Akademiker: „Die Einstiegsgehälter gehen durch die Decke“

Praxisumsatz ist Teamwork – wie viel die Einzelne verdienen kann hängt von der Gesamtleistung des des Teams ab. (Foto: ©WiSiTiA/hh)Praxisumsatz ist Teamwork – wie viel die Einzelne verdienen kann hängt von der Gesamtleistung des des Teams ab. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

Die niedrigen Anfangsgehälter von Tiermedizinern im Vergleich zu anderen, wesentlich weniger anspruchsvollen Studiengängen, treiben einem die Schamesröte ins Gesicht. Da lässt es sich leicht auf die bösen Arbeitgeber schimpfen. Doch ist es wirklich so einfach? Ein Gehaltsvergleich mit Modellrechnung.

von Henrik Hofmann

Bei einem Unternehmergespräch saß ich umgeben von „Personalern“ aus der Industrie. Wir plauderten über dies und das und natürlich kamen wir auch auf „Personal“: Die Firmen investierten gerade sehr viel Geld in die Suche nach akademischen Topnachwuchskräften, sagten die Experten – und auch die Zahlen: 46.000 Euro erhält der Durchschnitts-Akademiker. Auch für viele Praxisinhaber ist es sehr schwierig, gutes Personal zu finden. Liegt das an den Gehältern?

„Guter Mitarbeiter“ bedeutet zunächst:

  • zuverlässig
  • vertrauenswürdig (Stichwort: Kasse)
  • Teamgeist
  • Pünktlichkeit („fünf Minuten zu früh“)
  • gepflegtes Äußeres
  • fundiertes Fachwissen, am besten mit Interessensschwerpunkten
  • ja, und natürlich auch Gehaltsvorstellungen, die einerseits branchenkonform und andererseits dem tatsächlichen Können angemessen sind.

„Du wirst nicht glauben, was Tierärzte verdienen“

Der eine Personaler arbeitet für eine Beratungsfirma. „Wenn Euch die guten Leute fehlen, liegt es wahrscheinlich am Einstiegsgehalt!“, meinte er mit Blick auf den Bieterwettstreit der Unternehmen. „Es gibt Branchen, die Zahlen da gerade mal 35.000 Euro. Dabei gehen im Moment die Akademiker-Gehälter durch die Decke!“
Ich rechnete kurz nach: Die Gehaltsempfehlung des Praktikerverbandes bpt zum Einstieg lautet 2.200 Euro … mal 12 Monate gibt … 26.400 Euro. Er kichert, dreht sich sich zu seinem Nachbarn um: „Du wirst nicht glauben, was Tierärzte als Einstiegsgehalt bekommen …“ Ich sagte ihm nicht, dass viele Anfangsassistenten sich noch mit weit weniger begnügen (müssen) – Stichwort Mindestlohn.

46.000 Euro Startgehalt für Akademiker

Das durchschnittliche Einstiegsgehalt von Jungakademikern mit Masterabschluss liege gegenwärtig bei 46.000 Euro. Bachelor-Absolventen sollen 2016 zum Einstieg im Schnitt 43.000 Euro verdienen können. Promovierte Uni-Absolventen könnten mit durchschnittlich 56.000 Euro einsteigen, schreibt gehaltsreporter.de.
Einer der Personaler gibt zu bedenken: „Also die Juristen mit den ganz schlechten Abschlüssen verdienen auch nur 35.000 Euro anfangs. Die arbeiten dann halt als sowas wie Buchhalter.“ Schwierig ist es auch für Architekten oder Medienberufe. In seiner Branche bekommen die Berufsanfänger nach einem Bacherlorabschluss ebenfalls „nur“ ab 35.00 Euro.
Dass viele Tierärzte selbst da bei weitem nicht mithalten können, führt inzwischen auf Berufsberatungsportalen fast zu „Warnhinweisen“: „Das Gehalt fällt vor allem in Bezug zu den Arbeitszeiten niedrig aus.“

Durchschnittliche Einstiegsgehälter 2016 (Quelle: gehaltsreporter.de)

Prognose der durchschnittlichen Einstiegsgehälter 2016 (Quelle: gehaltsreporter.de mit freundlicher Genehmigung)

Tierärzte im Gehalts-Armenhaus – woran liegt’s?

Sind es aber wirklich nur die „bösen, geldgeilen Praxisinhaber“, die partout nix zahlen wollen? Oder haben viele von Betriebswirtschaft keine Ahnung und machen sich gegenseitig mit Dumpingpreisen das Leben schwer? Kann es vielleicht daran liegen, dass sich viele Praxen in Wirklichkeit gar keine Assistenten „leisten“ können, sich aber billig Freizeit „kaufen“ wollen?

[box]Gründe für niedrige Anfangsassistenten-Gehälter

  • Praxisinhaber sind geizig
  • Praxisinhaber betreiben Preisdumping
  • Assistent kann zu wenig, um sein Gehalt zu erwirtschaften
  • Praxis generiert zu wenig Umsatz, um einen Assistenten zu finanzieren[/box]

Die Frage der Fragen muss lauten: Wann rechnet sich ein Assistent? Nur wer betriebswirtschaftlich rechnet, kann ermitteln, ob sich (s)eine Praxis überhaupt einen Assistenten (zu fairen Konditionen) leisten kann. Vereinfacht setzt sich der „Kostenfaktor Assistent“ aus seinem Lohn, den zu leistenden Sozialabgaben, den „Gemeinkosten“ und eventuell den Kosten für eine weitere zuarbeitende Helferin zusammen.

Beispielrechnung des bpt für eine monatliches Assistentengehalt. (©bpt)

Beispielrechnung des bpt für eine monatliches Assistentengehalt. (©bpt)

Ob eine Praxis dies wirtschaftlich trägt, sagen die Kennzahlen. Zunächst der Nettoleistungsumsatz, also der Anteil am Umsatz, der vom Assistenten erwirtschaftet wurde – abzüglich Mehrwertsteuer und Medikamentenabgaben (sein Verbrauch / im Beispiel 23%). Davon abgezogen werden müssen die direkt zuzuordnenden Kosten der zuarbeitendenen Helferin sowie Kfz, Instrumentarium, Telefon, Verbrauchsartikel usw. plus die Allgemeinkosten (Miete, Versicherungen, Verwaltungskosten usw. – alles zusammen im Beispiel vereinfacht mit 22% angesetzt). Was übrig bleibt, ist das zur Verfügung stehende Gehalt. Alle Kosten sind natürlich praxisindividuell zu ermitteln.

Bist du es wirklich wert?

Praxisumsatz ist Teamwork – wie viel die Einzelne verdienen kann hängt von der Gesamtleistung des des Teams ab. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

Praxisumsatz ist Teamwork – wie viel die Einzelne verdienen kann hängt von der Gesamtleistung des des Teams ab. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

Anders herum gerechnet geht etwa Dr. Kai Kreling – der viele Praxismanagementvorträge hält – davon aus, dass ein Assistent mindestens 166.000 Nettoleistungsumsatz pro Jahr erwirtschaften muss, um zu einem fairen Gehalt zu gelangen. Erst wenn man dieses Umsatzvolumen mit der Nachfrage an tierärztlicher Leistung in seiner Praxis „übrig“ hat oder erreichen kann, rechnet sich der zusätzliche Tierarzt.

Reicht der Umatz nicht, so trägt die Praxis keinen Assistenten. Punkt.
Reicht das Patientenaufkommen aber der Assistent erwirtschaftet nicht den genannten Nettoleistungsumsatz (wohlgemerkt plus MwSt. plus Medikamente) – dann ist er sein Gehalt wohl nicht „wert“. Wie hoch der gemachte Umsatz pro Mitarbeiter ist, lässt sich in den gängigen Praxisprogrammen binnen weniger Sekunden zuverlässig ermitteln.

[box]Natürlich ist das Anfangsgehalt auch eine Investition in die Zukunft eines neuen Mitarbeiters. Für die Aufbauzeit müssen aber entweder Kollegen entsprechend mehr erwirtschaften oder der Praxisinhaber muss auf Gewinnanteile verzichten, die er später zum Beispiel über den vom Assistenten erwirtschafteten „Überschuss“ refinanziert. Dafür muss der Assistent zumindest aber drei bis fünf Jahre in der Praxis bleiben. Den (materiellen und auch ideellen) Wert dieser „Zukunftsinvestitionen“ behandeln wir in einem geplanten weiteren Beitrag.[/box]

Hohes Einstiegsgehalt weckt hohe Anforderungen

Grundsätzlich gilt: Welches Einstiegsgehalt man bekommt, prägt die Verdienstaussichten meist über viele Berufsjahre, denn jede der üblichen prozentualen Gehaltssteigerungen vergrößert die absolute Differenz zwischen niedrigem und hohem Anfangsverdienst. Statistisch gesehen ist es schwer, diese Differenz später wieder aufzuholen.
Auf der anderen Seite ist es aber so, dass ein hohes Einstiegsgehalt im momentanen „Niedriglohnsektor Tiermedizin“ hohe Erwartungen schafft. Will heissen: Wer viel fordert, weckt beim Arbeitgeber die Erwartung, viel für ihn erwirtschaften zu können. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, weil der Arbeitnehmer weniger kann als „angeboten“, sind Konflikte vorprogrammiert. Ganz leicht geht das für den Arbeitnehmer „nach hinten“ los.
Bei sauberer Unternehmer-Kalkulation sollten schnelle Steigerungen – mit dem guten Argument der Leistung – nach einem bescheideneren Einstiegsgehalt aber auch in Tierarztpraxen möglich sein. Der Prämienanteil im bpt-Modell etwa soll dazu Anreize geben.

Übrigens: Der Unternehmensberater war mal bei mir in der Praxis. Als wir für die Behandlung 80 Euro verlangten zuckte er zusammen: „So viel … für einen Hund?“ Das wiederum zeigt, dass auch manche Kunden den Wert eines Tierarztes eher „tief“ ansetzen.

Quellen:
gehaltsreporter.de
Berufsberatungsportal karista.de
bpt-Gehaltsempfehlung (PDF-Download)
bpt-Info-Seite: „Assistentenvergütung“

Beitragsbild: Praxisumsatz ist Teamwork (Foto: ©WiSiTiA/hh)

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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