten übertragene Erreger (Arboviren). Sie reisen mit dem „Carrier Mensch“ per Flugzeug um die Welt – und werden dann von heimischen/heimisch gewordenen Mücken weiter verbreitet. Auch die infizierten Mücken selbst verbreiten sich mit dem globalen Reiseverkehr und Warentransporten, etwa bei Pflanzenimporten. In Deutschland sind bereits Populationen der Asiatischen Tigermücke heimisch.

Impfen als einzige Vorbeugung

Projekte zur Stechmückenforschung und ihre Ziele (Übersicht: ©BTK/Bätza)

Projekte zur Stechmückenforschung und ihre Ziele (Übersicht: ©BTK/Bätza)

Außer Awareness gebe es praktisch kaum Präventivmaßnahmen gegen solche von Arthropoden übertragene Krankheiten, warnte Prof. Dr. Hans Joachim Bätza, im Bundeslandwirtschaftsministerium für Tierseuchenbekämpfung zuständig: „Es wird darauf ankommen, prophylaktisch impfen zu können.“ Der Gesetzgeber sei in der Lage, schnell neue Impfstoffe zuzulassen, die die Industrie aber auch entwicklen müsse. Das BMEL fördere verstärkt jetzt Mücken-Forschungsprojekte – auch weil es sich meist um Zoonosen handele.

Impfverweigerer contra Tierärzte

Doch Impfverweigerer machten den Praktikern die Seuchenbekämpfung schwer, warnte bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder: Ein Problem sei der Föderalismus. Wie konsequent die Tierseuchenbekämpfung erfolge, darüber entschieden die Bundesländer und manchmal sogar einzelne Landkreise. Moder fordert: „Praktiker brauchen einheitliche Handlungsanweisungen von Wissenschaft und Gesetzgeber, die dann auch konsequent umgesetzt werden – unabhängig von regionalen Befindlichkeiten.“ Angesichts der drohenden Ausbreitung von BTV-4 und BTV-8 in das Bundesgebiet schlug er einen Impfgürtel entlang der Grenze vor. Die Impfbereitschaft sei aber gerade in Bayern sehr gering.

Populationen der Asiatischen Tigermücke überwintern inzwischen auch in Deutschland. (Foto: © James Gathany, CDC)

Populationen der Asiatischen Tigermücke überwintern inzwischen auch in Deutschland. (Foto: © James Gathany, CDC)

[box]StIKo Vet empfiehlt BTV-Pflichtimpfungen

Im Februar hat die Ständige Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet) – einst vom bpt etabliert und inzwischen beim FLI angesiedelt – eine verpflichtende Impfung in den erwarteten Eintragsregionen der Blauzungenkrankheit empfohlen. Repellentien könnten die Übertragung des Virus durch Gnitzen nicht sicher verhindern. Dazu sei eine 80 Prozent Impfabedeckung der Schaf-, Ziegen und Rinderbestände nötig.
Doch die dafür nötige deutschlandweite Impfpflicht wird es in 2016 nicht geben – obwohl die FLI-Risikobewertung das Einschleppungsrisiko der Krankheit für „hoch“ hält und dann erhebliche Schäden und Leiden bei empfänglichen Tieren erwartet. Impfstoffe mit den Serotypen 4 und/oder 8 seien momentan noch nicht ausreichend vorhanden. Die StIKo Vet befürchtet, der BTV-Eintrag sei mit regionalen Impfungen letztlich nicht zu verhindern und rät deshalb, Vorbereitungen für eine deutschlandweite Pflichtimpfung ab 2017 zu treffen. (Die komplette Empfehlung der StIKo Vet finden Sie hier.)[/box]

Wichtigstes Frühwarnsystem: Aufmerksame Praktiker

Neue Erreger zu diagnostizieren, sei dagegen dank enormer Diagnostikfortschritte bei der genomischen Analyse nicht das Problem, erklärte Prof. Mettenleitner in Berlin. Man müsse aber weg kommen von der „Stigmatisierung betroffener Betriebe. Es müsste eher eine Belohnung für die geben, die aufpassen und früh einen Verdacht melden.“ Das gilt besonders für Tierärzte. Sie seien entscheidend, um Ausbrüche durch syndromische Überwachung zu entdecken. Mettenleitner: „Den Tieren in Deutschland geht es grundsätzlich gut, wenn etwas auffällig wird, dann müssen Sie nachdenken.“ So wurde 2012 das Schmallenbergvirus entdeckt, weil ein Tierarzt aufgrund abfallender Milchleistung Blutproben eingeschickt hatte.

Ein schöne Übersichtskarte zur weltweiten Verbreitung der Asiatischen Tigermücke (die auch das Zika-Virus überträgt) hat Michael Penke von bleiwüsten.de erstellt.

Offenlegung: Über den BTK-Termin in Berlin hat der Autor auch im Auftrag des bpt berichtet. Der Artikel erscheint im bpt-info 3/2016.

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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